Hannover-Messe:So machen's die Schweden

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Das Land ist in diesem Jahr Partner der Hannover-Messe. Es treibt die Digitalisierung voran - und bringt damit deutsche Lobbyisten und Unternehmer ins Schwärmen.

Von Elisabeth Dostert, Stockholm

David Modig, 38, sieht aus wie ein zufriedener Mann. Er ist Chef des gleichnamigen Mittelständlers aus Virserum in der schwedischen Provinz Småland. Auf dem Weg von Stockholm in die Ortschaft im Süden des Landes weisen Straßenschilder den Weg zur Astrid-Lindgren-Welt und zum Nils-Holgersson-Park in Vimmerby. Für die Geschichten von Pippi Langstrumpf und das von Selma Lagerlöf erzählte Märchen des Jungen, der mit den Wildgänsen fliegt, ist Schweden bekannt.

Den Mittelständler aus Virserum kennt kaum jemand. David Modig freut sich über die Gäste, er hat viel zu erzählen, und er will seine Firma zeigen. Auf den letzten Metern zum Eingang der unscheinbaren Fabrik hat er einen roten Teppich ausgerollt und messingfarbene Ständer mit roten Kordeln aufgestellt. Das Maschinenbauunternehmen ist ein Hidden Champion, einer dieser verborgenen Weltmarktführer, von denen es besonders viele in Deutschland gibt, aber eben auch in Schweden.

Modig stellt Maschinen für die Metallbearbeitung her. Mit Abstand größter Abnehmer ist die Luftfahrtindustrie. Zu den Kunden zählen Boeing, Airbus, Embraer, Bombardier und Saab, alles was Rang und Namen hat. Modig hat keine Angst vorm Fliegen: "Ich weiß ja, dass wesentliche Teile auf unseren Maschinen hergestellt wurden." Es gibt auch neue Kunden. "Es gab auch schon eine Anfrage von Tesla für Maschinen zur Bearbeitung von Aluminium", erzählt Modig. Einzelheiten nennt er nicht. "Wir müssen unsere Abhängigkeit von der Luftfahrtindustrie senken", das weiß er.

Schweden ist in diesem Jahr Partnerland der Industrieschau Hannover-Messe. Sie zeigt, wie die Digitalisierung in der Produktion und in den Fabriken fortschreitet.

In vielen Ranglisten, die die Innovationskraft messen, liegen die Skandinavier vorne

Über Schweden geraten deutsche Unternehmer und Lobbyisten ins Schwärmen. Was ihnen gefällt: Im Vergleich zu den Skandinaviern wirken die Deutschen geradezu technikfeindlich und bange, wenn es um ihre Daten geht. Pippi Langstrumpf würde die digitalen Möglichkeiten lieben, auf Instagram Fotos ihrer Abenteuer posten und Millionen Follower auf Facebook begeistern. Und Nils Holgersson würde auf Drohnen fliegen statt auf Gänsen.

"In Schweden hat niemand ein Problem damit, für den Kauf einer Zugfahrkarte den kompletten Namen am Automaten einzugeben. Das ist ganz normal", sagt Jochen Schäfer, Volkswirt des Zentralverbandes Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI). Es gibt auch Gemeinsamkeiten. Schweden ist ein Hochlohnland - wie Deutschland. Es fehlen Fachkräfte - wie in Deutschland. "Es bleibt den Schweden gar nichts anderes übrig, als die Automatisierung voranzutreiben", sagt Schäfer.

Das Modul eines Wellenkraftwerks des Start-ups Corpower Ocean bei Tests in der Schottischen See. (Foto: oh)

Wer heute von Automatisierung redet, meint Industrie 4.0, die Digitalisierung der Fabrik und die Vernetzung von Maschinen, Produkten und Mensch. Dafür bestellen schwedische Unternehmen auch kräftig Waren in Deutschland. 2018 lieferte ihnen die deutsche Elektroindustrie Waren im Wert von 5,2 Milliarden Euro. "Schweden hat sich entschieden, auf die Chancen des digitalen Wandels zu setzen", sagt Schäfer. Er zieht Vergleiche. Drei Viertel der schwedischen Unternehmen können ihm zufolge bereits auf schnelles Internet zugreifen, in Deutschland sei es nur gut die Hälfte.

Für die Stärke und das Wohlergehen des Landes gibt es viele Maßstäbe. Schweden zählt zu den Ländern, in denen sich die Menschen sehr wohlfühlen. Schweden belegt in vielen Indizes vordere Plätze, etwa im World Happiness Report, im Digital Evolution Index, der sowohl den Stand als auch das Momentum der Digitalisierung misst, im Innovationsranking 2018 der EU-Kommission landete Schweden erneut auf dem ersten Platz. Als besondere Stärken hebt die EU-Kommission das innovationsfreundliche Umfeld und die Arbeitskräfte hervor. In absoluten Zahlen ist Schweden mit rund zehn Millionen Einwohnern ein Zwerg, aber vergleichbar gerechnet ein Riese, der wohl vieles richtig macht.

Männer wie Modig machen Schweden stark. Die Geschichte liest sich wie die einer deutschen Maschinenbaufirma. Mit 70 Mitarbeitern und rund 45 Millionen Euro Umsatz ist Modig ein Mittelständler, aber groß in seiner Nische. 90 Prozent der Erlöse generiert Modig nach eigenen Angaben in den USA. "Ich hätte gerne ein Werk dort, aber wir sind ein Mittelständler. Es geht nicht alles", sagt David Modig. Sie haben gerade in Kalmar, eine Autostunde von Virserum entfernt, für neun Millionen Euro ein Werk gebaut. Einige Mitarbeiter arbeiten schon dort, im April wollen sie den Umzug abschließen. In Virserum sollen dann noch Baugruppen gefertigt und die alten Gebäude als Lager genutzt werden. Mittelfristig wollen die Modigs den Umsatz auf rund 100 Millionen Euro verdoppeln.

David führt die Firma in der dritten Generation. Die Schule habe er nach der neunten Klasse verlassen, erzählt er: "Ich bin in der Fabrikhalle aufgewachsen, ich hatte viele Lehrer." Gemeinsam mit seinem Vater Percy konstruiert er die Maschinen, nur sie beide. Sie fangen immer mit einer Zeichnung auf Papier an, ehe es an die Konstruktion am Computer geht. Percy und David "lieben und denken Maschinen", heißt es im Vorwort der Firmenchronik. Es sind Kunden wie Modig, zu denen deutsche Firmen wie Lapp oder Beckhoff einladen. Sie sind vom gleichen Schlag: Familienunternehmen, Spezialisten, Hidden Champions, weltweit tätig. Und wie viele Länder fördert Schweden Start-ups, als Nachschub für den Mittelstand.

"Auf Tausend Beschäftigte kommen in Schweden 20 Start-ups. In den USA sind es fünf", sagt ZVEI-Mann Schäfer. Bezogen auf die Einwohnerzahl gebe es in keiner Stadt außerhalb des Silicon Valley so viele "Einhörner", also Start-ups mit einer Bewertung von mindestens einer Milliarde Dollar wie in Stockholm. Jedes Lob, das Schäfer ausspricht, klingt wie ein Tadel, mehr noch wie eine Mahnung an Deutschland aufzuholen. Der Ursprung der "lebhaften schwedischen Digitalwirtschaft" reicht Schäfer zufolge zurück bis in die erste Hälfte der 1990er-Jahre. Nach der schweren Bankenkrise habe die schwedische Regierung die Steuern für Unternehmen gesenkt, kleinere Firmen entlastet und den Markt für ausländische Wettbewerber geöffnet. Der Erwerb von PCs sei steuerlich begünstigt worden, und das Land habe bereits in den Ausbau schneller Telekommunikationsnetze investiert, als die Verbreitung des Internets gerade erst ihren Anfang genommen habe. "Schwedische Unternehmen konnten früher als andere mit neuen Technologien experimentieren", sagte Schäfer Mitte Februar in Stockholm während einer Reise, zu der die Hannover-Messe Journalisten eingeladen hatte. Später habe es dann auch finanzielle Anreize für Firmengründungen und Wagniskapitalgeber gegeben. "In Schweden sind die Start-ups besser mit den Konzernen vernetzt", sagt ZVEI-Volkswirt Schäfer.

Das Land hat eine lange Technologie-Geschichte. Gründer wollen sie fortschreiben

"Es gibt keine Berührungsängste zwischen Wissenschaft und Wirtschaft", sagt Lena Miranda, Chefin des Parks Science Park Mjärdevi in Linköping, eines der ältesten Technologieparks in Schweden. Ihn gibt es seit Mitte der 80er-Jahre. Start-ups, Wissenschaft, Wirtschaft und Investoren arbeiten dort eng zusammen. Fast 400 Firmen haben sich angesiedelt. "Schweden hat eine lange Technik-Geschichte", sagt Miranda. Diese Geschichte wollen sie in solchen Parks fortschreiben. Traditionskonzerne wie der Netzwerkausrüster Ericsson sitzen dort. Wie in vielen Gründerzentren suchen die etablierten Firmen die Nähe zu Gründern, sie wollen voneinander lernen. Einer der Gründer des Internet-Dienstes Skype stammen aus Schweden. Die Basistechnologien für Streamingdienste wie Netflix seien hier entwickelt worden, sagt Miranda: "Wir wollen Individuen dabei helfen, ihre Träume wahr zu machen."

Es sind Start-ups wie Skymaker, gegründet 2013, die die Technologie-Geschichte Schwedens fortschreiben. "Wir wollen über unsere cloudbasierte Plattform Dynamaker die gesamte Wertschöpfungskette automatisieren - vom Kunden bis in die Fabrik", sagt Kristofer Skyttner, Vorstandschef und Gründer. Er sei ein großer Verfechter lokaler Produktion, das sei doch besser, als Waren rund um den Erdball zu schicken. Mit seiner Software will Skyttner die Fertigung nach Schweden zurückholen. Ganz leicht könne der Kunde online ein Produkt auf seine persönlichen Bedürfnisse zuschneiden und dann nach seinen Wünschen herstellen lassen. "Selbst meine Oma sollte in der Lage sein, ein Produkt vor dem Kauf nach ihren Wünschen zu konfigurieren", sagt Skyttner. Losgröße eins, eine der großen Verheißungen der digitalen Produktion. Die Maschinen seien dazu schon in der Lage. "Denen ist es egal, ob sie ein Teil einmal produzieren oder tausend Mal", sagt Skyttner.

Die Fika, die Kaffeepause zu festen Zeiten, ist ein gepflegtes Ritual in vielen Firmen

Ganz in der Nähe des Technologieparks in Linköping sitzt die schwedische Tochter des deutschen Sensorenherstellers Sick. Im Foyer hängt eine Kuckucksuhr. Die haben die Kollegen vom Firmensitz aus Waldkirch im Schwarzwald geschickt. "Wir machen Roboter smart. Sensoren sind die Augen und das Hirn des Roboters", sagt Bernhard Müller, Mitglied der Geschäftsleitung von Sick und zuständig für Industrie 4.0. Er ist voll des Lobes über die schwedischen Kollegen. "Die Schweden sind sehr offen, und die Kommunikation ist sehr direkt. Das führt schnell zum Ziel." Es wird viel und regelmäßig geredet. Die Fika, die Kaffeepause zu festen Zeiten, ist ein festes Ritual in vielen Firmen. Das pflegen sie.

Patrik Möller ist Mitgründer und Vorstandschef von Corpower Ocean. Das Unternehmen wurde 2009 gegründet und entwickelt Wellenkraftwerke. Die einzelnen Module sehen aus wie riesige Bojen. Sie sind gelb und blau gestrichen. Eine liegt diagonal in einer Maschinenhalle des Königlichen Instituts für Technologie in Stockholm. "Wir haben das nicht aus Spaß gemacht", sagt Möller: "Anders passte sie einfach nicht in die Halle." Die bisherigen Systeme seien "zu groß, zu schwer und zu teuer im Vergleich zur bisherigen Energieproduktion", sagt der Vorstandschef. Die Bojen sind Konverter, sie wandeln Wellenbewegungen in Energie um. "Die funktionieren wie ein Herz", so Möller. Das hat viel mit dem Gründer der Firma zu tun. Stig Lundbäck war Kardiologe.

Möller ist Seriengründer, er hat in den USA studiert. Für Corpower kann er sich keinen besseren Ort als Schweden vorstellen. In vier Runden hat Corpower 23 Millionen Euro eingesammelt, neben den Gründern sind die Beteiligungsfirma Inno Energy, Wave Energy Scotland, eine staatliche Initiative und die staatliche schwedische Energieagentur Energimyndigheten. Auch die EU fördert das Start-up finanziell. Die Firmenlogos und Namen der Industriepartner, mit denen das schwedische Start-up zusammenarbeitet, füllen fast eine DIN-A4- Seite. Das deutsche Familienunternehmen Beckhoff gehört dazu und Siemens.

Tests mit einem der Module 2018 in der Schottischen See seien sehr positiv verlaufen, erzählt Möller: "Das Modul hielt Stürmen stand und lieferte die gewünschte Energie." Das Wellenkraftwerk lasse sich leicht mit Windparks kombinieren, sagt er. Möller hat einen klaren Zeitplan. Eine Pilotanlage sei für 2022 geplant. Es gibt zwei potenzielle Standorte, einmal Orkney in Schottland und Aguçadoura in Portugal. "Wir gehen dahin, wo wir Geld bekommen."

© SZ vom 27.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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