Insiderhandel an der Wall Street:Auf Beutezug

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Die US-Behörden gehen entschiedener gegen Insiderhandel vor. Doch das darf nicht zur Ersatzhandlung werden - der Insiderhandel ist nicht Ursache für die Finanzkrise.

Nikolaus Piper

Der New Yorker Staatsanwalt ließ an seinen Absichten keinen Zweifel: Die Wall Street solle aufwachen, sagte Preet Bharara. Wer mit Insiderinformationen an der Börse handele, werde künftig verfolgt wie ein Drogenhändler und müsse ständig damit rechnen, von der Polizei abgehört zu werden.

Die Worte sind ernst zu nehmen. Selbst wenn in ihnen ein gehöriges Stück Public Relations stecken dürfte - mit der Festnahme des mutmaßlichen Insiderhändlers Raj Rajaratnam haben sich die Verhältnisse an der Wall Street geändert. Ein rauer Wind weht, und etliche Manager und Händler, die sich dies nie hätten träumen lassen, werden bald ins Gefängnis wandern.

Der neue Kurs der Insiderjäger hat eine technische und eine politische Komponente. Zunächst die technische: In früheren Zeiten gab es eine relativ einfache Methode, dem Verdacht auf Insiderhandel nachzugehen: Wenn ein Händler sich am Dienstag massiv mit IBM-Aktien eindeckt und IBM am Mittwoch überraschend gute Zahlen meldet, dann kann man in der Regel davon ausgehen, dass irgendetwas nicht stimmt.

Die Ermittler wussten dann wenigstens, wo sie zu suchen hatten. Bei modernen Hedgefonds sind solche Muster dagegen schwer nachzuweisen. Rajaratnams Fonds Galleon schloss täglich bis zu 1000 Handelsgeschäfte ab, oft auf der Basis winziger Informationshäppchen. Deren Logik ist für Außenstehende kaum zu erkennen. Daher setzt die Börsenaufsicht SEC seit zwei Jahren aufwendige Computerprogramme ein, um Auffälligkeiten zu entdecken. Sie warnen, wenn ein Händler mehrfach außergewöhnliche und unerklärliche Spekulationserfolge erzielt.

Eine zentrale Rolle spielt dabei das Abhören von Telefonen. Auch das hat mit den veränderten Praktiken zu tun. In den seltensten Fällen läuft Insiderhandel heute nach dem klassischen Schema ab: Ein Mitarbeiter aus der Finanzabteilung von Konzern X steckt dem Händler Y Details aus dem nächsten Geschäftsbericht, und beide teilen sich den Profit aus dem anschließenden Börsengeschäft. Oft kommen Insidertipps auf vielen Umwegen zu den Händlern. Deren Nutzung ist nur dann illegal, wenn der Betreffende weiß, dass der ursprüngliche Tippgeber etwas Verbotenes getan hat. Und dieses Wissen lässt sich am besten nachweisen, wenn man sein Telefon anzapft und den E-Mail-Verkehr überwacht.

Schließlich der Faktor Politik: Die Wut über die Wall Street ist immer noch groß, und von den Behörden werden Taten erwartet. Besonders die SEC muss nach ihrer beschämenden Bilanz im Fall Bernard Madoff zeigen, was sie kann. Da ist die Versuchung groß, die Dinge zu dramatisieren. Und das ist nicht ganz ungefährlich. Der berühmteste der Insiderjäger an der Wall Street, der spätere New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani, hat in den achtziger Jahren zwar Übeltäter wie Ivan Boesky hinter Gitter gebracht, er hat aber auch die Karrieren vieler Unschuldiger ruiniert. Insofern sollte man den Äußerungen von Staatsanwälten und SEC mit einem Gran Skepsis begegnen.

Kein Zweifel: Insiderhandel ist Betrug an anderen Aktionären und muss streng bestraft werden. Es ist gut, wenn die Behörden hier auf die Veränderung des Geschäftes an den Finanzmärkten reagieren und auch die raffiniertesten Händler damit rechnen müssen, erwischt zu werden. Aber es wird bei diesem Tatbestand immer eine Grauzone geben: von der unschuldigen Meinungsäußerung, über das zweifelhafte Gerücht bis hin zum verbotenen Insidertipp. Staatsanwälte müssen daher nicht nur Verfolgungsdruck schaffen, sondern auch Rechtssicherheit.

Und schließlich sollte sich die Öffentlichkeit nicht ablenken lassen. Insiderhandel ist hässlich, aber er ist nicht die Ursache der Finanz- und Wirtschaftskrise. Die liegt in Praktiken, die bis jetzt noch völlig legal sind - vor allem darin, dass sich Banken auf abenteuerliche Weise verschuldeten. Was dagegen zu tun ist, weiß man. Die entsprechenden Regeln sind beschlossen, sie müssen schleunigst umgesetzt werden. Erst wenn dies geschehen ist, kann man sicher sein, dass der Kampf gegen den Insiderhandel nicht zur Ersatzhandlung wird.

© SZ vom 21.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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