Gespräch mit dem Unternehmer Claus Hipp:"Mitnehmen kann keiner was"

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Der Unternehmer Claus Hipp über seinen Glauben, dessen Einfluss auf den Umgang mit Geld, das Preisdiktat der Discounter - und was die Politik von der Wirtschaft lernen kann.

Melanie Ahlemeier, Hans von der Hagen, Video: Marcel Kammermayer

Claus Hipp, 1938 in München geboren, ist ein Mann der drei M: Er ist Manager, Maler und Musiker. In seinem Atelier, einer Jagdhütte, malt er mehrere Stunden täglich abstrakte Kunst, außerdem hat er eine ordentliche Professur der staatlichen Kunstakademie in Tiflis, Georgien, inne. Seine musikalische Liebe gilt der klassischen Musik, er selbst spielt Oboe und Englischhorn. Hipps Konzern mit Stammsitz im oberbayerischen Pfaffenhofen ist der weltgrößte Produzent von Babynahrung aus biologischem Anbau. Im vergangenen Jahr machte die Hipp-Gruppe einen Umsatz von rund 400 Millionen Euro, davon zirka 260 Millionen Euro in Deutschland. Das Unternehmen zählt rund 1000 Mitarbeiter.

Claus Hipp: Unternehmer, Maler und Musiker in Personalunion. (Foto: Foto: M. Ahlemeier)

sueddeutsche.de: Herr Hipp, Sie schließen gewöhnlich in aller Herrgottsfrühe die Wallfahrtskapelle Herrenrast auf. So auch heute Morgen?

Claus Hipp: Ja. Ich habe sie aber gleich wieder zugesperrt, weil sie derzeit renoviert wird. Derzeit sind die Maler drin. Nach 30 Jahren musste sie mal wieder gestrichen werden. Ich hatte sie seinerzeit zusammen mit freiwilligen Helfern renoviert.

sueddeutsche.de: Sie helfen gelegentlich auch als Ministrant in der Münchner Frauenkirche aus. Warum ist Ihnen der Glaube so wichtig?

Hipp: Der Glaube ist Basis des Lebens und oberste Richtschnur für alles, was ich mache. Ich halte es auch für wichtig, dass wir dienend in der Kirche tätig sind und nicht nach den Ämtern dort die Hand ausstrecken. Für mich zählt das Bekenntnis zum Dienst. Orientierung ist für jede Entscheidung gut. Ich kann schnelle Entscheidungen besser fällen, wenn ich eine gute Orientierung habe.

sueddeutsche.de: Sie gelten als konservativ - und sie gelten als progressiv. Wie geht das zusammen?

Hipp: Ich bin konservativ in dem Sinne, dass ich Gutes bewahren möchte - aber Gutes kann auch in der Zukunft liegen. Mein Beruf bedeutet, Lösungen zu finden und neue Trends aufzuspüren - aber auch zurückzuschauen. Menschen, die ohne Geschichtsbewusstsein leben, machen leichter Fehler.

sueddeutsche.de: Hat Sie das Leben auf dem Land geprägt?

Hipp: Das bäuerliche Leben und die Einfachheit des Landes haben sicher großen Einfluss. Auch die Abhängigkeit vom Wetter, von Sachen, die ich nicht beeinflussen kann - alles das prägt.

sueddeutsche.de: Beeinflusst Ihr Glaube auch den Umgang mit Geld?

Hipp: Ich bin überzeugt, dass es nach dem Tod nicht vorbei ist und wir alle mal Rechenschaft ablegen müssen. Das gilt auch für den Umgang mit Geld. Selbst ein ungläubiger Mensch wird vermutlich ein Gefühl dafür haben, dass er ein Mitglied der Gemeinschaft ist - die für ihn da war, als er ein Kind war und die da sein wird, wenn er alt ist.

sueddeutsche.de: Vielen Managern in Deutschland gelingt es nicht mehr, das richtige Maß zu finden - auch weil das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, völlig abhandengekommen ist.

Hipp: Es gibt schon Maß. Aber die Debatte ist dann da, wenn Manager Entscheidungen gefällt haben, die nicht gut sind und dafür sehr viel Geld bezogen haben. Da fände ich eine entsprechende Haftung angebracht. Es soll jeder sein warmes Abendessen auch in Zukunft bekommen. Aber wenn einer Fehlleistungen erbracht hat, dann soll er haften - genau so, wie wir Unternehmer ja auch haften müssen für alles, was wir tun.

sueddeutsche.de: Es ist ganz gleich, ob 14 Millionen Euro Jahresgehalt für Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann oder 60 Millionen Euro Jahressalär für Porsche-Chef Wendelin Wiedeking bekanntwerden - jedes Mal folgt eine öffentliche Diskussion. Warum ist diese Neiddebatte in Deutschland so ausgeprägt?

Hipp: Wenn ein anderer mehr hat und was Gutes damit macht, braucht man eigentlich keine Neiddebatte. Ich plädiere sehr für einen verantwortungsvollen Umgang mit anvertrauten Gütern. Wenn einer so gut ist, dass er seinem Unternehmen einen derart großen Vorteil bringt, dass es das wert ist, dann bin ich nicht neidisch. Meines Erachtens wird aber jeder mal zur Rechenschaft gezogen und muss erklären, was er mit dem Geld gemacht hat. Und: Mitnehmen kann keiner was.

sueddeutsche.de: Sie zahlen Ihren Angestellten 20 Prozent über Tarif - wollen Sie eine Neiddebatte im Unternehmen vermeiden?

Hipp: Wir haben teilweise 20 Prozent über Tarif, teilweise haben wir weniger, aber wir versuchen unsere Mitarbeiter so gut es geht zu bezahlen. Wir können natürlich nicht Gehälter zahlen, die noch weit höher sind und nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Das ist einfach das Spiel der Kräfte. Aber ein Mitarbeiter, der das Gefühl hat, dass er für seine Leistung gerecht entlohnt wird, der ist sicher motivierter.

sueddeutsche.de: Normalerweise gilt in Unternehmen: Nur wer die Ellenbogen ausfährt, kommt weiter. Gilt das bei Ihnen nicht?

Hipp: Wir brauchen zufriedene und motivierte Mitarbeiter. Wir brauchen aber auch Mitarbeiter, die eine starke Leistung erbringen, und wir müssen uns auch am Markt zur Wehr setzen, wenn wir angegriffen werden. Aber wenn wir viel Kraft aufwenden müssen im Kampf gegeneinander im eigenen Haus, machen wir große Fehler.

sueddeutsche.de: In Deutschland sind viele Arbeitnehmer demotiviert und es macht sich ein Gefühl von Ohnmacht breit. Woran liegt das?

Hipp: Es wird den Leuten vom Staat viel Geld weggenommen - und es kommt nicht so zurück, wie es vielleicht sein sollte. Wir müssen die Selbstverantwortung des Einzelnen und die Mündigkeit des Bürgers größer schreiben und auch das Vertrauen haben, dass der Einzelne vieles selbst regeln kann und auch lieber selbst regelt.

suddeutsche.de: Sie haben sich im Milchpreisstreit nicht hörbar zu Wort gemeldet. Greifen Sie bewusst nicht in öffentliche Debatten ein, obwohl Sie etwas dazu sagen könnten?

Hipp: Wenn ich es für sinnvoll halte, melde ich mich schon. Zum Beispiel bei der grünen Gentechnik - da habe ich mich ganz laut gemeldet. Was die Milchpreise angeht, haben wir zwei Probleme. Wir haben zum einen die Bauern, die für ihre Leistungen schlecht bezahlt werden. Andererseits brauchen wir einen Preis, den die Verbraucher auch bezahlen können.

sueddeutsche.de: Die Debatte um den Milchpreis ist auch eine Debatte über die Überproduktion am Markt. Sie selbst sind Landwirt und Unternehmer in Personalunion. Auf welcher Seite stehen Sie?

Hipp: Im Augenblick ist es eher so, dass ein großer Bedarf an Milch besteht und dass sehr viel Milch exportiert wird. Aber wir haben eben gerade auf dem Agrarsektor keine natürlichen Preise, vieles ist gesteuert. Ein gerechter Milchpreis wäre sicher höher.

sueddeutsche.de: Sie bringen alles mit, was einen guten Lobbyisten ausmacht: Sie sind überzeugter Öko-Landwirt, haben in den sechziger Jahren selbst Landwirte beraten, und Sie kennen die Marktverhältnisse. Gab es Angebote von den Milchbauern, Sie als Sprecher zu verpflichten?

Hipp: Von den Bauern bin ich nicht angesprochen worden, aber ich trete für die Bauern ein, weil ich die Notwendigkeit sehe. Unser Betrieb hat rund 6000 Lieferanten aus der Landwirtschaft. Ich muss schauen, dass ich günstig einkaufen kann, um am Markt bestehen zu können. Aber ich brauche auch Bauern, für die es sich rentiert, auch weiter Bauer zu sein und beste Qualität herzustellen. Und die gute Qualität kostet halt ihren Preis.

sueddeutsche.de: Handelsketten und Discounter diktieren auf dem Lebensmittelmarkt die Bedingungen. Haben Sie auch schon einmal zähneknirschend einen Handel mit einer großen Kette akzeptiert?

Hipp: Es ist bei uns Tagesgeschäft, dass man hart um die Bedingungen ringt. Aber das ist ja im Verbraucherinteresse. Wäre das Ringen nicht so stark, dann würden sich die Preise nicht so unter Kontrolle halten lassen.

sueddeutsche.de: Kann man als Unternehmen nur überleben, wenn zusätzlich noch Handelsmarken angeboten werden? Oder reicht allein der Name Hipp?

Hipp: Es ist im Handelsgeschehen vielfach der Fall, dass mehrere Marken im gleichen Betrieb hergestellt werden. Nehmen Sie mal die Textilindustrie. Da produziert ein Betrieb viele Marken. Das gilt auch in der Kosmetik. In der Lebensmittelindustrie ist es genauso, dass mehrere Marken hergestellt werden, weil die Verbraucher die Auswahlmöglichkeit haben wollen. Der eine legt Wert auf ein hochpreisiges Produkt, der andere legt Wert auf ein Produkt, das vielleicht günstiger zu kaufen ist. Aber das ist dann die persönliche Entscheidung.

sueddeutsche.de: Sie haben im April zusammen mit 75 anderen Konzernchefs einen Brief an Kanzlerin Angela Merkel geschickt, weil Ihnen die Erbschaftsteuerreform zu weit geht. Haben Sie schon eine Antwort erhalten?

Hipp: Da gab es noch keine Antwort. Ich sehe da ein großes Problem für die Wirtschaft. Wenn der Fortbestand der Betriebe so teuer wird, dann wird sich die mittelständische Wirtschaft nicht halten können. Sie ist in großer Gefahr. Wir sind im europäischen Wettbewerb. Wenn andere Länder die Erbschaftsteuer ganz abschaffen und in Deutschland die Erbschaftsteuer höher wird, und die Verwaltung der Erbschaftsteuer aber einen Großteil des Geldes wieder wegnimmt, dann ist das eine falsche Entscheidung. Wir brauchen motivierte und begeisterte Unternehmer in der nächsten Generation und wir müssen alles dafür tun, dass die nächste Generation die Betriebe weiterführen kann. Denn eines darf man nicht vergessen: In Wirtschaftskrisen sind es die Mittelstands- und Kleinbetriebe, die die Arbeitsplätze sichern. Das sind nicht die Großbetriebe.

sueddeutsche.de: Wie sähe Ihr Modell der Erbschaftsteuer aus - sollte sie ganz abgeschafft werden?

Hipp: Das Beste wäre sicher, sie ganz abzuschaffen. Da würde für den Staat mehr übrig bleiben. Es wäre eine Gesundung der Wirtschaft. Warum sollte es in Deutschland nicht gehen? Es funktioniert ja auch in anderen Ländern.

sueddeutsche.de: Deutschland hat viele Probleme. Welches muss aus Ihrer Sicht als Erstes gelöst werden?

Hipp: Die Bürokratie. Ein Beispiel: Ein Mittelstandsbetrieb in Deutschland muss im Monat 52 Stunden aufwenden, um Statistiken und Papiere auszusüllen, ein gleicher Betrieb in der Schweiz nur zwei Stunden. Es geht den Bürgern in der Schweiz nicht schlechter als den Bürgern in Deutschland, vielfach geht es ihnen besser. Die Deutschen sind momentan das größte Zuwanderervolk in der Schweiz - das ist kein Zufall. Wir können von unseren Nachbarn lernen.

sueddeutsche.de: Haben Sie selbst schon einmal überlegt auszuwandern?

Hipp: Wir sind in vielen Ländern tätig - das müssen wir auch sein, um den Standort hier weiter erfolgreich am Leben halten zu können. Wenn wir einen großen Markt haben, dann müssen wir uns nicht auf das Nationale konzentrieren.

sueddeutsche.de: Sie mussten in Ihrem Leben viele Entscheidungen treffen. Was war die schwierigste?

Hipp: Die schwerste Entscheidung ist immer, wenn man Kündigungen aussprechen muss. Das ist traurig, wenn man sich von jemandem trennen muss. Da wird viel hin- und herüberlegt, ob es wirklich sein muss.

sueddeutsche.de: Was würden Sie als Unternehmer rückblickend anders machen?

Hipp: Ich habe viele Fehler gemacht, aber als Unternehmer haben wir die Möglichkeit, einen Fehler schnell zu korrigieren. Das unterscheidet uns von den Politikern. Ein Politiker wird sicher auch seiner neuesten Erkenntnis gerne einmal andere Entscheidungen folgen lassen, aber er hat dann Angst, dass er als wankelmütig dargestellt wird. Wir Unternehmer brauchen die Bescheidenheit und den Mut zuzugeben, dass eine Entscheidung falsch war und am nächsten Tag die bessere Erkenntnis zu einer anderen Entscheidung führt.

sueddeutsche.de: Sie sind ein Mann der drei M: Manager, Maler, Musiker. Welches M bedeutet Ihnen am meisten?

Hipp: Jedes lebt von den anderen. Natürlich ist das Unternehmen das Wichtigste für mich. Aber die musischen Seiten fördern die Kreativität und die kommt mir im Geschäft zugute. Umgekehrt ist es gar nicht schlecht, wenn man auch als in der Kunst Tätiger ein bisschen was vom Geschäft versteht.

sueddeutsche.de: Haben Sie sich nie gewünscht, dass Sie sich auf eine Tätigkeit konzentrieren können?

Hipp: Wenn ich nur Maler wäre, dann hätte ich vielleicht die Sorge, dass mir die Ideen ausgehen oder dass ich mich ganz nach dem Markt richte.

sueddeutsche.de: Sie haben den Satz "Luxus ist für mich alles, was Freude macht, was man aber nicht wirklich braucht" geprägt. Welchen Luxus haben Sie sich zuletzt gegönnt?

Hipp: Der größte Luxus ist für mich, auf Dinge zu verzichten. Ich leiste es mir einfach, Dinge zu tun oder zu unterlassen. Alles, was mit einem gewissen Gruppenverhalten zu tun hat oder mit gesellschaftlichen Notwendigkeiten - da verzichte ich gerne drauf. Ein großer Luxus ist für mich zum Beispiel, abends früh schlafen zu gehen und nicht verpflichtet zu sein, herumzusitzen oder lange Abendessen zu machen oder lange Gesellschaften, bei denen sowieso nichts rauskommt.

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