Kriminalität:Wie Millionen unbemerkt nach Istanbul flossen

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Die Strafverfolger glauben, Dienstleister für das organisierte Verbrechen enttarnt zu haben - es geht um viel Geld. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Sieben Männer sollen große Geldsummen in die Türkei geschleust haben: Der Fall verrät viel über die Welt der dunklen Finanzströme.

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Das Wichtigste waren die vollen Geldspeicher, die Goldbarren, der Schmuck. Edelmetallhändler K. soll ein Meister darin gewesen sein, diese Speicher zu organisieren. Seine Kunden brachten Bargeld, um es in die Türkei zu überweisen, aber K. verschickte es nicht und brachte es nach Erkenntnissen von Ermittlern auch nicht zu einer Bank: Partner in Istanbul zahlten es einfach auf Anweisung vor Ort aus. Das Geschäft von K., es war eine archaische Form des Bankings. Seit Jahrhunderten praktiziert, ohne Spuren im Banksystem, weitgehend ohne Geldkoffer, die jemand über Landesgrenzen bringen muss - und gerade deshalb so beliebt in Kreisen der organisierten Kriminalität.

Vor bald eineinhalb Jahren flogen K. und das Netzwerk auf. In einer Großrazzia durchsuchten Staatsanwälte und Polizisten im November 2019 Wohn- und Geschäftsräume in mehreren Bundesländern und den Niederlanden, 850 Beamte waren im Einsatz. Im Mittelpunkt schon damals: Der Hauptbeschuldigte K., Juwelier und Goldhändler aus Duisburg, mutmaßlich der Kopf einer Bande, die ein sogenanntes Hawala-Netzwerk betrieben haben soll. Die etwa in einem Brautmodengeschäft in Stuttgart, in einem Kiosk in Berlin oder einem Schmuckgeschäft in Hamburg Bargeld entgegengenommen haben soll, um es im Kundenauftrag in der Türkei wieder auszuzahlen.

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Jetzt sollen K., der seit dem Tag der Razzia in Untersuchungshaft sitzt, und sechs mutmaßliche Mittäter vor Gericht kommen. Die Staatsanwaltschaft hat die Männer nach Recherchen von SZ und WDR am Landgericht Düsseldorf angeklagt. Sie wirft ihnen vor, als kriminelle Vereinigung gegen das Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz verstoßen zu haben.

Mehr als 200 Millionen Euro, 2400 einzelne Transaktionen

Den Ermittlern zufolge soll das Hawala-Netzwerk mindestens 212 Millionen Euro in die Türkei geschleust haben, fast 2400 Transaktionen allein von März 2018 an. Für jede einzelne sollen sie laut Anklageschrift Provisionen zwischen 1,3 bis zwei Prozent der jeweiligen Summe kassiert haben. Hawala ist vom arabischen Wort für überweisen oder wechseln abgeleitet, auf Hindi heißt es einfach "Vertrauen". So wurden schon im Mittelalter internationale Geldtransfers abgewickelt, bis heute verschicken vor allem Migranten auf diese Weise kostengünstig und zügig Geld. Hierzulande ist das ohne Erlaubnis der Finanzaufsicht Bafin illegal, seit Anfang 2018 unter dem Oberbegriff der kriminellen Vereinigung potenziell strafbar - und jetzt erstmals in dieser Form angeklagt.

Die Strafverfolger glauben, Dienstleister für das organisierte Verbrechen enttarnt zu haben, zumal einige Großkunden Millionen in bar eingezahlt hätten. Wobei gerade das nach fast eineinhalb Jahren aufwendiger Ermittlungen noch immer eine Vermutung ist: Unter K.s Führung soll die mutmaßliche Bande stets darauf geachtet haben, dass über die Herkunft des Geldes nicht gesprochen wurde. Von Geldwäsche ist in der Anklageschrift deshalb auch nichts zu lesen - dieser Vorwurf ließ sich nicht nachweisen.

Hinreichende Verdachtsmomente aber sehen die Ermittler für die aufwendige, kleinteilige Organisation des Hawala-Netzwerks. K. habe sich jede einzelne Transaktion mitteilen lassen und sich jeweils vorbehalten, diese zu untersagen, so steht es auch in der Anklageschrift. Schließlich galt es darauf zu achten, dass die Geldspeicher an unterschiedlichen Orten ausreichend voll waren, damit das System in beide Richtungen funktionieren konnte.

In der Regel wurde allerdings mehr in Deutschland eingezahlt als in der Türkei. Um das auszugleichen, sollen K. und seine mutmaßlichen Mittäter die Salden durch interne Verrechnungen einer Goldscheideanstalt in Hessen ausgeglichen haben, die zu einem türkischen Konzern gehört. Dort war auch einer der Angeschuldigten beschäftigt. Juwelier K. habe laut Anklage mit dem Geld seiner Kunden größere Mengen Schmuck und Gold gekauft und das Metall nach Hessen bringen lassen, insgesamt mindesten 6,5 Tonnen. Der Kaufpreis für das Gold sei dann in der Türkei in bar an einen Gewährsmann ausbezahlt worden. Mitunter sollen nach Erkenntnissen der Ermittler aber auch Geldkuriere unterwegs gewesen sein, ganz klassisch per Linienflug, mit Hunderttausenden Euro Bargeld im Gepäck.

Die Herkunft des Geldes ist unklar

Der Verteidiger von K., Klaus Bernsmann, bestreitet die Vorwürfe im Grundsatz nicht. Sein Mandant habe die Hawala-Geschäfte auch eingestanden. Offen ist allerdings, wie die Gerichte mit dem Vorwurf der kriminellen Vereinigung umgehen werden. Genau da setzt Bernsmann an: "Hawala kann man nicht per se als kriminelle Vereinigung nehmen", sagt er. Deutschland sei das einzige Land, in dem das neuerdings strafrechtlich so eingeordnet werde. "Ich halte es für ein bisschen Propaganda. Man verbösert ein Delikt, was für mich kaum mehr als eine Ordnungswidrigkeit ist."

Dabei kommt ihm zugute, dass es den Fahndern auch nach monatelangen Hintergrundrecherchen nicht gelungen ist, einen kriminellen Ursprung der Gelder zu ermitteln. Sie fanden sechs- und siebenstellige Summen, Kuriere, Indizien. Aber keinen Beweis, dass organisierte Kriminelle hinter den hohen Summen steckten. Es sei naiv anzunehmen, dass bei so viel Bargeld nicht auch organisierte Kriminalität im Spiel ist, heißt es zwar in Ermittlerkreisen. Logische Schlüsse aber reichen nicht aus, um Taten anzuklagen.

Keine Zweifel gibt es an der Glock 19. Als die Polizei K. am frühen Morgen im Bett überraschte, soll die halbautomatische Pistole griffbereit auf seinem Nachttisch gelegen haben. K. und einer seiner Partner hätten sich Waffen zugelegt, um sich und das Vermögen zu beschützen, vermuten die Ermittler. Dazu gab es gute Gründe: Bei den Razzien im November 2019 wurden Bargeld, Goldbarren und Schmuck im Gegenwert von etwa 22 Millionen Euro beschlagnahmt. Sollte die Anklage zugelassen werden, wird auch darüber vor Gericht gestritten werden: Ob der Staat das alles behalten darf, oder nur die etwa 350 000 Euro, die K. und die Hawala-Banker mit ihren Diensten verdient haben sollen. Den Rest nämlich hätten sie wohl ganz gern wieder zurück.

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