Hartz IV:Der Kostenschock

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Kläglicher hätte die Arbeitsmarktreform Hartz IV kaum scheitern können: Etliche Betroffene leben mittlerweile am Existenzminimum, die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor hoch und die Kosten explodieren. Warum? Das weiß niemand so genau.

Paul Katzenberger

Knapp eineinhalb Jahre nach Inkrafttreten der Arbeitsmarktreform Hartz IV ist der Katzenjammer groß. Denn bislang ist das Reformwerk in so gut wie allen Belangen grandios gescheitert: Die Arbeitslosigkeit grassiert wie eh und je in Deutschland und die erhoffte Entlastung für die Staatsfinanzen ist zudem vollständig ausgeblieben.

Arbeitsmarktreform: Arbeitslosigkeit - hoch, Staatsausgaben - hoch, Arbeitslosengeld - gering. (Foto: Foto: ddp)

Als das Gesetz am 1. Januar 2005 in Kraft trat, veranschlagte die damalige rot-grüne Bundesregierung die Ausgaben für 2005 mit 14 Milliarden Euro. Am Ende des Jahres beliefen sich die Ausgaben dann aber auf 24,4 Milliarden Euro. Die Fehlkalkulation betrug also satte 74 Prozent.

Und die Hartz-IV-Ausgaben laufen auch unter der neuen schwarz-roten Koalition munter weiter aus dem Ruder: Von Januar bis April 2006 summierten sich die Ausgaben auf 9,2 Milliarden Euro. Hochgerechnet auf das Gesamtjahr kommt auf den Bund somit eine Belastung von 27,6 Milliarden Euro zu.

Kostensteigerungsprogramm

Rechnet man alle drei Gebietskörperschaften Bund, Länder und Gemeinden zusammen, betrugen die Ausgaben in der neuen Hartz-IV-Welt im vergangenen Jahr 37,5 Milliarden Euro. Die Arbeitsmarktreform erwies sich also nicht als Kostensenkungs- sondern als veritables Kostensteigerungsprogramm.

Denn hätte im Jahr 2005 noch das alte System von Sozial- und Arbeitslosenhilfe gegolten, so wären die Transferausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden mit etwa 35,5 Milliarden Euro um zwei Milliarden Euro niedriger ausgefallen. Das zumindest ergab eine Anfrage der Linkspartei bei Arbeitsminister Müntefering.

Da kann die Bundesregierung die Steuern noch so massiv erhöhen - die Angst vor neuen Haushaltslücken ist unter diesen Voraussetzungen ganz flugs wieder präsent. Dementsprechend häufen sich die Warnrufe: Nachdem die Wohlfahrtsverbände in der vergangenen Woche Änderungen bei Hartz IV angemahnt hatten, setzte der Bundesrechnungshof am Montag noch einen drauf.

Die Rechnungsprüfer lassen in ihrem Bericht kaum ein gutes Haar an der Arbeitsmarktreform. Die beabsichtigte Förderung der Arbeitslosen werde ebenso verfehlt wie deren Kontrolle: Im Schnitt, so der Rechnungshof, vergingen drei Monate, ehe ein Betreuer mit Arbeitslosen "ein qualifiziertes Erstgespräch" führe, und vier Monate, ehe eine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen werde.

Kein Grundbuchauszug

Auf der anderen Seite prüfe die Bundesagentur für Arbeit kaum, ob Langzeitarbeitslose tatsächlich Anspruch auf die Hilfen hätten. Bei neuen Anträgen hätten die Jobagenturen die Vermögensverhältnisse in sieben von zehn Fällen "nicht oder nicht ausreichend geprüft". Sie hätten kaum Kontoauszüge angefordert. Und Immobilienbesitzer mussten keinen Auszug aus dem Grundbuch vorlegen.

Auf den Nenner gebracht bedeutet das aber, dass die Vermittlung von Arbeitslosen nicht erfolgreicher und auch nicht billiger geworden ist als vor Einführung der Arbeitsmarktreform. Ein desaströses Ergebnis, bedenkt man die tiefen Einschnitte, die viele der früheren Arbeitslosenhilfe-Empfänger mittlerweile ja durchaus hinnehmen müssen.

Die Logik des Jahres 2004

Als sie im Sommer 2004 auf die Straße gingen um gegen die Kürzungen zu demonstrieren, wurde ihnen vollmundig versprochen, dass ihre neue Genügsamkeit insgesamt zu ihrem besten Nutzen sei. Die Bescheidung auf niederste Ansprüche würde es nämlich ermöglichen, die Arbeitslosen schneller wieder in Lohn und Brot zu bringen - so die damalige Logik.

Die Realität des Jahres 2006 sieht nun hingegen so aus: Arbeitslosigkeit - hoch, Staatsausgaben - hoch, Arbeitslosengeld für Bedürftige - gering.

Diese Arithmetik ist auf den ersten Blick allerdings kaum nachzuvollziehen: Wenn der Staat seine Leistungen kürzt und am Ende sogar auf höheren Ausgaben sitzen bleibt, dann muss irgend etwas massiv falsch gelaufen sein.

Wo aber liegt nun der Fehler? Das schlimme daran: Das weiß niemand so genau.

Aufstocker

Ein Erklärungsversuch bezieht sich auf die überraschend hohe Zahl der berufstätigen Arbeitslosengeld-II-Bezieher, die nach Schätzungen nun bei knapp einer Million Menschen liegen soll. Ursprünglich hatten die Hartz-IV-Architekten lediglich mit 200.000 solcher Aufstocker gerechnet.

Diese Fehlkalkulation wundert die Arbeitsmarktexpertin Barbara Riedmüller von der Freien Universität Berlin allerdings nicht. "Die haben sich die Zahlen eben nicht genau angeschaut", kritisiert sie die verantwortlichen Politiker.

Schließlich habe es schon im alten System etliche Sozialhilfebezieher mit einem Hinzuverdienst gegeben. Der Trend auf dem Arbeitsmarkt gehe zudem zum Minijob oder 1/3-Job, etwa im Einzelhandel. Insofern sei es nicht erstaunlich, dass Niedrigsteinkommen zunehmend nicht mehr zum Leben reichten und mit dem Arbeitslosengeld II alimentiert werden müssten.

"Uralt-Thema"

Einen weiteren Grund für die ausufernden Kosten meinen die Fraktionsvorsitzenden Peter Struck (SPD) und Volker Kauder (CDU) in der explosionsartigen und unvorhersehbaren Vermehrung der Bedarfsgemeinschaften auf vier Millionen ausgemacht zu haben. Aber auch dieses Lamento kommt nach Ansicht der Wissenschaftlerin Riedmüller verspätet. Dies sei ein "Uralt-Thema" der Sozialpolitik. Falsch-Deklarierungen durch Fürsorgeempfänger seien eben noch nie vollständig aufzuklären gewesen.

Die Wissenschaftlerin erklärt sich die Kostenexplosion durch eine Verhaltensänderung der Betroffenen: "Ich vermute, dass sich heute mehr Bedürftige an den Staat wenden, weil es einfacher ist zum Arbeitsamt zu gehen als zum Sozialamt". Schließlich gebe es bestimmte Bevölkerungsgruppen wie etwa Jugendliche oder Ausländer, die schon immer einen Bezug zum Arbeits- nicht aber zum Sozialamt gehabt hätten.

Kaum Daten

Noch könne sie diese Vermutung allerdings nicht mit harten Zahlen untermauern, schränkt Riedmüller ein. Denn die offiziell verfügbare Datenlage sei sehr schwach.

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