Henrik Enderlein:"Damit uns der Euro nicht um die Ohren fliegt"

Lesezeit: 6 min

Politökonom Enderlein über unberechtigte Inflationängste - und warum die No-bail-out-Klausel Ähnlichkeit mit Zahnpasta hat.

Melanie Ahlemeier

Henrik Enderlein ist Professor für Politische Ökonomie an der Hertie School of Governance in Berlin. Er studierte in Paris und New York, promovierte am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung und arbeitete als Ökonom bei der Europäischen Zentralbank, ehe er als Juniorprofessor für Wirtschaftswissenschaften an die Freie Universität Berlin wechselte.

Politökonom Henrik Enderlein: "Ich gehöre nicht zu denen, die wegen Inflationsangst nachts aufwachen." (Foto: Graphik: sueddeutsche.de)

sueddeutsche.de: Herr Professor Enderlein, der Euro schwächelt brutal. Folgt daraus Deutschlands Austritt aus dem Euro-Verbund - oder sollte die Gemeinschaftswährung gleich ganz abgeschafft werden?

Enderlein: Der Euro schwächelt nicht brutal. Er ist nach einer Phase der Stärke jetzt unter Druck geraten. Aber er stand vor genau einem Jahr bei knapp über 1,30 Dollar, und da lag er auch vor ungefähr drei Jahren. Wenn man den Durchschnitt über die vergangenen zehn Jahre nimmt, das ist ein Wert von knapp 1,20 Dollar, dann liegt der Euro heute immer noch höher.

sueddeutsche.de: Skeptiker bezeichnen den Euro als Weichwährung.

Enderlein: Nein, das ist er nicht. Währungen schwanken grundsätzlich nach oben und unten, das ist ganz normal. Niemand sollte jetzt Panik bekommen, dass der Euro sich in Luft auflöst, nur weil die Märkte im Augenblick gegen diese Währung spekulieren. Es ist vollkommen müßig und überflüssig, jetzt über einen Euro-Austritt von Deutschland oder auch von Griechenland zu spekulieren. Ich habe das Gefühl, diese Diskussion wird von Ewiggestrigen angetrieben, die uns sagen: Wir hätten die D-Mark behalten sollen! Das ist unverantwortlich, das führt uns nicht weiter. Man heizt die Krise dadurch an.

sueddeutsche.de: Was muss jetzt passieren?

Enderlein: Wir müssen daran arbeiten, den Euro-Raum zu einem wirklichen Wirtschafts- und Währungsraum zu machen. Man darf nicht vergessen: Deutschland profitiert immens vom Euro und der Währungsintegration. Das sollte man nicht alles innerhalb kürzester Zeit aufs Spiel setzen.

sueddeutsche.de: Wie viel darf die Euro-Rettung kosten? Momentan sind es 750 Milliarden Euro. Gut vorstellbar, dass die Summe weiter steigt.

Enderlein: Ich nenne es das größte all-in in der Pokergeschichte. Wir werfen alles auf den Tisch, was wir an Mitteln und Geld haben. Das Ziel: Die Spekulanten sollen abgeschreckt werden. Das kann gut gehen, kann aber auch richtig schief gehen. Das ist die Krux: Wir haben alles riskiert. Es muss funktionieren, denn es gibt keinen Plan B.

sueddeutsche.de: Der Zocker hat irgendwann Geld und Haus verspielt, dann ist Schluss. Bei verschuldeten Staaten steht am Ende der Steuerzahler gerade - und der zahlt und zahlt.

Enderlein: Die jetzt mobilisierten 750 Milliarden Euro werden von den Finanzmärkten nicht als etwas Kleines abgetan. Das ist schon eine massive Summe. Spekulanten fragen sich: Können wir das durchhalten? Die Kombination aus dem fast unbegrenzten fiskalischen Arsenal plus die Kraft der Europäischen Zentralbank ist beeindruckend. Das schreckt die Märkte ab.

sueddeutsche.de: Um die Märkte zu bändigen, hat die EZB ihre eigenen Prinzipien verraten. Sie kauft nun direkt Anleihen auf und pumpt somit Geld in den Markt. Die richtige Entscheidung?

Enderlein: Die EZB wird sicherlich bald ein Statement abgeben und sagen, dass sie nur kurz und aus außergewöhnlichen Marktumständen in die Preise eingegriffen hat und dass das so nie wiederkommt - es sei denn, es gibt noch einmal so eine Krise.

sueddeutsche.de: Wann erwarten Sie diese Erklärung? Wann ist die Krise ausgestanden?

Enderlein: Das sind offene Fragen. Hoffentlich bald. Wir dürfen das Ende aber nicht zu früh ausrufen. Wenn EU und EZB nicht mehr glaubwürdig dastehen, kann es passieren, dass der Rettungsplan nicht funktioniert.

sueddeutsche.de: Kritiker sagen, die EZB habe mit dem Tabubruch bereits ihre Glaubwürdigkeit verspielt.

Enderlein: Die EZB ist weiter unabhängig. Das, was sie gerade tut, befindet sich im Einklang mit ihrem Mandat. Die EZB hat als erstes und übergeordnetes Ziel die Bewahrung der Preisstabilität. Die ist nah an zwei Prozent definiert - davon sind wir im Moment mit knapp über einem Prozent noch deutlich entfernt. Und weil die Preisstabilität nicht gefährdet ist, ist es mit dem Mandat vereinbar, dass die EZB im Markt interveniert.

sueddeutsche.de: Die gigantische Milliardenschwemme wird nicht ohne Folgen bleiben. Die Experten rätseln über die Konsequenzen, ob es Inflation oder Deflation geben wird.

Enderlein: Wir müssen keine Inflationsangst haben. Die Interventionen werden "sterilisiert" durchgeführt, weil gleichzeitig Geldmenge abgezogen wird. Für einen kurzen Zeitraum ist das legitim, die Architektur des Euroraumes wurde nicht in ein Ungleichgewicht gebracht. Es ist ein guter und akzeptabler Prozess.

sueddeutsche.de: Den Deutschen ist bewusst, dass ihr Land im vergangenen Jahrhundert zwei Hyperinflationen durchstehen musste. Wie wahrscheinlich ist eine neuerliche horrende Geldentwertung?

Enderlein: Ich gehöre nicht zu denen, die wegen Inflationsangst nachts aufwachen. Die ist auch nicht das Thema. Wir entfernen uns auch stetig von einem Deflationsrisiko. Das ist gut so. Es kann natürlich sein, dass der Preisdruck in den nächsten Jahren zunimmt, aber das wäre eine Entwicklung, bei der wir wissen, welche Instrumente wir einsetzen müssen. Wir können Inflation bekämpfen, bei Deflation wird das schwieriger. Das zeigt das Beispiel Japan. Diese sehr emotionale Angst vor Preisanstieg und damit Währungsverfall gerade in Deutschland ist vor allem historisch und psychologisch bedingt. Niemand sollte sie zum Anlass nehmen, jetzt in Panik zu verfallen.

sueddeutsche.de: In den Maastrichter Verträgen wurde das sogenannte "No-bail-out" festgehalten - Schuldenstaaten, die die Regeln nicht einhalten, sollte nicht geholfen werden. Bei der Rettung Griechenlands zählte das nichts mehr. Nun reden viele von einer "Transferunion". Wie ohnmächtig ist die Politik?

Enderlein: Die No-bail-out-Klausel war sehr wichtig. Ich sehe mit Sorge, dass die ganze Logik, die im Maastricht-Vertrag verankert war, jetzt mit einem Schlag über Bord geschmissen wurde. Aber es gab keine Alternative. Das griechische Problem wurde zu lange nicht ernst genug genommen. Als das Problem Athen dann vor einigen Monaten konkret wurde, war die Europäische Union viel zu passiv. Die Krise wurde von den Regierungen der Mitgliedsländer heraufbeschworen, teilweise wurde sogar noch Öl ins Feuer gegossen.

sueddeutsche.de: Wie hätte eine Eskalation vermieden werden können?

Enderlein: Wenn die Regierungen weitsichtiger und schneller gehandelt hätten.

sueddeutsche.de: Was fehlte?

Enderlein: Das Tempo und die Klarheit, den Märkten zum richtigen Moment das richtige Signal zu schicken. Politikprozesse in unseren Demokratien sind nicht dafür geeignet, von heute auf morgen Tabus zu brechen oder sehr schnell Schocksignale nach draußen zu schicken. Gegenüber den Finanzmärkten ist das aber manchmal nötig. Ein Problem auszusitzen oder erst einmal in eine Verhandlungsschleife zu schicken, ist bei Finanzmärkten nicht der richtige Ansatz.

sueddeutsche.de: Ist die No-bail-out-Klausel mit dem 750-Milliarden-Euro-Rettungspaket endgültig hinfällig?

Enderlein: Man hat sich entschieden, diese Klausel nicht anzuwenden. Das ist ein Bruch. De facto haben wir heute eine andere Währungsunion als noch vor einigen Wochen. Wenn die Zahnpasta einmal aus der Tube ist, kriegt man sie nicht wieder rein. Jetzt müssen Europas Regierungen an der Verfassung der Währungsunion weiterarbeiten und ein neues Gleichgewicht schaffen, das hoffentlich funktioniert. Ich hätte mir gewünscht, dass man die Diskussion über diese Währungsunion viel früher und viel ernsthafter führt. Viele Beobachter waren sich einig: Es ist eine Illusion zu glauben, man könne eine gemeinsame Währung haben ohne eine gemeinsame Fiskal- oder Wirtschaftspolitik. Die Regierungen wollten dieses Problem aussitzen. Viele haben gedacht, mit dem Euro sei der Endpunkt der Wirtschaftsintegration erreicht. Das Gegenteil ist der Fall: Es war der Anfangspunkt.

sueddeutsche.de: Wo besteht dringender Handlungsbedarf?

Enderlein: Es muss viel stärker am Binnenmarkt und an der Koordination der Politik gearbeitet werden. Letztlich ist der Souveränitätstransfer bei der Währung auch nur der Anfang der Souveränitätsabgabe, die wir jetzt noch in anderen Bereichen vornehmen müssen. Wir müssen die Flucht nach vorne antreten: Nur ein stärkeres Europa ist jetzt die richtige Antwort.

sueddeutsche.de: EU-Währungskommissar Olli Rehn hat stärkere Kontrollen angekündigt, um einen zweiten Fall Griechenland zu vermeiden. Reicht das?

Enderlein: Mehr Kontrolle ist sinnvoll. Ich glaube aber nicht daran, dass man durch Druck oder harte Sanktionsmechanismen die Mitgliedsländer besser dazu bekommt, sich konstruktiv am europäischen Projekt zu beteiligen. Das hat mit der Europa-Orientierung der Regierungen zu tun. Unter den Euro-Mitgliedsländern muss das Gefühl geschaffen werden, Teil einer Schicksalsgemeinschaft zu sein.

sueddeutsche.de: Von einer europäischen Schicksalsgemeinschaft kann derzeit keine Rede sein. Jeder Staat betreibt nach wie vor seine eigene Politik.

Enderlein: Ein großer Wurf würde uns allen gut tun. Europa fehlt im Augenblick das nächste große europäische Projekt. Man könnte jetzt über eine fiskalische Union nachdenken, darf dabei allerdings nicht den deutschen fiskalischen Föderalismus auf europäischer Ebene reproduzieren.

sueddeutsche.de: Sie meinen ein gemeinsames EU-Budget für alle Staaten?

Enderlein: Es kann nicht mehr darum gehen, auf europäischer Ebene einen Haushalt zu haben, der nur ein Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts ausmacht und deshalb makroökonomisch praktisch nicht existiert. Auf der anderen Seite sollte es aber auch eine klare haushaltspolitische Verantwortung der Mitgliedsländer geben. Irgendwo dazwischen gibt es einen Weg, den Europa jetzt beschreiten muss. Es muss aber klar sein: ohne jegliche Transfers zwischen den Mitgliedsländern wird es nicht gehen.

sueddeutsche.de: Erleben wir derzeit eine Euro-Krise - oder steckt nicht vielmehr Europa in der Krise?

Enderlein: Wir haben eine Euro-Krise und deshalb eine Krise der Europäischen Union. Der Euro ist ein ganz zentraler Bestandteil dessen, was in Europa in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut worden ist. Wenn uns der Euro um die Ohren fliegt, dann steht es sehr schlecht um das europäische Projekt. Wir brauchen eine viel stärkere europäische Führungskultur in den Regierungen der Mitgliedsländer. Wir brauchen endlich wieder Europäer, die dieses Projekt nach vorne treiben. Da muss man auch direkt auf die Bundesregierung zeigen. Was dort in den vergangenen Jahren an europapolitischen Ideen entstanden ist, ist sehr, sehr dünn. Ich wünsche mir ein viel stärkeres Engagement der Europäer, so wie wir es von Helmut Kohl und Gerhard Schröder gesehen haben. Wir haben, trotz Skepsis, die Währungsunion geschaffen - heute kann man nicht einfach wieder den Rückwärtsgang einlegen. Die Bundesregierung ist in der Bringschuld, das europäische Projekt weiterzutragen.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: