Güterzüge:Schlaflos an der Schiene

Lesezeit: 2 min

Güterzüge in Maschen bei Hamburg: Was gut für das Klima ist, wird für Anwohner von Bahnstrecken zum Problem. (Foto: Fabian Bimmer/Reuters)

Güter sollen auf die Bahn verlagert werden. Anwohner fürchten aber mehr Lärm.

Von Markus Balser, Berlin

Was sich da vor gut zwei Wochen im beschaulichen Windesheim bei Bad Kreuznach in Rheinland-Pfalz abgespielt hat, steht für einen Streit im ganzen Land. Eine alte Diesellok war über die still gelegte Strecke der Hunsrückquerbahn geschickt worden, um zu testen, ob hier bald wieder Güterzüge rollen können. Der Empfang fiel frostig aus. In Windesheim wurde die betagte Lok von einer Bürgerinitiative mit Protestplakaten begrüßt: "Keine Züge nachts", hieß es da und: "Wir fordern Lärmschutz."

Im ganzen Land soll in den nächsten Jahren der Güterverkehr auf der Schiene stark wachsen. Die Klimaziele der Bundesregierung für den Verkehrssektor sehen eine massive Verlagerung vor. Das Problem ist nur, dass der Ausbau kaum zu überhörende Probleme mit sich bringt. Denn Güterzüge sind vor allem auf viel befahrenen Trassen wie dem Rheintal mit Hunderten Verbindungen pro Tag ein massives Lärmproblem für die Anwohner.

Ein Bahnverband und das Umweltbundesamt gingen deshalb am Montag in die Offensive und fordern: Die Güterbahnen müssen in Deutschland deutlich leiser werden. "Sie verursachen an vielen Stellen immer noch zu viel Lärm", warnt Dirk Flege, Geschäftsführer des Interessenverbands Allianz pro Schiene. Der Schienensektor stehe vor gewaltigen Infrastruktur-Investitionen, die im Interesse des Klimaschutzes auch dringend notwendig seien. Dafür bräuchten Bahn und andere Unternehmen die Unterstützung der Bevölkerung. Die bekomme die Branche jedoch nur, wenn sie "alle Anstrengungen für eine weitere Geräuschreduzierung unternehmen".

Auch die zuständigen Behörden sehen Probleme und mahnen von Politik und Unternehmen Verbesserungen an. "Im dicht besiedelten und verkehrsreichen Deutschland sind weite Teile der Bevölkerung von Lärm betroffen, der die Gesundheit vieler Menschen beeinträchtigt und ihre Lebensqualität mindert", sagt René Weinandy, der zuständige Leiter des Fachgebiets Lärmminderung im Verkehr beim Umweltbundesamt. Besonders beim Schienengüterverkehr träten nachts hohe Lärmbelastungen für Anwohnerinnen und Anwohner auf. Das sei die ökologische "Achillesferse" der Bahn, sagt Weinandy.

Ein nationales "Verkehrslärmschutzpaket" sah bereits 2008 vor, den Schienenlärm bis 2020 zu halbieren. Doch auch wenige Monate vor dem Auslaufen des Ziels ist die Umrüstung der Waggons und Lokomotiven noch nicht abgeschlossen, obwohl zum Fahrplanwechsel Anfang Dezember keine lauten Güterwagen mehr rollen dürfen. Noch immer sind gut 20 000 der rund 180 000 registrierten Waggons in Deutschland nicht auf leise Technik - vor allem leisere Bremssysteme - umgerüstet. Wird das Ziel verfehlt, alle Wagen umzurüsten, hätte das Folgen. Leise sind die Züge nur, wenn so gut wie alle Wagen im Verband mit modernen Bremsen ausgerüstet sind. Als leise gelten deshalb nur Züge mit mindestens 90 Prozent Wagen, die auch wirklich eine solche Flüsterbremse haben.

Verbände und Umweltbundesamt fordern nun neue Ziele und Maßnahmen. Politik und Branche müssten sich nach der Umrüstung der Wagen jetzt um die Reduzierung der Geräusche durch Triebfahrzeuge, durch das Rangieren und Parken von Fahrzeugen und durch Baustellen kümmern. Ein konkretes Ziel für den Schienenverkehr könnte sein, die Zahl der von Schienenlärm betroffenen Personen bis 2030 um 20 Prozent zu senken, sagt Flege.

Zudem traut das Bündnis offenbar der Zusage der Branche nicht, von Ende des Jahres an nur noch leise Güterwagen einzusetzen. Dieses Ziel müsse in jedem Fall überwacht werden, hieß es am Montag. Falls trotz Einsatzverbots noch laute Güterwagen aus dem Ausland auf das deutsche Schienennetz gelangten, griffen die gesetzlich vorgesehenen Sanktionen, heißt es in einem Positionspapier von Verband und Umweltbundesamt. In Windesheim könnten trotz allem bald die nächsten Proteste folgen. Denn schon im Dezember sollen über die stillgelegte Hunsrückquerbahn wieder die ersten Güterzüge rollen.

© SZ vom 18.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: