Halbzeitbilanz der Großen Koalition: Konjunktur:Verwalter des Wohlstands

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In der Wirtschaftspolitik regiert das Mikromanagement.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Für die Konjunktur kann eine Bundesregierung nur bedingt etwas. Nach zehn Jahren Aufschwung kann eine Wirtschaft auch einmal schwächeln - und genau das passiert gerade. Prognose um Prognose wurde zuletzt nach unten revidiert; die Bundesregierung erwartete im Frühling nur noch ein halbes Prozent Wachstum für dieses Jahr. Womöglich aber ist das sogar noch zu optimistisch. Aber steuert die Koalition dagegen? Und sorgt sie für nachhaltiges Wachstum, auch im übertragenen Sinn? Die erste Hälfte der Legislaturperiode steht nicht gerade im Zeichen einer wirtschaftspolitischen Reformagenda, eher schon von Mikromanagement. Hier Erleichterungen für den Mittelstand, dort Entgegenkommen für die Industrie. Ein drittes Paket zur Bürokratieentlastung ist auf dem Weg, eine bundeseigene Agentur soll "Sprunginnovationen" fördern und damit ungeahnte Wachstumsfelder auftun. Geld fließt in den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, hinzu kommt der Versuch, das Wettbewerbsrecht an die digitale Welt anzupassen - in der etwa künstliche Intelligenz hilft, digitale Monopole zu schaffen. Die Koalition hat Regeln justiert, den Wohlstand mehr verwaltet als gestaltet.

Das liegt allerdings auch daran, dass sie bei wesentlichen Entwicklungen bestenfalls Zaungast ist. Zwar reiste Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gleich zu Beginn seiner Amtszeit nach Washington, um dort im Zollstreit zu vermitteln. Doch die Musik spielt in Handelsfragen in Brüssel; vom Streit zwischen Peking und Washington ganz zu schweigen. Auch beim anderen Schatten über der Konjunktur, dem Brexit, kann Berlin nur zuschauen. "Was wir an rückläufigem Wachstum, an enttäuschenden Zahlen erlebt haben, das ist zum überwiegenden Teil außenwirtschaftlich bedingt", sagt auch Altmaier.

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov)

Still und heimlich hat die Koalition ein Konjunkturpaket geschnürt, das sie aber anders nennt: das Klimaschutzprogramm 2030. Es wird zwar nach Auffassung vieler Experten den eigentlichen Zweck - nämlich die Erreichung künftiger Klimaziele - schuldig bleiben. Dafür aber soll es in den nächsten vier Jahren bis zu 54 Milliarden Euro unters Volk bringen. Knapp eine Milliarde könnte in die Sanierung von Häusern fließen, gefördert etwa durch steuerliche Anreize. Für die steuerliche Förderung von Elektroautos oder batteriebetriebenen Dienstwagen soll der Bund noch einmal eine halbe Milliarde locker machen. Fast fünf Milliarden sollen Haushalte und Unternehmen bis 2023 an der Ökostrom-Umlage sparen. Finanziert werden soll das alles aus Rücklagen und Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung. Es müsse gelingen, sagte der CSU-Politiker Alexander Dobrindt vor Kurzem, "ein Klimapaket auch mit einem Konjunkturpaket zusammenzubringen, um ein echtes Zukunftspaket zu schnüren". Wie sehr das Paket wirklich in eine emissionsärmere Zukunft führt, bleibt dagegen erst einmal fraglich.

Denn auch an anderen Stellen hat die Zukunft zuletzt eine Pause eingelegt. Zwar strebt die Bundesregierung an, den Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 auf 65 Prozent anzuheben. Doch der Ausbau der Windenergie ist in diesem Jahr fast vollständig zum Erliegen gekommen. Zusätzliche Ausschreibungen für den Bau neuer Windparks, die der Koalitionsvertrag vorsah, trafen nur auf geringe Beteiligung - häufig wegen schleppender Genehmigungsverfahren vor Ort. Schon unkt Michael Vassiliadis, Chef der Bergbau-Gewerkschaft IG BCE, der Kohleausstieg hänge letztlich am Ausbau der Erneuerbaren. "Wenn wir das nicht auf den Zacken kriegen, werden wir auf die Nase fallen", sagt der Gewerkschafter. Was aber womöglich vielen seiner Kumpels ganz recht wäre.

Denn in Sachen Kohle hat sich tatsächlich einiges bewegt. Hatten Union, FDP und Grüne in den Verhandlungen über ein Jamaika-Bündnis noch erbittert gestritten, wie mit der Kohle umzugehen sei (und letztlich das gemeinsame Regieren ganz gelassen), räumte die große Koalition das Thema über eine Kommission ab. Schrittweise trennt sich die Republik nun vom klimaschädlichen Kohlestrom, bis spätestens 2038. Abgehakt aber ist das alles nur bis zum nächsten Wahlkampf, Kohle und Klima kommen wieder. Die Konjunktur könnte der Koalition dann paradoxerweise nutzen: In Zeiten wirtschaftlicher Flaute wünschen sich viele Bürger Stabilität.

© SZ vom 04.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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