Industrie:Kreativ wie in Kriegszeiten

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Schutzmasken statt Klamotten: Auch der italienische Textilkonzern Miroglio wechselte seine Produktion. (Foto: MARCO BERTORELLO/AFP)

Italien ist das Vorbild: Firmen in ganz Europa stellen ihre Fabriken um und versuchen Atemmasken oder Beatmungsgeräte herzustellen.

Von Alexander Mühlauer und Ulrike Sauer, Rom/London

Beim Textilkonzern Miroglio im norditalienischen Alba brauchte man zwei Tage. Statt wie gewohnt Kleiderkollektionen für namhafte Modelabel zu schneidern, näht das Unternehmen nun Schutzmasken für den Krisenstab der Region Piemont. "Wir handeln, wie das in Kriegszeiten üblich ist", sagt Fabrizio Sacco, der die Stoffdruckerei des Konzerns leitet. Konkret heißt das: Man passt sich mit dem, was vorhanden ist, der Herstellung dringend benötigter Dinge an, sagt er. Saccos Leute probierten Verfahren aus, um die vorrätigen Baumwollstoffe für den Virus undurchlässig zu machen. Es entstand ein Prototyp, dessen Eignung vom Gesundheitsamt bestätigt wurde. Nach 48 Stunden ging die Produktion los. Nun, zwei Wochen später, konnte die Firma dem Zivilschutz die ersten 600 000 Masken liefern. Kostenlos.

Im Wettlauf mit der Zeit haben in Italien viele Unternehmen ihre Produktion spontan umgestellt. Der nationale Krisenstab meldete am Mittwoch 475 Corona-Tote an einem Tag, nicht einmal in China starben innerhalb von 24 Stunden jemals so viele Menschen. Beim Kampf um die Rettung von Menschenleben fehlt es im heutigen Epizentrum der Viruserkrankung an allem. So haben sich die Einzelinitiativen in Rekordzeit zu einer Welle der Unternehmensumwandlungen ausgeweitet. Was in China von oben angeordnet wurde, das vollzieht sich in Italien von unten.

"Jetzt zählt hier nur noch eines: Wir müssen uns gegen den verfluchten Virus wehren", sagt Graziella Balbino, eine Schneiderin bei der Firma Miroglio. 100 000 Masken pro Tag können dort gefertigt werden mittlerweile.

Dem Vorreiter aus Alba sind inzwischen viele Firmen gefolgt. In Mailand entstand das Konsortium Polimask. In der am schwersten betroffenen Region Lombardei rund um Mailand benötigen allein die Krankenhäuser fast 300 000 Masken am Tag. Unter der Federführung der Technischen Hochschule schlossen sich deshalb zwölf Unternehmen zusammen. In den Laboren des Politecnico wurden nun unter Hochdruck neue Materialien getestet und die Daten dann zur Produktion an das Polimask-Projekt weitergegeben.

Im toskanischen Prato sattelte Dreoni, ein Einrichter von Wohnmobilen , auf die Maskenherstellung um. In Bozen rüstete Visualis Group, ein Ausstatter von Messen und Großveranstaltungen, auf die Einrichtung der improvisierten Krankenhäuser um. Der Pharmakonzern Menarini in Florenz stellte die Produktion von einem Mittel zur Linderung von Gelenkschmerzen auf fünf Tonnen Desinfektionsgel pro Woche um. Auch anderswo wird improvisiert: Der französische Konzern LVMH lässt in einigen Fabriken statt Parfums der Marken Louis Vuitton oder Dior nun Desinfektionsmitteln herstellen. Nicht anders Gin-Hersteller in Großbritannien und der französische Spirituosenhersteller Pernod Ricard. Der deutsche Beiersdorf-Konzern kündigte an, sofort mit der Produktion von 500 Tonnen Desinfektionsmittel zu beginnen.

Nichts wird im Kampf gegen den die Lungenkrankheit so verzweifelt gesucht wie die Beatmungsgeräte für Schwerkranke. Bei Siare Engineering, dem einzigen italienischen Hersteller solcher Maschinen, versucht man gerade, die Produktion von 160 auf 2000 Apparate im Monat hochzufahren. Die Mitarbeiter schrauben sich bis zu 15 Stunden am Tag die Finger wund. Nun rückten 25 Waffenexperten der Streitkräfte an, um die Belegschaft im Rennen gegen die Uhr zu verstärken.

So wie Italien mit seiner radikalen Strategie zur Bekämpfung der Epidemie eine Blaupause für die Regierungen in ganz Europa geliefert hat, so macht nun auch die Reaktion der italienischen Unternehmen Schule. Sogar in Großbritannien, wo Premier Boris Johnson zunächst äußerst zaghaft auf die Ausbreitung des Coronavirus reagiert hat. Eines hat die Regierung in London sofort getan: Sie appellierte an Unternehmen, drohende Engpässe bei Beatmungsgeräten auszugleichen. Nun gibt es ein Konsortium von Luft- und Raumfahrtkonzernen sowie Autoherstellern, die einen Prototypen für Beatmungsgeräte entwickeln wollen.

5000 Stück sollen so schnell wie möglich produziert werden. Das Ziel liegt zunächst bei 30 000 Geräten. An der Initiative der Regierung sind federführend der Flugtechnik-Experte Meggitt sowie die Autofirmen Nissan und McLaren beteiligt. Koordiniert wird die Aktion von einem Forschungsinstitut im englischen Solihull. So soll Meggitt seine Expertise in der Herstellung von Sauerstoffsystemen für Flugzeuge einbringen. Von McLaren kommt das Know-how in Sachen Design und die UK-Dependance des japanischen Nissan-Konzerns soll sich auf Fertigungsprozesse konzentrieren. Auch Airbus macht mit und soll sein Wissen im Bereich des 3D-Drucks kleiner Komponenten zur Verfügung stellen. In Irland gibt es derweil eine Initiative von Start-ups, die versuchen, Beatmungsgeräte mit Hilfe von 3D-Druckern herzustellen.

© SZ vom 20.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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