Innovation:Digitale Fräsen und weiche Badewannen

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„Die Flüchtlinge, die geblieben sind und sich eingefunden haben, sind heute sehr loyale und gute Mitarbeiter“: eine afghanische Schneiderin in München. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Handwerk ist mehr als Rohre reparieren und Wände streichen. Eine Vielzahl junger Gründer verändert gerade die Branche.

Von Sophie Burfeind, München

Auch Badewannen können gefährlich sein. Viele Unfälle im Haushalt geschehen im Bad - wenn man ausrutscht und auf den Badewannenrand knallt zum Beispiel. Aber auch sonst verursachen Badewannen mehr Probleme, als man denkt: Wer im warmen Wasser ein Buch lesen möchte, liegt nach ein paar Kapiteln schon in kaltem Wasser und zu allem Übel schmerzt auch noch der Nacken. Verliebte Paare können sich durch die unflexiblen Wände eingeschränkt fühlen.

Für all diese Probleme haben sich Fred Schäff, 51, und Peter Mechthold, 50, aus Weidhausen in Oberfranken nun eine Lösung überlegt: eine weiche Badewanne. Wenn man sich hineinlegt, sinkt der Nacken sanft in einen Schaumstoffkern; das Wasser bleibt länger warm und wasserdicht ist die Wanne natürlich auch. Es gibt sie in verschiedenen Größen, Farben und Formen, in matt-schimmernd oder lackartig-glänzend. "Blaa Lonid" heißt die Firma der beiden, Schäff ist gelernter Schreiner und Mechthold gelernter Raumausstatter - klassische Handwerksberufe also.

Beim Stichwort Handwerk denken viele an Klempner, Maler oder Fliesenleger, die seit Jahrzehnten das Gleiche machen: Rohre reparieren, Wände streichen, Fliesen verlegen. Dabei verändern gerade viele innovative Gründer die Branche. Höchste Zeit also für die Frage: Was tut sich eigentlich so im Handwerk?

Ein Ort, wo man darauf Antworten findet, ist die Internationale Handwerksmesse in München. Neben der Firma "Blaa Lonid" mit der weichen Badewanne hat das Start-up "Stitch by Stitch" einen Stand: eine Schneiderwerkstatt aus Frankfurt, in der geflüchtete Frauen angestellt sind. Nicole von Alvensleben, 47, und Claudia Frick, 44, haben die Schneiderei im vergangenen Jahr gegründet. "Wenn sie arbeiten und ihr eigenes Geld verdienen, integrieren diese Frauen sich nicht nur schneller, sie werden auch eigenständiger", sagt Frick. Derzeit arbeiten acht Frauen aus Syrien und Afghanistan in der Firma, wo sie auch Deutschkurse besuchen und sich weiterbilden können. Mit ihrer Schneiderei wollen die Gründerinnen aber auch ein Problem lösen, das viele kleine deutsche Modelabels haben: Kollektionen mit geringer Stückzahl in Deutschland fertigen zu lassen, ist kaum noch möglich. Auch Frick hatte das Problem mit ihrem eigenen Label - so entstand die Idee für "Stitch by Stitch".

"Es gibt keinen Bereich, der nicht von der Digitalisierung betroffen ist."

Neben solchen sozialen Ansätzen gibt es noch einen anderen Trend im Handwerk: Online-Handel-Konzepte wie das der Firma "Schrankwerk" aus dem Münsterland. "Schrankwerk" ist Teil einer 90 Jahre alten Tischlerei, seit 2008 bietet sie unter diesem Namen einen Online-Schrankkonfigurator an, mit dem man mit ein paar Klicks seinen Traumschrank erstellen und sich dann nach Hause liefern lassen kann.

Geschäftsmodelle dieser Art gibt es mittlerweile für viele Möbel und handwerklich gefertigte Produkte. Der Vorteil für die Betriebe liegt auf der Hand: statt eines Einzugsgebiets von 40 Kilometern beliefern sie Kunden im ganzen Land und teilweise auch in den Nachbarländern.

Aber auch die Gestaltung und Fertigung der Produkte im Handwerk verändert sich. Wenn man Hartwig von Bülow, den Innovationsexperten der Handwerkskammer für München und Oberbayern darauf anspricht, ist er kaum noch zu bremsen: Fräsen mit Internetanschluss, 3-D-Modelle in der Zahntechnik und Orthopädie, 3-D-Druck-Verfahren für Schmuck, Nutzung von Big Data, um Prototypen für Autofirmen herzustellen, Augmented-Reality-Brillen für Handwerker, die Zusatzinformationen einblenden. Er sagt: "Es gibt keinen Bereich im Handwerk, der nicht irgendwie von der Digitalisierung betroffen ist."

Was all diese Ansätze und Gründungen aber natürlich von Start-ups in anderen Branchen unterscheidet, ist: Die Gründer im Handwerk wollen keine weltumspannenden Betriebe schaffen, sondern einfach innovativ sein und die Vorteile des Internets nutzen. Beständigkeit und Service sind wichtiger als schnelles Wachstum. "Handwerk richtet sich immer an Kundenbedürfnissen aus, auch nachdem man mit einer neuen Lösung oder mit einem innovativen Ansatz an den Markt geht", sagt ein Sprecher des Zentralverbands des Deutschen Handwerks.

Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverbands Deutsche Start-ups, glaubt, dass die Gründer die Branche aber auch grundsätzlich verändern: "Die Start-ups im Handwerksbereich zeichnen sich dadurch aus, dass sie zwei Welten, die bisher nichts miteinander zu tun hatten, miteinander verbinden." Die Welt der Handwerksbetriebe aus der Region mit der Welt moderner Technologien aus den Metropolen.

Nach der Messe werden Fred Schäff und Peter Mechthold anfangen, ihre weiche Badewanne zu verkaufen. An Privatpersonen, Wellness-Anbieter, Altenheime und Krankenhäuser. Für alle, die ihr Buch lieber auf dem Klo lesen als in der Badewanne, gibt es übrigens auch eine Lösung: eine weiche Klobrille.

© SZ vom 13.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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