Gutachten:Länder fürchten um Bahnhöfe

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Bundesverkehrsminister Tiefensee gerät mit seinen Plänen für die Bahnprivatisierung zunehmend in die Defensive, denn die Verkehrsminister dreier Bundesländer wollen Nachbesserungen - andernfalls könne das Gesetz im Bundesrat durchfallen.

Michael Bauchmüller

Bei einem Treffen mit Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) pochten die Länderminister am Montag auf mehr Mitsprache beim geplanten Börsengang der Deutschen Bahn. "Ich kann den Verkehrsminister nur bitten, die Länderinteressen ernster zu nehmen", sagte Sachsen-Anhalts Verkehrsminister Karl-Heinz Daehre. "Der Börsengang steht auf der Kippe", warnte er. Zuvor hatten die Länder offiziell die Ergebnisse eines Gutachtens vorgestellt, das sie Anfang August in Auftrag gegeben hatten. Es sollte klären, inwieweit die Länder von dem Vorhaben betroffen wären.

Dem Gutachten zufolge könne die Privatisierung mancherorts die Stilllegung von wenig genutzten Bahnhöfen nach sich ziehen. "Für Sachsen-Anhalt könnte das bedeuten, dass wir 50 Prozent unserer Stationen schließen", sagte Daehre, der das Gutachten mit seinem nordrhein-westfälischen Kollegen Oliver Wittke (CDU) und Brandenburgs Verkehrsminister Dellmann (SPD) vorstellte. Bis zu 10000 Bahn-Kilometer seien "mittelfristig stilllegungsgefährdet"; die Länder müssten zudem bis 2011 eine Milliarde Euro mehr für ihren Regionalverkehr ausgeben als bisher. Auch werfe das Gutachten "erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken" für das Gesetz auf.

Sowohl Tiefensee als auch die Bahn wiesen die Erkenntnisse der Gutachter zurück. Innen- und Justizministerium hätten seinen Gesetzesentwurf "uneingeschränkt" für verfassungskonform erklärt, sagte Tiefensee. Offen ließ er, wann Bundestag und Länderkammer über die Bahn entscheiden könnten. "Ich weiß, dass man sich genügend Zeit nehmen wird." Bahnchef Hartmut Mehdorn will das Unternehmen schon kommendes Jahr an die Börse bringen.

Erste Lesung am Freitag

Das Gutachten ändere daran nichts, sagte Bahn-Vorstand Otto Wiesheu. "Diese Aussagen führen in der aktuellen Diskussion nicht weiter." Weder gebe es Belege für eine Mehrbelastung der Länder, noch würden 10000 Kilometer Strecke abgebaut. "Die Deutsche Bahn selbst kann keine Strecken stilllegen", sagte Wiesheu. Auch sei der Nahverkehr Sache der Länder. "Sie entscheiden, wo und wie viel Verkehr auf der Schiene in der Fläche stattfindet." Wiesheu sucht derzeit den Kontakt zu den Ländern, um deren Vorbehalte auszuräumen.

Der Bundestag will schon am Freitag in erster Lesung über das Privatisierungsgesetz beraten. Es sieht vor, der Bahn das Schienennetz samt Stromversorgung und Bahnhöfen für 15 Jahre zu überlassen. Der Bund bliebe zwar juristischer Eigentümer, die Bahn könnte es allerdings in ihrer Bilanz führen. Bislang ist eine solche Konzeption in Deutschland beispiellos.

Eine scharfe Regulierung und detaillierte Abmachungen über die Pflege des Schienennetzes sollen nach Vorstellung des Bundes verhindern, dass die Bahn ihren Einfluss auf das Schienennetz zu Lasten Dritter ausnutzt. Die Länder fürchten, die Bahn könnte ihre Hoheit dennoch nutzen, die Trassen-Gebühren deutlich anzuheben. "Auf Kosten der Länder würde die Netzgesellschaft höhere Gewinne machen", warnte NRW-Minister Wittke. "Und die Fläche wird von der Bahn abgekoppelt."

Minister signalisiert Kompromissbereitschaft

Tiefensee sagte zu, den Ländern in einigen Punkten entgegenzukommen. So sei zu klären, wie sich die Qualität der Bahn-Anlagen erhalten lasse und wie der Nahverkehr auf der Schiene noch weiter gestärkt werden könne. Auch über die Höhe der Regionalisierungsmittel, die die Länder vom Bund für den Nahverkehr erhalten, will Tiefensee verhandeln. Die Länderverkehrsminister wollen bei einer Sonderkonferenz nächste Woche das weitere Vorgehen beraten. Nach jetzigem Stand wäre unsicher, ob das Bahngesetz im Bundesrat eine Mehrheit fände.

Verbraucherschützer forderten am Montag, das Projekt Börsengang grundlegend nach dem Gutachten zu überarbeiten. "Das Tiefensee-Modell ist inhaltlich wie verfassungsrechtlich nicht mehr tragbar", sagte Holger Krawinkel, Bahnexperte beim Bundesverband der Verbaucherzentralen. "Das Netz gehört weiter in staatliche Hände." Dagegen äußerte sich Unions-Fraktionschef Volker Kauder zurückhaltend. "Die Notwendigkeit eines solchen Gutachtens erschließt sich mir nicht", sagte Kauder.

© SZ vom 18.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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