Grundig, AEG und nun Quelle?:Rhythmusstörungen in Franken

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Die Quelle-Pleite bremst den Aufschwung in Nürnberg, aber die Jobs der Zukunft bieten längst andere.

U. Ritzer und M. Szymanski

Wenn von Krise in Nürnberg die Rede ist, bedeutet dies, dass Gunther Wesche in der Regel gut zu tun hat. Aber das ist alles andere als eine gute Nachricht. Wesche, 54 Jahre alt, ist Projektleiter bei der Nürnberger Gesellschaft für Personalentwicklung und Qualifizierung (GPQ), einer Auffanggesellschaft für Unternehmen, die ihre Mitarbeiter nicht mehr bezahlen können.

Nürnberg und Fürth können auch ohne das Versandhaus Quelle überleben. (Foto: Foto: Reuters)

Gegründet wurde sie Mitte der neunziger Jahre, als es darum ging, den Niedergang des Traditionsunternehmens Grundig für die Mitarbeiter einigermaßen abzufedern. "Eigentlich wollten wir uns nach zwei Jahren wieder auflösen", sagt Wesche.

Aber mit Massenentlassungen bei Grundig in den neunziger Jahren fing der Niedergang der Industrieregion Nürnberg erst so richtig an. Einige Jahre später, 2007, wurde das AEG-Stammwerk geschlossen. Wesche hat immer geholfen, die Betriebe abzuwickeln. Bei 70 Unternehmen ist die GPQ eingesprungen, wenn dort Massenentlassungen anstanden. Und jetzt ist schon wieder Krise.

Drastischer Stellenabbau erscheint unausweichlich

Das Versandhaus Quelle kämpft ums Überleben - Massekredit hin oder her. Die Lage ist derart prekär, dass ein drastischer Stellenabbau unausweichlich zu sein scheint. Schlimmstenfalls stehen 6000 Arbeitsplätze in der Region auf dem Spiel. Die Existenzangst geht um.

Wesche weiß, wovon er spricht, er hat schon so viele Angestellte und Arbeiter betreut, wenn es hieß, sie würden nicht mehr gebraucht. Von den 1700 AEG-Angestellten kamen nach der Schließung des Werks im Jahr 2007 etwa 1350 zu ihm in die Auffanggesellschaft. Bis heute hat erst die Hälfte wieder Arbeit gefunden.

Ein Großteil der AEG-Belegschaft war nur angelernt und hatte daher ohnehin schlechte Karten auf dem Arbeitsmarkt. Dort werden fast nur noch gut Qualifizierte gesucht. Wesche sagt: "Aus Sicht der Betroffenen hat sich die Region noch lange nicht vom AEG-Niedergang erholt." Er hat auch immer noch eine Handvoll AEGler bei sich in Betreuung. Jetzt stehen ihm womöglich die Quelle-Mitarbeiter ins Haus.

"Das wäre ein Drama", sagt Jürgen Wechsler, Nürnbergs IG-Metall-Chef. "Die Erfahrung zeigt, dass solche Schließungen langfristig schwerwiegende Folgen haben." Die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Nürnberg gehört zu den höchsten im Freistaat - ein Indiz dafür, dass bestimmte Jobs unwiederbringlich verlorengehen.

Gerade erst Verlierer-Image abgeschüttelt

Aber auch für das Image wäre das Aus für Quelle schlimm. Wenn sich erstmal der Eindruck verfestigt hat, dass ein Ort eine Krisenregion ist, will dort auch kein Unternehmer mehr investieren. Gerade erst hatte es Nürnberg geschafft, dieses Verlierer-Image abzuschütteln.

Die Arbeitslosenquote war im November auf fünf Prozent gesunken, was für eine vom Strukturwandel so hart getroffene Region ein ausgesprochen guter Wert ist. Binnen drei Jahren war die Zahl der Arbeitslosen um 43 Prozent zurückgegangen.

Nürnberg hatte einen Aufschwung erlebt, aus eigener Kraft, aber auch durch viele staatliche Fördermillionen. Die Stadt hatte den Strukturwandel geschafft, hin zu mehr Dienstleistung und zukunftsträchtigen Produktionssparten.

Die früher recht unbedeutende Messe Nürnberg ist dabei, zur bundesweiten Nummer fünf aufzusteigen. Der Erfolg der Messe trägt den Namen der Stadt selbstbewusst in die Welt. Auch der Nürnberger Hafen hat sich gemacht und mit der GfK sitzt einer der größten Marktforscher in Nürnberg.

Das Bosch-Rexroth-Getriebewerk steht exemplarisch für den Wandel des Wirtschaftsstandortes. Der Bosch-Konzern war schon entschlossen, seine Produktion in Nürnberg zu verkleinern. Wo eigentlich 500 Arbeitsplätze gestrichen werden sollten, steht nun eine neue Fabrik.

Neue Fabrik in der Krise

Nach intensiven Verhandlungen vor allem mit dem Betriebsrat und der IG Metall baute man ein neues Werk für die Großgetriebe von Windkraftanlagen. 180 Millionen Euro investierte Bosch-Rexroth in die Fabrik, die für eine Wachstumsbranche fertigt. Bis zu 700 Menschen werden fast 1000 der 23 Tonnen schweren Getriebe pro Jahr an der Nürnberger Dieselstraße bauen.

Groß war daher die Freude bei der Einweihung der Fabrik Ende April. Ministerpräsident Horst Seehofer sprach von einem "mutigen Signal nach all den Hiobsbotschaften", von denen es reichlich im Ballungsraum gegeben hatte.

Nürnberg und Fürth können auch ohne das Versandhaus Quelle überleben. Die Jobs der Zukunft bieten längst andere. Aber ein Aus würde beide Städte in ihrer Entwicklung zurückwerfen. Nürnbergs Wirtschaftsreferent Roland Fleck (CSU) sagt: "Quelle ist ein gesamtbayerisches Thema." Der Versandhändler kaufe allein in Bayern jährlich Waren und Dienstleistungen im Wert von einer Milliarde Euro ein.

Fleck versichert, dass er an die Rettung glaubt. So halten es viele in Franken. Niemand will Quelle aufgeben - schon allein der Zahlen wegen. Quelle samt der Dachgesellschaft Primondo ist mit mehr als 6000 Arbeitsplätzen der fünftgrößte Arbeitgeber Nürnbergs. Als Grundig 2003 in die Insolvenz ging und am Ende zerschlagen wurde, hatte der Konzern damals 3800 Beschäftigte.

Bei dem AEG-Werk standen zuletzt noch 1750 Menschen in Lohn und Brot - ein Bruchteil der Quelle-Mitarbeiter. Aber schon damals fühlte es sich so an, als hätte das wirtschaftliche Herz der Region für kurze Zeit aufgehört zu schlagen.

© SZ vom 30.06.2009/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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