Gutachten zur Bahn:"Kein Börsengang mit Netz"

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Die Bahn soll sich von ihrem Schienennetz trennen. Nur so sei es möglich, den Wettbewerb zugunsten der Kunden auszubauen, erklären die Wirtschaftsverbände BDI und DIHK. Bahnchef Mehdorn hat den BDI vor solchen Aussagen gewarnt.

Von Ulf Brychcy und Klaus Ott

Über die Zukunft der bundeseigenen Deutschen Bahn (DB) wird erneut heftig gerungen. Weitgehend unstrittig ist, dass der Transportkonzern an die Börse geführt werden soll.

Über das Gleisnetz der Bahn wird schon seit längerem diskutiert. (Foto: Foto: dpa)

Offen sind allerdings der Zeitpunkt der ersten Teilprivatisierung und vor allem die Frage, ob sich die Bahn einschließlich ihres etwa 35.000 Kilometer langen Schienennetzes an den Kapitalmarkt wagen soll. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sprechen sich für eine strikte Trennung von Betrieb und Gleisanlagen aus.

"Kein Börsengang mit Netz", heißt es in einem von BDI und DIHK in Auftrag gegebenen Gutachten, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Die Schienentrassen seien ein wichtiger und unverzichtbarer Teil der öffentlichen Infrastruktur. Zudem sei der Bahnkonzern einschließlich des hochdefizitären Gleisnetzes nur schwer und mit erheblichen Risiken für den Bund privatisierbar.

"Widerspruch"

Die Gutachter warnen unter anderem davor, dass die "kurzfristigen Rentabilitätserwartungen der Investoren in ständigem Widerspruch zur Langfristigkeit von Infrastrukturprojekten" stünden.

Das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen der Bahn und den Wirtschaftsverbänden dürfte sich nun weiter abkühlen. Bahnchef Hartmut Mehdorn hatte den BDI frühzeitig vor einem solchen Vorstoß gewarnt. Es sei "mehr als befremdlich", dass eine solche Studie in Auftrag gegeben werde, ohne mit der DB zu sprechen, schrieb Mehdorn schon am 19. August 2004 an den BDI.

Der Vorstandschef fragte, warum der BDI dies nicht auch schon vor den Börsengängen der früheren Staatsunternehmen Lufthansa, Post und Telekom getan habe. Da die Bahn bei der Aufgabenstellung für das Gutachten wie auch bei der "sogenannten Expertenauswahl nicht beteiligt oder befragt wurde, sind wir auch nicht am Gutachten und seinem Ergebnis interessiert", erklärte Mehdorn. "Wir kennen das Resultat schon im voraus."

Negativ-Beispiel Großbritannien

Die von den Industrieverbänden beauftragten Gutachter vertreten die Ansicht, Anleger würden wegen ihrer Renditeerwartungen zwangsläufig darauf drängen, dass "Netzinvestitionen auf das Nötigste reduziert" und dass viele Nebenstrecken abgebaut werden müssten. Dies habe zuletzt die fehlgeschlagene Privatisierung des Gleisnetzes in Großbritannien gezeigt.

Aus verkehrspolitischer Sicht sei dies aus zwei Gründen nachteilig. Einerseits bleibe das langfristige Wachstumspotenzial der Schiene bei einem renditegetriebenen Abbau der Infrastruktur unerschlossen.

Andererseits zeichne sich ab, dass die privatisierte, unter Druck des Kapitalmarktes geratene Bahn ihre Monopolstellung beim Netz stärker als bislang ausnutzen werde. Konkurrierende Bahnunternehmen, die beim Schienennahverkehr erst über einen Marktanteil von zwölf Prozent verfügten und im Fernverkehr sogar nur auf weniger als ein Prozent kommen, hätten es dann noch erheblich schwerer. "Verlierer sind vor allem die Nutzer."

Bemerkenswert ist, dass das von den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft herausgebene Gutachten unverblümt vor der Erpressbarkeit des Bundes warnt. "Der private Investor kann dem Staat die Bedingungen der Zusammenarbeit in der Praxis weitgehend diktieren", heißt es.

"Im Zweifel am Staat schadlos halten"

Da das System Schiene in hohem Maße von Zuwendungen der öffentlichen Hand lebe, sei es für den Investor rational, sich im Zweifel am Staat schadlos zu halten. Die Politik habe dann keine Alternative, "weil sie andernfalls den privaten Investor enteignen müsste."

Die Gutachter, zu denen die Beratungsunternehmen Uniconsult und KCW aus Hamburg sowie Steer Davies Gleave aus London gehören, warnen auch vor verteilungspolitischen Problemen. Der Finanzierungsanteil der öffentlichen Hand am Verkehrssystem Schiene liege derzeit bei jährlich zehn Milliarden Euro und bleibe dauerhaft hoch.

"Steuerzahler finanziert Rendite"

ie zu erwartende Rendite der Bahnaktie würde mindestens zur Hälfte durch den Steuerzahler finanziert. "Die Kosten des Systems Schiene wären überwiegend sozialisiert, die Gewinne bei wenigen institutionellen Anlegern privatisiert", sagen die Gutachter.

BDI und DIHK sprechen sich daher lediglich für eine Privatisierung der so genannten Transportgesellschaften der DB aus. Der Bund müsse entscheiden, wann sein Unternehmen wirtschaftlich so weit sein werde und ob das Börsenumfeld einen Verkauf der Bahn attraktiv erscheinen lasse.

Das Schienennetz müsse dauerhaft im staatlichen Eigentum bleiben. Um Wartung, Aus- und Neubau könne sich eine private Gesellschaft kümmern. Bei der Infrastrukturbewirtschaftung solle mehr Wettbewerb etabliert werden, um Effizienzpotenziale im Netz heben zu können.

© SZ vom 28.06.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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