Grundsatzurteil in Luxemburg:Gericht erleichtert Dumping-Löhne

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Der Europäische Gerichtshof erschwert den deutschen Kampf gegen Lohndumping: In einem Urteil vom Donnerstag hat er verboten, öffentliche Aufträge an die Einhaltung von bestimmten sozialen Standards zu binden. Die IG-Bau wertete das Urteil als weiteren Schritt zum Raubtierkapitalismus.

Heribert Prantl, Nina Bovensiepen und Daniela Kuhr

Bund, Länder und Gemeinden in Deutschland dürfen nach dem Urteil bei der Vergabe ihrer Aufträge nicht mehr die Zahlung des ortsüblichen Tariflohns verlangen.

Damit setzt sich das höchste EU-Gericht in Luxemburg in Widerspruch zum Bundesverfassungsgericht, das 2006 die Abgabe einer Tariftreueerklärung bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge ausdrücklich erlaubt hatte.

Das höchste deutsche Gericht hatte den Eingriff in die Koalitionsfreiheit und die Berufsfreiheit im Interesse der sozialen Sicherheit für gerechtfertigt gehalten.

Gewerkschaften kritisieren Urteil

Gewerkschaften und Politiker von SPD, Grünen und Linken kritisierten das Luxemburger Urteil. Die Richter stellten die Interessen der Wirtschaft über soziale Mindeststandards, sagte SPD-Vize Andrea Nahles der Süddeutschen Zeitung.

Das Urteil des EuGH richtet sich konkret nur gegen eine Vorschrift im niedersächsischen Landesvergabegesetz. Nach Ansicht des Bonner Arbeitsrechtlers Gregor Thüsing dürften damit aber sämtliche bundesweit bestehenden Tariftreuegesetze in ihrem wesentlichen Kern europarechtswidrig sein.

Nach Angaben von Gewerkschaften gibt es in acht Bundesländern entsprechende Gesetze. Auch für die große Koalition ist das Urteil von Bedeutung: Union und SPD streiten derzeit über die Einführung bundesweiter Branchen-Mindestlöhne und verhandeln über eine Reform des Vergaberechts.

SPD: Tariftreue festschreiben

Das Gesetz legt die Kriterien für die Vergabe öffentlicher Aufträge fest. Nahles, die auch arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion ist, setzt sich dafür ein, in dem bereits vorliegenden Gesetzentwurf ebenfalls die Tariftreue festzuschreiben.

Laut der Vorschrift im niedersächsischen Vergaberecht, mit der sich der EuGH befasste, dürfen Bau-Aufträge nur an Firmen gehen, die ihren Arbeitnehmern mindestens das tarifvertraglich vorgesehene Entgelt zahlen.

Darin sehen die Richter einen Verstoß gegen EU-Recht. In dem Fall hatte eine deutsche Firma den Zuschlag für Arbeiten an einem Gefängnis erhalten. Sie beauftragte einen polnischen Subunternehmer, der weder den Mindestlohn in der Baubranche noch den Tariflohn zahlte, sondern deutlich weniger.

Verstoß gegen EU-Richtlinie

Die EU-Richter entschieden jetzt, dass die niedersächsische Vorschrift europäischem Recht widerspreche, weil der vorgeschriebene Bautarifvertrag nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden war, sondern regional beschränkt sei. Daher verstoße er gegen die EU-Richtlinie zur Entsendung von Arbeitnehmern.

Über das Entsendegesetz können Mindestlöhne in einer Branche für allgemeinverbindlich erklärt werden. Auch ausländische Anbieter müssen sich dann daran halten.

In der Bauwirtschaft gilt das Entsendegesetz. Trotzdem haben viele Bundesländer spezielle Tariftreue-Klauseln für die Vergabe von Bau-Aufträgen eingeführt. Sie gehen teilweise über das Entsendegesetz hinaus.

Sozialer Schutz der Arbeitnehmer

Das Bundesverfassungsgericht hatte sich 2006 mit dem Berliner Tariftreuegesetz befasst und es gebilligt. Zur Begründung verwiesen die Richter auch auf den sozialen Schutz der Arbeitnehmer. Der EuGH verwarf dieses Argument mit dem Hinweis, es sei unlogisch, einen solchen Schutz nur auf öffentliche Aufträge zu erstrecken.

Nach Ansicht des Arbeitsrechtlers Thüsing würden nicht die Arbeitnehmer geschützt, sondern nur die regionale Wirtschaft. "Schließlich bekommt ein ausländischer Unternehmer den Auftrag im Zweifelsfall gar nicht, da er jeglichen Wettbewerbsvorteil verliert, wenn er den höheren Lohn zahlen muss."

Thüsing wertete die Tariftreuegesetze als Versuch, über einen Umweg Mindestlöhne zu erreichen. Der sei nun versperrt. "Umso wichtiger ist es, dass der Gesetzgeber nun eine sinnvolle Regelung zum Mindestlohn findet."

DGB: Mindestlöhne für alle Branchen

Das forderten auch die Gewerkschaften. DGB-Vorsitzender Michael Sommer sagte, die Bundesregierung müsse Mindestlöhne für alle Branchen schaffen.

Der Chef der Gewerkschaft IG Bau, Klaus Wiesehügel, nannte das Urteil "verheerend" für die Bauwirtschaft. "Es ist ein weiterer Schritt hin zum Raubtierkapitalismus, der dazu führen wird, dass die Bürger Europa endgültig ablehnen."

© SZ vom 04.04.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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