Gesundheit:Verzettelt

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Blick in eine Arztpraxis: Bei der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte herrscht große Ratlosigkeit. (Foto: Johannes Simon)

Ärzte und Krankenkassen sind sich einmal einig: Die Hersteller von Geräten seien schuld, dass sich die Einführung der neuen Gesundheitskarte hinzieht.

Von Guido Bohsem, Berlin

Hermann Gröhe (CDU) hat stets ein offenes Ohr. Überall im Gesundheitswesen wird die Fähigkeit des Ministers zur Vermittlung gepriesen. Schon in seiner Zeit als Generalsekretär seiner Partei war weniger die Attacke als der Ausgleich sein Metier. Bei der elektronischen Gesundheitskarte schlägt er allerdings einen ungewöhnlich scharfen Kurs ein.

Gröhe und die große Koalition wollen das seit mehr als zehn Jahren vor sich hin dümpelnde Projekt endlich zum Erfolg führen. Um Bewegung in die festgefahrene Angelegenheit zu bringen, hat er ein eigenes Gesetz entwerfen lassen, das sogenannte E-Health-Gesetz. Darin sind unter anderem klare Termine vorgegeben, bis wann die Gesundheitskarte die nächste Entwicklungsstufe erreichen soll - und auch Strafen, sollten die Termine versäumt werden. Zahlen müssten diese Strafen die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und der Spitzenverband der Kassen.

Glaubt man deren Spitzenfunktionären, sind die im Gesetz vorgesehenen Termine nicht zu halten - und das, obwohl der Bundestag das Regelwerk noch gar nicht beschlossen hat. In der Anhörung zum Gesetz in der kommenden Woche wollen die ansonsten eher in Abneigung verbundenen Organisationen deshalb gemeinsam für eine Verschiebung des Zeitplans im Regelwerk und eine Änderung bei den Strafzahlungen plädieren.

Der Probelauf für die Karte hat noch nicht begonnen, damit wackelt auch die Einführung

So sorgt Gröhe mit seinem Vorhaben nun doch für eine unerwartete Harmonie zwischen Ärzten und Krankenkassen. Es zeigt sich aber auch, wie schwer es für Politiker ist, die elektronische Gesundheitskarte voranzubringen. Immer, so scheint es, kommt was dazwischen.

"Wir haben große Bauschmerzen, was die Fristen für die elektronische Gesundheitskarte angeht", sagt KBV-Chef Andreas Gassen. Doris Pfeiffer, Vorstandschefin des Kassenverbandes, betont: "Sanktionen machen nur Sinn, wenn sie den Verursacher treffen."

Schon im Sommer hatten die beiden wichtigsten Gesellschafter der Gesundheitskarten-Gesellschaft Gematik Alarm geschlagen. Die für den Herbst angesetzte Testphase werde sich verzögern, weil die richtigen Lesegeräte nicht zur Verfügung stünden und die zur Anbindung an das Gesundheitsnetz nötigen Konnektoren ebenso wenig. Der Probelauf im Nordwesten und Südosten der Bundesrepublik, an dem mehr als 700 Ärzte, elf Krankenhäuser und 125 Zahnärzte teilnehmen sollten, hat noch immer nicht begonnen.

Für Gassen ist deshalb klar, dass sich auch die für nächsten Juli geplante flächendeckende Anwendung der Gesundheitskarte verschieben wird. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt der Kassenverband in seiner Stellungnahme für die Anhörung. Die notwendige Erprobung sei durch die Verzögerung nicht bis zum gewünschten Termin zu schaffen.

Im Übrigen sei es nicht der Fehler der Ärzteschaft oder der Kassen, dass es im Projekt wieder einmal nicht so laufe wie gewünscht. "Das liegt an der Industrie. Sie kann ihr Versprechen nicht halten, die notwendigen technischen Geräte rechtzeitig zur Verfügung zu stellen", sagte Gassen und auch darin weiß er sich mit Pfeiffer vom Kassenverband (GKV) einig. Dass Ärzte und Kassen abgestraft würden, weil die Anbieter ihre vertraglichen Verpflichtungen nicht einhalten könnten, sei nicht gerechtfertigt, argumentiert ihr Verband.

Die im Gesetzentwurf geplanten Auflagen würden Ärzteschaft und Kassen hart treffen. Sollten die Termine nicht eingehalten werden, so haben es Gröhes Experten festgehalten, wird das Budget der KBV und des Kassenverbandes für das Jahr 2017 auf dem Niveau von 2014 eingefroren und zusätzlich um ein Prozent gekürzt. Dadurch würden die Ausgaben etwa der Kassen um 580 000 Euro gekürzt und auf 57,3 Millionen Euro festgeschrieben. Auf die KBV käme eine ähnlich hohe Strafe zu. Gassen sagte, er sehe nicht ein, dass seine Organisation für ein Problem zahlen müsse, das sie nicht verursacht habe. Auch GKV-Chefin Pfeiffer sagte, "warum sollten Ärzte und Kassen bestraft werden, wenn andere Gesellschafter oder die Industrie Projekte verzögern und Termine nicht einhalten?"

Aufgrund des Drucks, den das E-Health-Gesetz entfaltet, hat es verschiedene Überlegungen gegeben, wie der Zeitplan noch zu retten sein könnte. Nach Gassens Worten wurde beispielsweise überlegt, die Zahl der Teilnehmer des Testbetriebs drastisch zu senken. Doch schränke so eine Erprobung auf Minimalbasis die Aussagekraft der Untersuchung dramatisch ein. Auch wurde ihm zufolge erwogen, für den Test Geräte einzusetzen, die nicht vollständig den vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vorgegebenen Standards entsprechen. Auch das sei mit der Ärzteschaft nicht zu machen, weil die sensiblen Gesundheitsdaten auch in der Testphase geschützt werden müssten.

Gassen schlägt deshalb vor, den Sanktionsmechanismus des Gesetzes auf die Industrie zu übertragen, anstatt alleine die Ärzte, Zahnärzte und Kassen dafür verantwortlich zu machen. Auch bei den Kassen heißt es, "die Sanktionsmechanismen im Entwurf müssen verursachergerecht ausgestaltet werden". Ob die Funktionäre mit ihrer geschlossenen Haltung Erfolg haben werden, ist noch längst nicht ausgemacht. Zumal auch die Industrie nicht bereit ist, die ganze Schuld an der Verzögerung auf die eigene Kappe zu nehmen, wie aus den Betrieben zu hören ist. Gröhes Fachleute signalisierten zuletzt, an den Terminen und auch an den Strafauflagen festhalten zu wollen. Doch gibt es unter den Gesundheitspolitikern der Koalition auch Verständnis für die Wünsche der Ärzte und Kassen.

Bleibt nur die Frage, wann die elektronische Gesundheitskarte, die inzwischen etwa eine Milliarde Euro gekostet hat, endlich einsatzfähig sein wird. Und, wann sie mehr kann, als nur die Adresse des Versicherten und seine Krankenkassen-Nummer zu speichern: zum Beispiel den Zugriff auf eine elektronische Patientenakte möglich machen. Es sieht nicht gut aus. "Von einer elektronischen Patientenakte sind wir wirklich noch Äonen entfernt", sagt Gassen. Er könne noch nicht mal sagen, bis wann die aktuellen Probleme gelöst sein werden: "Wir können derzeit nicht im Geringsten abschätzen, wann die Industrie denn endlich so weit ist."

© SZ vom 29.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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