Infineon:"Niemand will mit einem Kranken ins Bett"

Lesezeit: 5 min

Infineon-Aufsichtsratschef Kley über gescheiterte Fusionsgespräche, das Fiasko um Qimonda und angebliche Umsturzpläne unter den Kontrolleuren.

Markus Balser

Zehn Jahre nach der Gründung schlittert Deutschlands letzter Chipkonzern Infineon in seine tiefste Krise. Anleger geben Aufsichtsratschef Max Dietrich Kley, 68, die Schuld an der Misere. Vor der Hauptversammlung des Konzerns am Donnerstag spricht der Chefkontrolleur im Interview mit der Süddeutschen Zeitung erstmals über die Gründe der Qimonda-Pleite, einen Partner für Infineon und den Kampf gegen die drohende Finanzklemme.

Infineon in der Krise: Seit dem Börsengang 2001 ist der Kurs um 99 Prozent gefallen. (Foto: Foto: ddp)

SZ: Herr Kley, seit Jahren gilt Infineon als Skandalfirma der deutschen Wirtschaft. Milliardenverluste, Personalpossen um Top-Manager, Schmiergeldaffäre. Wenn so viel schief geht: Wann muss ein Aufsichtsratschef zurücktreten?

Kley: Seinen Rücktritt sollte man nie ausschließen. In einer außerordentlich schwierigen Zeit wie jetzt kann ich mich aber nicht aus der Verantwortung stehlen. Wenn der Aufsichtsrat aber zum Ergebnis kommt, wir suchen einen neuen, habe ich damit kein Problem. Der Job bei Infineon ist sicher eine meiner schwierigsten Aufgaben.

SZ: Tatsächlich brodelte es im Kontrollgremium. Ein Zirkel mit Umsturzplänen hat sich juristisch beraten lassen, wie man Sie ablösen kann. Der Plan verschwand in der Schublade - die nötige Drei-Viertel-Mehrheit stand nicht. Überrascht?

Kley: Nie gehört. Ich weiß nicht, auf welche Informationen Sie sich da stützen. Mich hat deswegen niemand angesprochen. Und ich kenne die Aufsichtsräte alle sehr gut. Manche habe ich selbst in den Aufsichtsrat geholt. Meine Erfahrungen sind ganz andere.

SZ: Welche?

Kley: Nach dem Ausscheiden von Vorstandschef Wolfgang Ziebart im vergangenen Jahr bin ich öffentlich angeschossen worden. Dabei müsste ein Aufsichtsratschef doch einen Schlag auf die Schulter bekommen, wenn er handelt, weil es so nicht weitergeht. Der Aufsichtsrat hat mir dann einstimmig das Vertrauen ausgesprochen und den Rücken gestärkt. Sicher auch, weil ich hier entschlossen, energisch agiert habe.

SZ: Auf der Infineon-Hauptversammlung am Donnerstag werden Sie offene Kritik hören. Seit dem Börsengang 2001 ist der Kurs um 99 Prozent abgestürzt - ein beispielloses Desaster. Fürchten Sie Turbulenzen?

Kley: Ich erwarte sehr verärgerte Aktionäre: Ein zertrümmerter Aktienkurs, die Pleite unserer Tochter Qimonda, heftige Einbrüche auf den Märkten, Personalabbau und Kurzarbeit - kein gutes Szenario.

SZ: Warum ging bei Infineon im vergangenen Jahr in rasantem Tempo so viel zu Bruch?

Kley: Der Geschäftsverlauf war in Ordnung. Knackpunkt war, dass wir nicht in der Lage waren, die Qimonda-Beteiligung zu verkaufen. Wir hatten Interessenten. Aber die wurden mit der eskalierenden Finanzkrise selbst schwächer und schwächer. Hinzu kam die dramatische Krise auf dem Markt für Speicherchips, die Qimonda voll getroffen hat.

SZ: Dabei haben viele die Qimonda-Bücher intensiv geprüft. Danach aber wollte sich keiner binden. Wo lag das Problem?

Kley: Bei den ohnehin grauenhaft fallenden Marktpreisen - zeitweise um 80 Prozent - bleibt Ihnen nur eine Chance: Sie müssen auch die Produktionskosten rasant senken. Doch das gelang Qimonda nicht ausreichend. Folge: Monat für Monat musste Qimonda Bares auf verkaufte Chips legen. Das lässt sich nicht lange durchhalten.

SZ: Erst in letzter Minute ist das Rettungspaket geplatzt. Warum?

Kley: Qimonda hatte erste Gelder aus dem Paket schon für Dezember eingeplant. Aber es floss nicht, weil die Verhandlungen andauerten. Für jeden Tag Verspätung im Januar brauchte Qimonda dann weiteres Geld. Als der Konzern in der entscheidenden Sitzung im Januar in Berlin weitere 300 Millionen forderte, war das Vertrauen weg. Und da kann ich die Sicht der Regierungsstellen in gewisser Weise verstehen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Qimonda noch eine Chance hat.

SZ: Der Insolvenzverwalter sucht nun verzweifelt nach einem Investor. Aber die Zeit läuft ihm davon. Hat Qimonda denn überhaupt noch eine realistische Chance?

Infineon-Aufsichtsratschef Max Dietrich Kley: "Der Job bei Infineon ist sicher eine meiner schwierigsten Aufgaben." (Foto: Foto: ddp)

Kley: Die Insolvenz macht es leichter, einen Investor zu finden. Schulden fallen weg, die US-Fabrik muss nicht übernommen werden. Ja, es gibt, wie ich höre, Hoffnung.

SZ: Aber gibt es auch Interessenten?

Kley: Wir haben bis in den Januar hinein mit einem Investor aus einer chinesischen Provinz verhandelt.

SZ: Ein Chinese will einen deutschen Chiphersteller kaufen?

Kley: Könnte sein. Der Interessent verfügt über ausreichendes Kapital und will eine Halbleiterfabrik in China aufbauen. Aber seit der Insolvenz sind wir nicht mehr in Verhandlungen eingebunden. Das macht jetzt Verwalter Michael Jaffé.

SZ: Nach Qimonda droht auch Infineon eine Finanzklemme. Sie müssen fast eine Milliarde Euro auftreiben - ausgerechnet in der schlimmsten Finanzkrise seit Jahrzehnten. Wird es jetzt eng für Deutschlands letzten Chipkonzern?

Kley: In der Krise bekommt jeder ein Problem, der Verluste schreibt. Wir müssen die Refinanzierung für die in der zweiten Jahreshälfte 2010 fälligen Anleihen sicherstellen. Das wird schwierig, ist aber machbar. Das Zeitfenster ist ja nicht so eng.

SZ: Die Verluste türmen sich. Im vergangenen Quartal schrieb Infineon gut 400 Millionen Euro Miese. 3000 Mitarbeiter müssen gehen. Wie lange kann das gut gehen? Drohen neue Entlassungen?

Kley: Das will der Vorstand mit seinem energischen Sparprogramm möglichst verhindern. Ich begrüße es, wie entschlossen Konzernchef Peter Bauer mit seiner Mannschaft vorgeht. Die Liquidität belasten von den 400 Millionen Euro Verlust nur gute 100 Millionen Euro. Der Rest sind Rückstellungen für und Währungseffekte bei Qimonda.

SZ: Bei Infineon geht die Angst um, sie könnten in Deutschland eine ganze Fabrik schließen.

Kley: Wie gesagt: Es gilt, mit Kostensenkungen dem Umsatzeinbruch zu begegnen. Sollte die Situation sich verschärfen, sind unterschiedliche Optionen zu prüfen. Es ist wichtig, gerade in Krisenzeiten einen Plan B zu erarbeiten.

SZ: Welche Lehren ziehen Sie aus dem Fiasko: Kann Infineon allein überleben?

Kley: Ja, Infineon ist allein gut überlebensfähig. Wir werden aber bei der Konzentration der Branche eine aktive Rolle spielen. Es wird in der Chipbranche weitere Zusammenschlüsse geben. Wir haben ja seinerzeit schon mit Freescale und NXP gesprochen. Aber kurz bevor es ernst wurde, platzten die Verhandlungen.

SZ: Warum?

Kley: Immer, wenn wir einen Schritt weiter waren, wurde die wirtschaftliche Lage bei einem der anderen Spieler schlechter. Besonders auch die hohe Verschuldung beider Firmen war ein Problem. Eine Partnerschaft machte aus unserer Sicht keinen Sinn mehr. Um es salopp zu sagen: Niemand will sich mit einem Kranken ins Bett legen.

SZ: Nochmal: Bleibt Infineon allein oder suchen sie einen Partner?

Kley: Wenn wir im Puzzle auf dem Chipmarkt jemanden finden, der zu uns passt, schauen wir uns die Sache an. Wie gesagt: Infineon kann alleine erfolgreich sein. In der aktuellen wirtschaftlichen Lage sind Zukäufe oder Übernahmen ohnehin schwer finanzierbar.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Infineon auf öffentliche Gelder nicht verzichten kann.

SZ: Wer kommt in Frage? Politiker fordern einen europäischen Champion - gegen die Übermacht der Asiaten. Eine gute Idee?

Kley: Nein, ich denke nicht. In Europa gibt es ja im Übrigen auch nicht mehr viele Chipkonzerne. Wir schauen uns natürlich auch in Asien um.

SZ: Lässt sich die Chipbranche überhaupt in Europa halten? Asiatische Länder buhlen mit Milliardensubventionen um neue Jobs.

Kley: Die Frage der Förderung ist für die Zukunft der Chipbranche zentral. Wir brauchen mehr öffentliche Mittel, um zu bestehen. Die Forschungsförderung darf sich nicht nur auf erneuerbare Energien konzentrieren. Wir sollten nicht vergessen, dass die Chipindustrie für viele Branchen wie Autohersteller in Deutschland eine Schlüsseltechnologie ist. Am Dienstag bin ich im Bundes-Wirtschaftsministerium und werde hierauf hinweisen.

SZ: Die Hauptversammlung bietet Gelegenheit, sich von Aufsichtsrat Johannes Feldmayer zu trennen. Er ist mitverantwortlich für die illegale Finanzierung der Gewerkschaft AUB bei Siemens. Warum darf ein verurteilter Ex-Vorstand denn noch einen Milliardenkonzern kontrollieren?

Kley: Herr Feldmayer ist ein ausgezeichneter Fachmann mit großer Erfahrung. Ich übe keinen Druck auf ihn aus und denke, dass er bis auf Weiteres bleibt. Herr Feldmayer hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Damit ist es nicht rechtskräftig.

SZ: Aber er hat seine Verstrickung eingeräumt. Haben Sie daran Zweifel?

Kley: Nein, aber in dem Prozess geht es um die Frage der Strafbarkeit. Hierüber muss abschließend im Revisionsverfahren entschieden werden.

SZ: Das Gericht hat ihn doch schon wegen Untreue verurteilt.

Kley: Nochmal: Die Revision steht noch aus.

SZ: Ex-Vorstandschef Ulrich Schumacher nehmen Sie nicht in Schutz. Vor fünf Jahren haben Sie seine Ablösung betrieben. Nun soll er in der Bestechungsaffäre vor Gericht landen. Wird Infineon von ihm Schadenersatz fordern?

Kley: Im Fall des Falles: Ja. Das müssten wir im Interesse der Aktionäre und des Konzerns - wenn ein Urteil gefällt wird.

SZ: Als wäre das alles noch nicht genug Ärger: Infineon droht der Abstieg aus dem prestigeträchtigen Leitindex Dax. Haben Sie noch Hoffnung auf den Verbleib?

Kley: Kaum, denn wenn Sie sich die Zahlen anschauen, wird das schwer. Der Kurs müsste sich schon schnell deutlich nach oben bewegen. Aber angesichts der Hauptversammlung, die aggressiv und mit wenigen guten Nachrichten verlaufen wird, ist das kaum zu erwarten.

© SZ vom 09.02.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: