Glosse:Kordeln des Konsumwahns

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Diese Kordel soll verhindern, dass man kabellose Ohrhörer verliert. (Foto: PR)

Eigentlich wurden schnurlose Ohrhörer als Fortschritt angedient. Und nun? Gibt es Schnüre für schnurlose Ohrstöpsel.

Von Jürgen Schmieder

Wer wissen will, wie es um den Zustand der westlichen Welt bestellt ist, der sollte dieses unfassbare Angebot der amerikanischen Kaufhauskette Nordstrom kennen, veröffentlicht zwischen den beiden Feiertagen des Kapitalismus, die in Anlehnung an einen finstren Börsentag im Jahr 1929 - der übrigens ein Donnerstag gewesen ist - "Black Friday" und als Erinnerung an die finstren Seiten der Digitalisierung "Cyber Monday" genannt werden. Die Menschen stürmen am Abend des Thanksgiving-Festes - das übrigens am Donnerstag gefeiert wird - in die Läden, als würde am nächsten Tag, also am Freitag, die Welt untergehen. Sie kaufen dann so lange, bis die Kreditkarte verglüht oder endlich Montag-Mitternacht ist und die vermeintlichen Rabatte auslaufen.

Das unfassbare Angebot von Nordstrom ist eine Lederkordel für 60 Dollar, erhältlich in den Farben Blau, Weiß, Rot und Schwarz, und es ist freilich nicht irgendeine Kordel, sondern ein "Airpod Carrying Strap", also ein Bändchen zum Sichern bändchenloser Kopfhörer. "Sie werden niemals wieder ihre Airpods verlieren, wenn sie dieses gewebte Band um den Hals tragen", heißt es in der Reklame. Fantastisch, oder?

Zur Erinnerung: Es gibt bei Apple Kopfhörer mit Kabeln für 29 Dollar. Das ist bereits ein stolzer Preis, es werden am Black-Friday-Cyber-Monday-Wochenende auch Varianten für zwei Dollar feilgeboten - aber die sind freilich nicht so schick wie die Apple-Produkte. Es gibt aber eben auch die Airpods Pro mit einzigartiger Klangqualität, das Alleinstellungsmerkmal indes sind unter anderem die fehlenden Kabel, der Sound gelangt über Bluetooth zu den Stöpseln, die in der Luxusvariante 249 Dollar kosten. Die kabellose Ladestation gibt es für 79 Dollar, den Transmitter für Geräte ohne Bluetooth-Funk 55 Dollar.

Das Problem nur: Die Stöpsel fallen bei den Konsumgenerationen Boomer (derzeit 45 - 60 Jahre) und Millennial (20 - 35 Jahre) gleichermaßen gerne mal aus den Ohren. Und dann sind sie verschwunden oder kaputt. Die Lösung ist freilich nicht die Rückkehr zu herkömmlichen Kopfhörern, die mit einem Gerät verbunden sind und deshalb nicht verloren gehen können, sondern dieses zugegeben sehr schicke Bändchen für 60 Dollar, damit wieder Kabel an den Kopfhörern sind. Die baumeln um den Hals wie der Kragen eines Kaschmirpullis oder das Monogramm-Kettchen.

Das Prinzip dahinter hat Chuck Palahniuk bereits vor mehr als 20 Jahren in seinem unvergessenen Buch Fight Club beschrieben. Der Protagonist Tyler Durden bricht nachts in eine Schönheitsklinik ein und klaut dort das abgesaugte Fett. Daraus produziert er eine Luxusseife, die er an Kaufhausketten wie Nordstrom verkauft, versehen mit dem Kommentar: "Es ist wunderbar. Wir verkaufen reichen Frauen ihre eigenen fetten Hintern zurück."

© SZ vom 04.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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