Instrumente-Erfinder:Schöner klimpern

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Musik für die Hosentasche: Blocks heißt das Mini-Instrument der Firma. Musiker drücken auf leuchtende Quadrate. Die handlichen Vierecke sind schnurlos mit dem Mobiltelefon verbunden. Das erzeugt die Töne. (Foto: privat)

Ein unzufriedener Jazzpianist erfindet in Großbritannien ein neues Instrument. Mittlerweile spielen darauf Popstar Stevie Wonder und Künstler aus der Elektro-Szene.

Von Björn Finke, London

Roland Lamb spielt Klavier, seit er ein Kleinkind war. Sein Vater ist Jazzpianist, und Lamb tourte vor dem Studium ebenfalls als Jazzmusiker durch die Welt. Doch der Amerikaner ärgert sich darüber, dass ihn die Klaviertastatur einschränkt: "Sie setzt meinen Ausdrucksmöglichkeiten Grenzen", sagt Lamb. Ein Gitarrenspieler kann etwa mit seinem Finger die Saite entlang fahren und so den angeschlagenen Ton verändern. Das geht am Klavier nicht.

Lamb, damals Student für Produktdesign in London, will sich damit nicht abfinden. Er möchte eine neue Tastatur entwickeln, ein neues elektronisches Instrument, das mehr Möglichkeiten bietet und die Vorteile von Tasten-, Saiten- und Blasinstrumenten kombiniert.

Der Komponist Hans Zimmer und Popstar Stevie Wonder spielen auf dem Instrument

Er tüftelt, probiert aus, verwirft, probiert erneut. 2009 beginnt Lamb sein extravagantes Vorhaben; drei Jahre später ist es so weit gediehen, dass er Investoren findet. 2013 ist es dann geschafft: Roli - so heißt die Firma, die Lamb gründet - bringt das Seaboard auf den Markt, ein ganz neues elektronisches Instrument.

Um es vorzuführen, gibt es in Rolis Zentrale einen schalldichten Raum. Das Unternehmen sitzt im hippen Londoner Osten, in einem Reihenhaus mit schmutzig-brauner Fassade. Drinnen, hinter der Eingangstür mit dem kleinen Schild, lassen sich leger gekleidete junge Menschen an einem langen Tisch nieder - Zeit für das tägliche gemeinsame Mittagessen, natürlich vegetarisch. Doch im Musikzimmer wird nicht gespeist, sondern gespielt: ein Tisch, darauf ein Laptop und das Seaboard, daneben zwei große Lautsprecher.

Das Instrument sieht aus wie ein Keyboard ohne Tasten. Statt auf einer Tastatur bewegen sich die Finger auf einer welligen, berührungsempfindlichen Silikonfläche. Der Musiker kann einen Ton anschlagen und ihn dann auf vielerlei Arten verändern. Er kann mit dem Finger nach rechts und links, oben und unten rutschen. Oder der Finger bleibt an der gleichen Position, übt aber mehr Druck aus. Oder zittert leicht. All das wirkt sich auf den Ton aus. Das Seaboard kann dabei gängige Instrumente wie Klavier oder Gitarre imitieren, oder es liefert Elektro-Sound.

Lambs Erfindung ist vor allem bei Berufsmusikern beliebt: Hans Zimmer, der Oscar-prämierte Filmmusik-Komponist aus Deutschland, nutzt das Seaboard, genau wie Popstar Stevie Wonder oder viele Künstler aus der Elektro-Szene. Laien dürften schon die Preise abschrecken. Die billigste Variante kostet 800 Euro, für die größeren Modelle sind zwischen 2200 und 8900 Euro fällig. Hergestellt werden sie bei Roli in London und bei einem Auftragsfertiger im Ausland.

Das Unternehmen hat inzwischen Büros in New York und Los Angeles eröffnet - die Vereinigten Staaten sind der wichtigste Markt. Investoren haben mehr als 50 Millionen Dollar in die junge Firma gesteckt. 115 Beschäftigte arbeiten für das Unternehmen, das bislang Verluste schreibt.

In den vergangenen zwei Jahren kaufte Roli drei kleine Musiksoftware-Firmen, deren Produkte die Briten nun für ihre Geräte einsetzen. "So schnell zu wachsen, ist eine Herausforderung", sagt Vorstandschef Lamb. Viel Zeit verwandten die Londoner auch darauf, ein zweites elektronisches Instrument zu entwickeln. Das nutzt die Technik, die hinter den Seaboards steckt. Seit Anfang des Monats kann man es kaufen, allerdings nur in Geschäften von Apple sowie auf Rolis Webseite.

Blocks heißt das Gerät: ein handliches Quadrat mit einer berührungsempfindlichen Oberfläche wie beim Seaboard. Auf der Oberfläche ist ein Schachbrett-Muster aus bunten Lichtern zu sehen - die Tasten. Das musikalische Viereck wird schnurlos mit einem iPhone oder iPad verbunden, auf dem die Software gespeichert ist und das die Töne produziert.

So bekommt der Käufer ein Mini-Keyboard, das ähnlich viele Möglichkeiten wie das Seaboard bietet, aber einfacher zu bedienen ist. "Mit wenig Aufwand kann man auf Blocks einiges erreichen", sagt Lamb. "Das ist nicht so kompliziert wie etwa Geige lernen." Und mit dem Preis von 200 Euro zielt der 38-Jährige nicht mehr nur auf Profis ab, sondern den Massenmarkt.

Dass Lamb einmal zum Erfinder elektronischer Instrumente wird, war in seiner Studienzeit nicht abzusehen. Der Amerikaner besuchte das alternative Internat Summerhill in England und zog mit 18 in ein Zen-Kloster in Japan. Später studierte er an der US-Elitehochschule Harvard klassische chinesische und indische Philosophie. Dort lernte er seine Frau kennen, die britisch-bangladeschische Schriftstellerin Tahmima Anam. Ihretwegen ging er nach London, wo er am Royal College of Art in Produktdesign promovierte - und die Idee für das neue Instrument hatte. "Ich war Philosoph, kein Ingenieur, darum musste ich sehr vieles während der Entwicklung des Seaboard lernen", sagt er. "Hilfreich war, dass ich nicht wusste, wie schwer es werden würde oder welche technischen Grenzen existieren." Andere Leute hätten seine Pläne oft als unmöglich bezeichnet.

Als Chef kommt der begeisterte Musiker nicht mehr oft dazu, auf dem Klavier oder Seaboard zu klimpern. Doch seit das neue Gerät Blocks einsatzbereit sei, spiele er wieder häufiger, sagt Lamb. "Damit kann ich ja auch im Taxi nebenher Musik machen." Dass er nun mehr Zeit mit Musik verbringen könne, sei "gut für meine Lebensfreude", sagt er, "aber schlecht für die Arbeit eines Firmenchefs".

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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