Gewerbesteuer erreicht Rekordergebnis:Die Wahrsagerin zahlt, der Anwalt nicht

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Ortsansässige Firmen sind die wichtigste Geldquelle für Städte und Gemeinden. So viel Geld weckt Begehrlichkeiten - zum Beispiel bei den Bundesländern.

Joachim Käppner

Das Paradies ist hier nicht mehr. Dabei sieht alles aus wie immer: Noch immer weht der raue Wind vom Meer her durch Norderfriedrichskoog, noch immer hat das Dorf an der Nordseeküste kaum vier Dutzend Einwohner, noch immer lockt der Ferienhof Lorenzen Kinder mit bunten Bobbycars in Form von Traktoren.

Und doch ist alles anders: Norderfriedrichskoog ist kein Steuerparadies mehr. Die Gemeinde hatte Furore gemacht, als sie die Gewerbesteuer abschaffte respektive einen Hebesatz von null Prozent nahm.

Da dies auf dasselbe hinauslief, gab es in den hübschen Bauernhäusern bald mehr Briefkastenfirmen als Einwohner, sogar große Dax-Unternehmen gründeten mehr oder weniger virtuelle Niederlassungen, die hier Gewinne der Mutterhäuser verwalteten oder auch nicht.Sie waren jedenfalls da, aus Sicht der Kritiker Phantome eines seelenlosen Kapitalismus. Ihr Ziel: Gewerbesteuer zu sparen.

Rekordergebnis bei der Gewerbesteuer

Seit der Gewerbesteuerreform ist das nicht mehr möglich. Norderfriedrichskoog, das Steuerschlupfloch am Meer, ist ein Paradies von gestern, es muss jetzt Gewerbesteuer nehmen, trotzigerweise erhebt es den niedrigsten Satz in der Bundesrepublik. Dennoch, so heißt es: "Die Großen sind alle weg."

Die Gewerbesteuer sprudelt in Deutschland lebhafter als je zuvor. Im vergangenen Jahr waren es bundesweit 33 Milliarden Euro, ein Rekordergebnis. Vor allem die wirtschaftsstarken Zentren profitieren davon, der Erfolg spricht für sich.

Kaum zu glauben, dass der erbitterte Grundsatzstreit um die Gewerbesteuer gerade fünf Jahre her ist; dass die Wirtschaft damals, in Zeiten der Flaute, dagegen aufbegehrte; dass die Städte mit dem Rücken zur Wand standen.

Die Gewerbesteuer heute ist freilich nicht mehr das, was sie damals war: ein krisen- und konjunkturempfindliches Instrument für Schönwetterzeiten. Seit der Unternehmensteuerreform der großen Koalition taugt sie auch für Unwetter.

Die Schlupflöcher für Unternehmen sind wesentlich kleiner geworden. Zwar gibt es noch immer kuriose Ungleichheiten: Johannes Rau hatte als Gast des Städtetages einmal gespöttelt, in Deutschland zahle die Wahrsagerin Gewerbesteuer, die Anwaltskanzlei mit Dutzenden Mitarbeitern aber nicht.

Daran hat sich nichts geändert, weil das Bundesverfassungsgericht die Erfassung von Freiberuflern unterbunden hat. Doch ansonsten haben die Kommunalverbände in den vergangenen fünf Jahren fast alles durchgesetzt, was sie durchsetzen wollten.

Die Konzerne zahlen wieder

Die liebgewonnene Praxis von Firmen, Gewinne zwischen Töchterunternehmen im In- und Ausland hin und herzuschieben - großteils vorbei. Steuerfreiheit für Leasingraten, Pachten und Zinsen - vorüber. Es gilt nun, dass nicht Gewinne allein, sondern Kapitalentgelte besteuert werden.

Das merkwürdige Missverhältnis, dass Anfang des Jahrzehnts die Gewerbesteuerlast fast nur noch auf Familienbetrieben des Mittelstands lag - Schnee von gestern, die Konzerne zahlen wieder mit. Das alles verdanken die Kommunalverbände der großen Koalition.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Kommunen die Föderalismusreform fürchten.

Vorbei ist die Zeit, in der ein Bundeskanzler namens Schröder die Städte wie auszupressende Erbtanten als "reiche Verwandte" und den traditionsstolzen Städtetag als "den Gemeindeverband da" bezeichnete, was bedeutete: Die Kleinkrämer sollen sich heraushalten, wenn die Großen die Geschicke des Landes steuern.

Nur ging es eben genau um die Angelegenheiten der Kleinen, genauer: um ihr Geld. Die Rettung der Gewerbesteuer ist Udes größter Erfolg als Präsident des Verbandes, aber geschafft hätte er es nicht ohne zwei Verbündete aus dem Unionslager: seine Vorgängerin Petra Roth, CDU-Oberbürgermeisterin von Frankfurt am Main, und Josef Deimer, der fast vier Jahrzehnte lang für die CSU Landshut regierte und dem Bayerischen Städtetag vorstand.

Roth konfrontierte die CDU-Spitze im Wahlkampf 2005 damit, die kommunale Basis werde der Partei die Unterstützung verweigern, wenn im Wahlprogramm die Forderung nach Abschaffung der Gewerbesteuer stehenbleiben würde. Die Forderung fiel fort.

Und Deimer säte Schrecken in den Reihen der CSU, als er deren Bürgermeister für die Gewerbesteuer auf die Straße schickte. Noch dazu gab der Städtetag ein Gutachten beim Steuerrechtsprofessor Lorenz Jarass in Auftrag, wie denn die Gewerbesteuer stabiler zu gestalten sei. Sein Modell lag in weiten Teilen der Reform durch die große Koalition zugrunde.

Bei der SPD bremste ein veritabler Aufstand der Bundestagsfraktion Schröder und seinen damaligen Superminister Wolfgang Clement, die bei einem abendlichen Treffen am Maschsee der Gewerbesteuer ans Leder wollten.

Diese Regierung, so Schröders Botschaft, lässt sich in Sachen Wirtschaftsfreundlichkeit von niemandem übertreffen. Doch die Fraktion bot ihm Paroli: Die Gesetze machen wir, hieß der Schlachtruf der Abgeordneten, angeführt von den Finanzexperten Joachim Poß und Bernd Scheelen.

Föderalismuskommission befasst sich mit Gewerbesteuer

Das Ergebnis all dessen ist die heutige Praxis - und der neue Wohlstand der Kommunen, die nach Jahren heftiger finanzieller Krisen nun endlich wieder ordentlicher wirtschaften können.

Von Reichtum wird man nicht sprechen können: Noch immer sind die Städte insgesamt durch 28,4 Milliarden Euro Kassenkredite belastet, noch immer ist der Nachholbedarf bei der Sanierung von Straßen und Gebäuden enorm. Die fetten Jahre sind vielerorts noch nicht zurückgekehrt, aber insgesamt geht es doch deutlich bergauf.

Nun aber könnte sich der Wind wieder drehen - unter dem Banner des Föderalismus. Im Eckpunktepapier der Kommissionsvorsitzenden Peter Struck (SPD) und Günther Oettinger (CDU) heißt es, eine Arbeitsgruppe werde unter anderem die "Stärkung der Länder-Gesetzgebungskompetenz bei der Gewerbesteuer" prüfen.

In den Leitlinien der Unions-Bundestagsfraktion für die Kommission wird dies unterstützt. "Ist das nicht die Kommission, die Bürokratie abbauen wollte?" ätzt Ude. Er hat den Hauptgegner ausgemacht, und zwar in den Reihen der Länderfürsten: Es ist ausgerechnet der Vorsitzende der Bund-Länder-Kommission selbst, Günther Oettinger, Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Diese wolle die Gewerbesteuer "erst zerfleddern, um sie dann ganz abzuschaffen".

Oettinger weist den damit verbundenen Vorwurf sozialer Ungerechtigkeit gegenüber schwächeren Ländern weit von sich: "Herr Ude baut da einen Popanz auf." Ihm gehe es "keineswegs darum, die Gewerbesteuer abzuschaffen", sondern eine politische Schieflage.

Oettinger hält Gewerbesteuer für zu konjunkturabhängig

Obwohl die Länder für ihre jeweiligen Kommunen verantwortlich sind, liegt die Gesetzgebungskompetenz beim Bund. Darum sei es wichtig, auch hier "die föderale Ebene zu stärken". Also gar kein Systemwechsel erwünscht? Ein wenig doch. Der Ministerpräsident hält die Gewerbesteuer für zu konjunkturabhängig und "damit nicht stabil genug".

Er schlägt daher vor, die Kommunen stärker über den Länderfinanzausgleich an den Einnahmen zu beteiligen - "das würde mehr Stabilität für die Städte bedeuten." Oettinger räumt ein, dass dafür eine Verfassungsänderung nötig wäre.

Bernd Scheelen, Kommunalexperte der SPD im Bundestag und seinerzeit einer der Rebellen gegen Schröder ("Frei gewählte Abgeordnete knallen nicht die Hacken zusammen"), sagt zu den Plänen aus der Union schlicht: "Das mag im Eckpunktepapier stehen, aber es wird nicht passieren.

Wir in der SPD-Fraktion machen bei einer Schwächung der Gewerbesteuer auf keinen Fall mit." Die Städte würden geschwächt, die Länder "in einen ruinösen Wettbewerb zu Lasten der ärmeren getrieben".

Die Frontstellung ist seitens der Kommunen unverändert: Sie sind fast alle, gleich ob rot, schwarz oder sonst wie regiert, für die Beibehaltung der Gewerbesteuer in der jetzigen Form. Man kann davon ausgehen, dass sie auch die jüngste Attacke überleben wird, zumal sich die Wirtschaft insgesamt gut damit arrangiert hat.

Experte Jarass bezeichnet den Vorstoß der Länder, sie abzuschaffen, als "völlig aussichtslos". SPD-Mann Scheelen sagt dazu: "Es gibt sicher ein besseres Modell als die Gewerbesteuer. Nur: Wir kennen es alle nicht."

© SZ vom 24.07.2008/jpm/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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