Industrieversicherung:"Die guten Zeiten liegen vor uns"

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Der Industrieversicherer der Allianz gibt sich eine neue Struktur und streicht 700 von 4450 Arbeitsplätzen. Die Länderchefs werden abgeschafft.

Von Herbert Fromme, Köln

Sieben Monate hat sich Joachim Müller Zeit gelassen. Jetzt hat der neue Chef der gebeutelten Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) einen Plan vorgelegt, der die Firma grundlegend umkrempelt. Die AGCS versichert vor allem Großkonzerne vom Kaliber VW, Nestlé, Barclays Bank oder Saint-Gobain. Damit macht sie neun Milliarden Euro Umsatz. Aber in den vergangenen Jahren war das Geschäft tief in den roten Zahlen. Im November 2019 feuerte Allianz-Konzernlenker Oliver Bäte den AGCS-Chef Chris Fischer Hirs. Joachim Müller, der die deutsche Allianz gedreht hatte, übernahm.

Was ist bei der AGCS bisher schiefgegangen? "Ich sehe ungern in die Vergangenheit, denn das macht sie am Ende nicht besser", sagt Müller. "Zusammengefasst kann man vielleicht sagen, dass man zu viel in zu kurzer Zeit wollte." Und am Ende habe die alte Führung vergessen, was die AGCS speziell macht, wofür sie eigentlich da ist.

Das soll jetzt anders werden durch eine globalere Struktur, mehr Digitalisierung und Kostensenkung. "Die AGCS ist als globale Firma aufgebaut, aber bislang keine globale Firma geworden." Deshalb werden die Länderchefs abgeschafft, Entscheidungen fallen in sechs regionalen Büros.

Künftig will Müller die Versicherungsangebote weltweit entwickeln und verwalten, damit nicht in einem Land etwas neu ausgetüftelt wird, was woanders schon lange läuft. Er will die Kenntnisse über Branchen - ob Pharma, Autos, Luftfahrt - global bei Spezialisten bündeln. Und er will Geschäft, das sich nicht mehr lohnt, aufgeben.

Deshalb wird die Allianz mittelgroße Firmen in Kanada künftig nicht mehr versichern - das kostet 144 Millionen Euro Umsatz. Unter Müllers Ägide sind so schon Geschäftsfelder für rund 500 Millionen Euro geschlossen worden, von der Schiffsversicherung in den USA hin zum Haftpflichtgeschäft in Australien. "Weil wir aber in den Bereichen, die wir behalten, schöne Ratensteigerungen gesehen haben, wird das den Umsatzrückgang teilweise ausgleichen."

Das Management wird um 20 Prozent ausgedünnt. Die übrig gebliebenen 200 Führungskräfte treffen sich in dieser Woche digital - Müller stellt sein Programm vor. Schon 2021 soll es zählbare Ergebnisse bringen. Zu den Problemzonen gehören die mittelgroßen Firmen in den USA und die Haftpflicht in Deutschland. Autohersteller und Zulieferer melden hohe Schäden. "Es hat eine starke Exponierung im Bereich Auto-Rückruf gegeben, die sich sehr negativ entwickelt hat", berichtet Müller. "Wir werden das in Ordnung bringen."

Bei den Kostensenkungen lässt er sich Zeit. Bis 2024 sollen 700 von jetzt 4450 Stellen gestrichen werden. Wird es betriebsbedingte Kündigungen geben? "Wir haben bei der Allianz bislang noch nie betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen", antwortet er. "Ich bin in dieser Frage optimistisch."

Die Frage ist, ob ihm Oliver Bäte und der Konzern genug Zeit lassen. Ihre Ungeduld haben sie deutlich zum Ausdruck gebracht. Müller hat Verständnis: "Wenn man als Gesellschaft über viele Jahre die Erwartungen nicht erfüllt, sodass die Gruppe unzufrieden ist, dann ist es keine Überraschung, wenn sie beobachtet wird." Aber er ist sicher: "Die guten Zeiten der AGCS liegen vor uns."

© SZ vom 01.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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