Hongkong: Zehn Jahre nach der Übergabe:Genießen und Schweigen

Lesezeit: 8 min

In Hongkong sind Kreditkarten willkommen, Kritik weniger - Peking setzt bisher auf die Macht des Geldes. Verluste erleiden die, denen das freie Wort teuer ist.

Henrik Bork

Zeit für einen Blick auf den Hafen. "Na, ist das ein Ausblick?" Hua Zi steht auf dem Balkon seiner neuen Wohnung in Hongkong und macht eine Feldherrengeste. Der ganze Victoria Harbour liegt ihm zu Füßen. Ganz vorne die Segelboote des Royal Yacht Club. Die grün-weiße Fähre der Star-Ferry-Linie stampft durchs Hafenbecken. Und dahinter schieben sich die Wolkenkratzer des Stadtteils Central ins Bild, dominiert vom Turm der Bank of China. Es ist ein atemraubender Anblick, ohne Zweifel.

Chinesische Soldaten in Habacht-Stellung: Vor zehn Jahren wurde die britische Kronkolonie an China übergeben. (Foto: Foto: AP)

Hua Zi, 41 Jahre alt, wegen der feuchtschwülen Hitze lässig in Shorts und T-Shirt gekleidet, ist ein Chinese aus Peking. Seit kurzem lebt er hier in der ehemaligen britischen Kronkolonie. "Ich liebe Hongkong", sagt er, "die Leute hier sind viel ordentlicher als bei uns daheim." In Peking würden alle Auto fahren wie die Wilden und ständig überall hinspucken, sagt Hua Zi. "Hier ist es zivilisierter."

Kreditkarten, nicht Gewehre

Für die Hongkonger ist Hua Zi, obgleich Chinese, trotzdem eine Art Ausländer. Mainlander nennen sie ihn hier, einen Festländer. Noch immer gibt es ja eine Grenze, die Hongkong von China trennt. Aber sie ist durchlässiger geworden, vor allem für Leute mit Geld.

Die schicke, 80 Quadratmeter große Wohnung mit Hafenblick hat Hua Zi für 600.000 Euro erworben. Das findet er nicht teuer. Als erfolgreicher Verleger zweier Fotozeitschriften kann er sich das leisten. Mehr als eine halbe Million Festländer wie Hua Zi sind nach Hongkong umgezogen, seitdem es als "Sonderverwaltungsregion" zu China gehört.

Am 1. Juli 1997 hatten die Briten ihre damalige Kronkolonie Hongkong an China zurückgegeben. Manche Einwohner befürchteten damals Schlimmes, etwa dass bald chinesische Panzer durch die Straßen rollen, wie beim Pekinger Massaker vom 4. Juni 1989. Viele besorgten sich vorsichtshalber einen kanadischen oder australischen Pass. Doch in den ersten zehn Jahren seit dem handover haben sich die Chinesen mit ihren Kreditkarten an die Rückeroberung Hongkongs gemacht, nicht mit Gewehren. Chinas rote Kaiser respektieren den Kapitalismus in Hongkong nicht nur, sie nehmen sogar freudig daran teil.

Gefälschtes gibt es daheim genug

Zeit für ein Mittagessen. Im Fischrestaurant "Hundertfaches Glück", unter bombastischen Kronleuchtern und im eisigen Wind der Klimaanlage, bestellt Hua Zi pangxie, Meereskrebse. Mit der Kellnerin redet er Mandarin, das in Peking gesprochene Hochchinesisch. Das Kantonesisch der Hongkong-Chinesen ist hier auf dem Rückzug. Am Nebentisch leert eine Gruppe Touristen aus Shanghai im Minutentakt ihre Biergläser. "Ganbei", schreien sie, "ex!" Zum Beweis, dass die Gläser leer sind, werden sie am ausgestreckten Arm über den Tisch gehalten.

Um die Hongkonger Wirtschaft zu stützen, lässt die Pekinger Zentrale immer mehr Chinesen aus dem Festland nach Hongkong reisen. 13,6 Millionen sind es inzwischen pro Jahr, fast doppelt so viele, wie es Hongkonger gibt. Sie schieben sich durch die Gucci- und Louis-Vuitton-Boutiquen - auf der Suche nach "echten" Luxusartikeln. Gefälschtes gibt es daheim in China ja genug.

Hua Zi hat dafür, nach ein paar Gläsern Qingdao-Bier, einen passenden Vergleich gefunden. "Die kommunistische Partei macht Hongkong vom Festland abhängig, Schritt für Schritt. Wie eine Geliebte, der man schöne Kleider kauft und sie in teure Restaurants ausführt. Aber sie muss gehorchen!" Hua Zis Frau blickt ihren Mann bei diesen Worten aufmerksam von der Seite an.

Dezente Drohungen

Zeit für eine Tasse Kaffee. Pon Siu To ist einer von denen, die jetzt gehorchen müssen. Äußerlich ist das dem 38-jährigen, leicht rundlichen Hongkong-Chinesen nicht anzusehen. Ganz entspannt sitzt der Fernsehjournalist im Café des Rosedale-Hotels in Causeway Bay. Vor kurzem aber ist er von einem Beamten aus Peking zu einen "Gedankenaustausch" eingeladen worden. Die finden im Gebäude der Nachrichtenagentur Xinhua statt, Chinas inoffizieller Botschaft hier. Sehr subtil übe Peking seinen Druck aus, meist ohne offene Drohungen, aber dennoch deutlich, sagt Pon.

Im zweiten Teil: Wie Hongkongs Medien auf den Druck Pekings reagieren und wie ein Kolonialherr der alten Schule die Übergabe Hongkongs beurteilt ...

Hongkong
:Stadt der Gegensätze

Zehn Jahre nach der Übergabe der einstigen Kronkolonie Hongkong an China ist der Platz knapp. Doch zwischen den Wolkenkratzern gibt es immer noch Reste des alten Hongkongs.

"Oberflächlich ist das nicht zu sehen, aber der Wandel in den Medien ist sehr groß", sagt der Fernsehjournalist. "Die Selbstzensur ist viel stärker geworden." Wer den Mund zu weit aufmacht, landet auf schwarzen Listen der Hongkonger Regierung. Oder er bekommt kein Visum mehr für Reportagereisen aufs Festland, was der Karriere schadet. Als Ergebnis höre oder lese man in den örtlichen Medien "kaum noch Kritisches über die Hongkonger oder Pekinger Regierung", sagt Pon.

Auch bei der Kontrolle der aus ihrer Sicht lästigen Presse setzt die Pekinger Zentrale oft Geld als Waffe ein. Zeitungen wie die Apple Daily, die aus der Reihe tanzen, bekommen immer weniger Anzeigen. Hongkongs Geschäftsleute wollen es sich nicht mit den Machthabern in Peking verscherzen und reagieren gern auf dezente Hinweise.

Willige Reaktion auf dezente Hinweise

Kritische Fernsehsender wie RTHK (Radio Television Hong Kong) hingegen werden noch direkter drangsaliert. China und die von ihr unter Druck gesetzte örtliche Regierung nehmen direkt Einfluss. Zwar hat sich noch kein Festländer direkt auf den Sessel eines Chefredakteurs gesetzt. Aber fast. "Die Hongkonger Regierung hat einen Beamten als Vizedirektor in den Sender abkommandiert", sagt Pon.

Am liebsten würde Peking RTHK ganz mundtot machen. Gerade wird debattiert, ob der Sender ganz aufgelöst und durch einen braveren ersetzt werden soll. Die Journalisten von RTHK planen am zehnten Jahrestag der Rückgabe einen Protestmarsch durch die Stadt. Das hätte Symbolwert, denn der erkennbare Rückgang der Pressefreiheit ist die größte Veränderung in Hongkong seit der Übergabe an China.

Die Luft ist gut

Zeit für einen Ausflug auf den "Peak". 554 Meter hoch ist der Hügel. Oben windet sich die Bergstraße durch einen Urwald. Mindestens zehn Meter hoch sind die alten Kampferbäume. Ihre Blätter bilden einen sattgrünen Baldachin, der alle Geräusche, alle Hektik der weiter unten liegenden Stadt verschluckt. Gut ist die Luft hier oben, und die ausländischen Kapitalisten haben sie noch immer weitgehend für sich. Eine private Anfahrt führt zu einer gelben Villa im neoklassischen Stil, an deren Fassade sich Efeu emporrankt.

Der freundliche Hausherr empfängt Gäste im Salon. Hans Michael Jebsen, Chef des Familienunternehmens Jebsen & Co, zögert kurz, wo er den Kaffee servieren lassen soll. Vor der Sitzgruppe neben dem Flügel? Oder doch lieber in der angrenzenden Bibliothek? Am Ende entscheidet er sich für die Sitzgruppe. Ein Dienstbote bringt die Getränke. Bei der Frage, was sich seit dem handover in Hongkong verändert habe für Unternehmer wie ihn, lehnt er sich entspannt zurück. "Die Briefkästen sind grün geworden", sagt er schließlich. Sonst nichts? "Die Postautos auch", sagt Jebsen.

"Sie sollen ruhig profitieren"

Sein mehr als hundert Jahre altes Handelshaus verkauft alles, was in Hongkong und China heute so gebraucht wird: viel feinen Wein, die Biermarke "Blue Girl", Pentax-Kameras und Casio-Uhren, San-Pellegrino-Wasser und Spezialmaschinen. Der Deutsch sprechende Däne, dessen Familie aus Nord-Schleswig stammt, ist an Dutzenden Fabriken auf dem Festland beteiligt. Jebsen ist auch der Generalvertreter für Porsche in Hongkong und China. Früher, in der Kolonialzeit, hätte man Jebsen wohl einen Taipan genannt.

Klar, dass sich so ein Kolonialherr der alten Schule Sorgen machte, als die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher mit den Chinesen 1984 die Rückgabe der britischen Kolonie aushandelte. Würden die neuen Machthaber den besonders liberalen Kapitalismus, für den Hongkong schon immer bekannt war, unangetastet lassen? Oder würden die Ausländer zur Seite gedrängt, möglicherweise gar enteignet werden?

Jebsen hatte Anfang der neunziger Jahre eine Chance, den damaligen chinesischen Außenminister Qian Qichen persönlich zu sprechen. "Ich fragte ihn: Würden Sie an meiner Stelle noch ein Haus bauen in Hongkong?", sagt Jebsen. Der Chinese habe ihn völlig überrascht angeschaut, erinnert sich Jebsen. Es gehe seiner Regierung nicht darum, Kapitalisten zu enteignen, sagte Qian. "Es geht uns darum, einen historischen Rückschlag wettzumachen. Dazu brauchen wir jeden Einzelnen von Ihnen. Sie sollen davon ruhig persönlich profitieren", sagte Qian zu Jebsen.

Der quicklebendige Kapitalismus

So ermutigt, baute Jebsen seine neue Villa auf dem Peak. Die roten Mandarine in Peking haben ihr Versprechen gehalten, bis jetzt zumindest. Der Kapitalismus ist in Hongkong heute noch genauso quicklebendig wie damals. Mittlerweile verkauft Jebsen mehr als 4000 Porsche-Limousinen im Jahr auf dem Festland. Seine in China produzierten Brillengestelle haben 70 Prozent des Weltmarktes erobert. "Hongkong profitiert von Chinas wirtschaftlichem Aufschwung", sagt Jebsen.

Zum Abschied zeigt Hans Michael Jebsen, ein engagierter Naturschützer, Besuchern gerne den Garten. Von der Veranda schweift der Blick kilometerweit über grüne Hügel, an deren Hängen Adler kreisen. Der nächste Nachbar ist mehrere Kilometer weit entfernt und ohne Fernglas kaum zu erkennen. "Das Anwesen hat ein Festländer gekauft", sagt Jebsen beiläufig. War es teuer? "Ich glaube nicht, dass es verschenkt worden ist", sagt der Händler und kichert.

Im dritten Teil: Demokratische Strukturen unter dem Einfluss des Festlands und eine Liebeserklärung an die Stadt

Zeit, wieder in die Niederungen der Millionenstadt hinabzusteigen. Es ist Tea time im vornehmen Hotel "Mandarin Oriental" direkt neben dem Anleger der Star Ferry. Hier trifft sich die ausländische Finanzelite zum Plausch. Als Vermittler zwischen Ost und West, als Tor zu China ist Hongkong weiter gefragt. Shanghai mag immer mehr Konkurrenz sein, aber Hongkong hat seine Stärken.

"Wer eine Drehscheibe für Südostasien sucht, der siedelt sich nicht in Shanghai an", sagt der Investment-Banker Christopher Seaver. "Auf dem Festland regiert immer noch ein kommunistisches Regime, ohne eine mit Hongkong vergleichbare Transparenz der Gesetze. Hier hingegen gibt immer noch eine offene Gesellschaft, Verwaltungstransparenz und eine unabhängige Justiz."

Genau darum sorgt sich Martin Lee, um die Unabhängigkeit der Justiz. Der Anwalt und prominente Politiker der Demokratischen Partei, in Hongkong liebevoll "Vater der Demokratie" genannt, steht im Kongresszentrum neben einer riesigen Glaswand und knabbert einen Keks. Im Inneren des Konferenzzentrums, wo vor zehn Jahren vor Tausenden geladenen Gästen die britische Fahne eingeholt wurde, findet heute ein Symposium zum Thema "Zehn Jahre danach" statt. Nur ein kleines Häuflein von ein paar Dutzend Demokratiebewegten ist gekommen.

Abgeordnete ohne Macht

"Noch sind unsere wesentlichen Freiheiten unangetastet", sagt Martin Lee. "Doch ohne echte Demokratie, wie lange werden wir die Unabhängigkeit unserer Gerichte da noch verteidigen können?" Einen Vorstoß hatten die Gegner der Demokratie bereits unternommen. Die Hongkonger Regierung hatte versucht, ein neues Anti-Subversionsgesetz einzuführen.

Damit hätte man jeden Kritiker sehr leicht wegsperren können, wie das auf dem Festland üblich ist. Doch dann gingen am 1. Juli 2003 eine halbe Million Hongkonger auf die Straße und demonstrierten gegen das Gesetz und für mehr Demokratie. Peking war wütend und tauschte später den Gouverneur aus. Doch von mehr Demokratie will die Zentralregierung seither erst recht nichts mehr wissen. "Sie haben das Gefühl, dass sie noch mehr Kontrolle brauchen", sagt die China-kritische Abgeordnete Emily Lau im Legislative Council oder "Legco", der Hongkonger Bürgervertretung.

Besuch bei "Langhaar-Leung". Der wildeste aller Hongkonger Abgeordneten hat schulterlange Haare und trägt ein T-Shirt, auf dem Panzer über den Platz des Himmlischen Friedens in Peking rollen. An die Wand seines Büros 325 im "Government House" hat er nicht ein, sondern gleich zwei Porträts von Che Guevara gehängt. "Unsere beste Hoffnung für Hongkongs Zukunft ist die Demokratiebewegung in China", sagt "Longhair", wie er sich selbst nennt. Dass so einer wie Langhaar-Leung im Legco sitzt, kann als Beweis für eine gewisse Meinungsfreiheit in Hongkong gelesen werden. Echte Macht aber haben die Legco-Abgeordenten nicht.

Einmal im Leben aufs Festland

Schließlich bleibt noch Zeit für einen Spaziergang am Hafen. Am Hunghom-Kai im Stadtteil Kowloon steht Mansze Leung an seinem Stammplatz und angelt. Der 59-jährige Taxifahrer ist ein echter Hongkonger. Sein roter Plastikschwimmer tanzt auf den Wellen, als in unmittelbarer Nähe ein Schnellboot nach Macao über das Wasser brettert. Das kann ihn nicht aus der Ruhe bringen.

Das Festland hat er erst einmal in seinem Leben besucht, vor mehr als zehn Jahren, und es hat ihm dort nicht besonders gefallen. Er hat keine Pläne, je wieder hinzufahren. Leung ist zu diplomatisch, um zu erklären, woran das liegt. "Ich liebe Hongkong", sagt er bloß. Jedenfalls fährt er lieber in die USA, wenn er Urlaub hat.

Die Rückgabe, das handover? "Nichts hat sich verändert in Hongkong", sagt Mansze Leung. "Alles ist wie immer." Dann wechselt er schnell das Thema. Leung zieht ein Foto eines riesigen Fisches aus der Jackentasche. Ein Barsch, mindestens sechs Pfund schwer, vor ein paar Tagen genau an dieser Stelle gefangen. "Die Fische beißen genauso gut wie früher", sagt er.

© SZ vom 28.06.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: