Insolvenzen:Die letzte Chance

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Babcock, Wienerwald und Ihr Platz wurden so bereits gerettet - nun soll auch Sinn-Leffers durch ein Insolvenzplanverfahren am Leben gehalten werden. Doch noch immer wird das Verfahren zu selten genutzt.

Stefan Weber

Was beim Maschinenbau-Konzern Babcock, der Drogeriekette Ihr Platz, dem Papierhersteller Herlitz, der Hähnchen-Restaurantkette Wienerwald und auch dem früheren Fußball-Bundesligisten KFC Uerdingen geglückt ist, soll nun auch der Modekette Sinn-Leffers das Überleben sichern: das Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung. Dabei versucht die bisherige Geschäftsführung, überwacht von einem Insolvenzverwalter, das gefährdete Unternehmen ganz oder zumindest in wesentlichen Teilen zu sanieren und zu erhalten.

Ein Insolvenzplanverfahren soll die Textilkette Sinn-Leffers retten. (Foto: Foto: AP)

Seit neun Jahren bietet das deutsche Konkursrecht diese Chance, in Anlehnung an das amerikanische Vorbild des "Chapter11"-Insolvenzverfahrens. Doch in der Praxis wird diese Sanierungsalternative kaum genutzt. "Viele Firmen, die in Bedrängnis geraten, vertrauen zu lange darauf, dass sie noch die Kurve bekommen und ihnen der Gang zum Amtsgericht erspart bleibt", sagt Axel Bierbach, Partner der auf Insolvenzverwaltung spezialisierten Münchner Kanzlei Müller-Heydenreich, Beutler & Kollegen. Sie konzentrierten alle Aufmerksamkeit auf den Versuch einer Sanierung und stolperten dann oft unvorbereitet in die Pleite.

Das Insolvenzplanverfahren setzt dagegen voraus, dass die Firma noch nicht gänzlich handlungsunfähig ist. Es sollte laut Bierbach möglichst frühzeitig eingeleitet werden, ohne dass bereits Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Sinnvoll ist dieser Weg zudem nur, wenn eine begründete Aussicht besteht, dass zumindest ein Teil des in Schieflage befindlichen Unternehmens zu retten ist.

Komplizierter Insolvenzplan

Bei Sinn-Leffers ist das nach Überzeugung der Eigentümer und des frisch bestellten Insolvenzverwalters Horst Piepenburg der Fall. Bereits bei der Anmeldung der Insolvenz am Amtsgericht Hagen an diesem Donnerstag legte das Management ein detailliertes Konzept vor, aus dem hervorgeht, wie es sich die Sanierung des Filialisten vorstellt.

Die Aufstellung eines solchen Insolvenzplans ist aufwendig und setzt intensive Gespräche mit den Gläubigern voraus - auch das gilt als Grund, weshalb das Insolvenzplanverfahren insbesondere im Mittelstand selten gewählt wird. Dagegen holen große Firmen häufiger fachkundigen Rat ein und prüfen diese Sanierungsalternative. Hinzu kommt die oft panische Angst aller Beteiligten vor der möglichen Insolvenz und ihre Folgen für das Unternehmensimage. "Insolvenz ist ein Stigma. Das möchte jeder vermeiden", meint Bierbach. Wer aber zu lange zögere, beraube sich der Chance, zumindest Teile des Unternehmens zu retten.

Wie es in einem günstigen Fall ausgehen kann, zeigt das Beispiel des Oberhausener Babcock-Konzerns im Jahr 2002, eine der größten Pleiten in der deutschen Firmengeschichte. Als das Maschinenbauunternehmen in die Knie ging, fürchteten mehr als 21.000 Mitarbeiter um ihren Arbeitsplatz. Einen Großteil der Stellen gibt es jedoch noch heute, weil es Insolvenzverwalter Piepenburg gelang, Käufer für Teile von Babcock zu finden.

Die Vorbehalte gegen ein Verfahren in Eigenregie erklären sich möglicherweise auch aus dem geringen Vertrauen, das vor allem die Gläubiger dem Management entgegenbringen. Sie fürchten, dass diejenigen, die die Insolvenz verschuldet haben, einfach weitermachen wie bisher. Schon um Aufbruchstimmung zu signalisieren, empfehlen Insolvenzfachleute, die Geschäftsführung nach dem Gang zum Amtsgericht zumindest zum Teil auszutauschen. Als Signal: Wir räumen auf. Es gibt kein "business as usual". Im Fall von Sinn-Leffers ist der Sanierungsexperte Detlef Specovius kurzfristig in die Geschäftsführung gerückt.

Neue Handlungsfreiheit

Die Chance eines angeschlagenen Unternehmens, über ein Insolvenzplanverfahren das endgültige Aus abzuwenden, besteht vor allem in der plötzlich gewonnenen Handlungsfreiheit: Miet- und auch Arbeitsverträge können mit einer Frist von bis zu drei Monaten gekündigt werden. Das ist für die Beschäftigten zwar sehr misslich. Aber so besteht zumindest die Chance, dass ihr Arbeitsplatz erhalten bleibt; im Fall der Insolvenz wären sie ihren Job sofort los. Die Zahlung von Löhnen und Gehältern übernimmt für höchstens drei Monate die Bundesagentur für Arbeit. Auch das verschafft der Firma zunächst Luft.

Das Gleiche gilt für die Betriebsrenten. Deren Zahlung übernimmt zunächst der Pensions-Sicherungsverein. Bei Sinn-Leffers haben immerhin 2000 ehemalige Mitarbeiter Anspruch auf Altersruhegeld. Der Textilfilialist will die Möglichkeiten des Insolvenzplanverfahrens vor allem nutzen, um sich von der Mietbelastung zu befreien. Bisher waren die 20 Vermieter der insgesamt 47 Filialen nicht zu Zugeständnissen bereit. Jetzt will Piepenburg noch einmal mit ihnen verhandeln und die Verträge kurzfristig kündigen, falls es zu keiner Verständigung kommt.

Sollte die Sanierung von Sinn-Leffers gelingen und ein Großteil der Filialen und Arbeitsplätze erhalten bleiben, so wird dies nach Einschätzung von Juristen auch eine Empfehlung für eine häufigere Anwendung des Insolvenzplanverfahrens sein. "Um dieser Sanierungsalternative zum Durchbruch zu verhelfen, ist immer noch große Aufklärungsarbeit bei Banken, Kreditversicherern und Lieferanten notwendig", sagt Bierbach. Und Piepenburg wirbt mit Blick auf Sinn-Leffers: "Unsere letzte Chance kann die beste sein."

© SZ vom 09.08.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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