Inflation:Kuriose Nummer

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Die Null ist eine faszinierende Zahl. (Foto: Stefan Dimitrov)

Die Inflation liegt bei 0,0 - was hat es mit der Zahl auf sich? Für Haushalts-Politiker ist sie ein Faszinosum, für mittelalterliche Kleriker ein Problem, für Techniker eine Notwendigkeit.

Von Guido Bohsem

Derzeit hat die Null in der Wirtschaftspolitik hohe Konjunktur. Die gerade erst gemeldete Null-Inflation ist ein ungewöhnlicher Zustand. Lange Zeit galt vor allem eine zu hohe Inflation als besorgniserregend - bis Japan in den 90er-Jahren in die Deflation rutschte und seither damit zu kämpfen hat. Bei Ökonomen löst schon eine Inflation, die deutlich unter zwei Prozent liegt, Sorge vor einer Deflation aus. Kein Wunder, dass die Europäische Zentralbank noch bis September 2016 und dann mit insgesamt 60 Milliarden Euro dagegen vorgehen wird.

Doch wird die Null nicht nur negativ gesehen. Positiv gilt sie den meisten etwa im Zusammenhang mit dem deutschen Staatshaushalt. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gelang es, nach 45 Jahren wieder einen Haushalt ohne neue Schulden vorzulegen, eine schwarze Null also. Die schwarze Null ist auch das Ziel der deutschen Schuldenbremse, die von 2019 an auch für die Bundesländer gilt. Ihnen sind danach keine Kredite mehr erlaubt - es sei denn, es tritt ein Katastrophenfall ein. Und selbst dann müssen die gemachten Schulden später wieder zurückgezahlt werden.

Durch die Flüchtlingskrise könnte dieses Ziel bedroht werden, und sogar der vermeintliche Etat-Krösus Schäuble muss im Bundeshaushalt 2016 um die schwarze Null zittern. Dafür lösen die zusätzlichen Ausgaben eine Art Mini-Konjunkturprogramm aus.

Für die Christenheit war die Null lange Zeit ein Tabu

Die zwiespältige Betrachtung der Null hat eine lange Tradition. Für die Christenheit war die Null lange Zeit ein Tabu. Während andere Kulturkreise schon selbstverständlich mit der kuriosen Zahl umgingen, wehrte sich die Kirche mit großer Vehemenz gegen sie. Da sie für das Nichts stehe, für die Leere, so Robert Kaplan in "Die Geschichte der Null", beschrieb sie für die damalige Geistlichkeit zwangsläufig einen Zustand ohne höheres Wesen, ohne Gott. Das war nicht nur eine theologische Schwierigkeit, sondern ganz konkret eine Gefahr für die Unfehlbarkeit des Klerus.

Als sie im zehnten Jahrhundert unserer Zeitrechnung aus dem islamischen Arabien nach Europa kam, stieß sie dementsprechend auf große Ablehnung, aber auch auf große Faszination. Der (wohl erfundenen) Legende nach lernte der spätere Papst Sylvester II. heimlich den mathematischen Umgang mit der Null. Sein Leichnam wurde siebenhundert Jahre später von der Kirche exhumiert, um nachzuschauen, ob der Teufel in seinem Sarg wohnt.

In der modernen Welt nimmt die Null die zentralste Bedeutung aller Zahlen ein. Ohne die Null hätten die Italiener die doppelte Buchführung nicht erfinden können, ohne die Null wäre die moderne Mathematik und deren Differenzialrechnung nicht vorstellbar, mit der man sich bis in die Unendlichkeit der Null annähern kann, sie aber niemals erreicht. Ohne Null gäbe es kein iPhone und kein Internet, die digitale Welt ist eine binäre Welt. Sie hätte ohne die grundlegende Unterscheidung zwischen null (für falsch) und eins (für richtig) nicht gebaut werden können.

Und auch in anderen Bereichen des Lebens markiert die Null eine Besonderheit, eine Ausnahme oder einen Übergang. Beim Roulette ist sie als einzige Zahl grün, alle anderen sind rot oder schwarz. Sie gilt auch nicht als gerade oder ungerade, anders als in der Mathematik, wo sie als gerade definiert ist. In Celsius markiert sie den Punkt, an dem Wasser gefriert. In Kelvin gemessen beschreibt sie den absoluten, nicht erreichbaren Nullpunkt.

© SZ vom 14.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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