Geschäft mit Nachhilfe:Griff in die Familienkasse

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Die Grammatik- und Rechenschwächen deutscher Schüler bedeuten für Nachhilfeinstitute ein Millionengeschäft.

Angelika Slavik

Nach den Osterferien beginnt für Lisa die heiße Phase. Die Dreizehnjährige kämpft um eine annehmbare Note in Mathematik. Um die drohende Sechs abzuwenden, besucht Lisa zweimal pro Woche ein Nachhilfeinstitut - monatliche Kosten für Lisas Eltern: 150 Euro.

Ähnlich wie Lisa nimmt etwa ein Viertel der deutschen Schüler Zusatzunterricht zum regulären Schulbesuch, Tendenz steigend. Nachhilfe ist in Deutschland längst zu einem millionenschweren Geschäft geworden.

Bis zu zwei Milliarden Euro, schätzen Experten, werden pro Jahr mit Nachhilfe umgesetzt. "Der überwiegende Teil findet aber immer noch in einer rechtlichen Grauzone statt", sagt Thorsten Schneider von der Universität Bamberg.

Vor dem Gang zu einem kommerziellen Nachhilfeinstitut werde zunächst auf Angebote von älteren Schülern, Studenten oder Verwandten zurückgegriffen. Die professionellen Nachhilfeschulen decken aber immerhin schon ein Viertel des Gesamtmarktes ab.

Harter Wettbewerb

Der Markt ist heiß umkämpft: In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Nachhilfeschulen deutschlandweit auf geschätzte 4000 angewachsen.

"Es gibt weit mehr Konkurrenz als früher", sagt Schülerhilfe-Geschäftsführer Norbert Mitte zur Süddeutschen Zeitung. Mit knapp 1000 Standorten betreut die Schülerhilfe jährlich etwa 70000 Schüler und erzielte im vergangenen Jahr 75 Millionen Euro Umsatz. Hauptkonkurrent Studienkreis liegt nach eigenen Angaben leicht darüber.

Mitte: "Es drängen nun verstärkt kleinere Anbieter auf den Markt, der Wettbewerb wird härter." Im Schnitt würden die Umsätze an den gut etablierten Schülerhilfe-Standorten dennoch um etwa drei Prozent jährlich wachsen. "Noch ist der Markt nicht vollkommen gesättigt", glaubt Mitte, "wir werden deshalb in den kommenden Jahren unser Netzwerk noch weiter ausbauen."

Sowohl Schülerhilfe als auch Studienkreis setzen bei der Expansion vorrangig auf Franchisemodelle. "Bei uns melden sich jedes Jahr etwa 500 Interessenten, die ein eigenes Nachhilfeinstitut eröffnen möchten", sagt Studienkreis-Geschäftsführer Franz Dahlmanns.

Pädagogische Vorbildung benötigen die Bewerber nicht, betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse sind dagegen erwünscht. Dahlmanns: "Nicht alle, die ein Institut leiten, möchten auch selbst unterrichten." Die Institutsleiter seien jedoch für die Auswahl des Lehrpersonals zuständig - obwohl auch da keine Mindestqualifikation vorausgesetzt wird.

"Bei uns unterrichten Lehrer, Studenten oder andere engagierte Mitarbeiter. Auch wenn es formal keine bestimmten Anforderungen an das Lehrpersonal gibt, zeigt sich die Qualität des Unterrichts doch eindeutig am Erfolg der Schüler", sagt Dahlmanns.

"Vermarktet wie Kosmetika"

Auch die wirtschaftlichen Hürden für einen Einstieg ins Nachhilfegeschäft sind niedrig: Die durchschnittlichen Kosten für die Eröffnung eines Standorts liegen bei Studienkreis zwischen 20.000 und 30.000 Euro, etwa ein Drittel muss der Franchisenehmer selbst aufbringen.

Dahlmanns: "Wir liefern dazu ein fertiges Finanzierungskonzept, helfen bei allen möglichen Schwierigkeiten." Im Gegenzug muss der Franchisenehmer zwischen 7,5 und 11,5 Prozent des Umsatzes an die Dachorganisation abliefern.

Einnahmen, die die Organisation nicht zuletzt in Werbung investiert. "Vor allem die großen Institute haben ihren Werbeaufwand in jüngster Zeit deutlich nach oben geschraubt", beobachtet Werner Kinzinger von der Aktion für Bildungsinformation (ABI). "Nachhilfe wird mittlerweile genauso vermarktet wie Kosmetikprodukte."

Dabei greifen die Institute auch zu ungewöhnlichen Vertriebswegen: Vor wenigen Wochen bescherte der Verkauf von Nachhilfegutscheinen beim Kaffeeröster Tchibo der Firma Studienkreis enorme öffentliche Aufmerksamkeit.

Für 49,90 Euro konnte dort ein Monat Nachhilfe in einem beliebigen Fach getestet werden. Die Aktion dürfte das Werbebudget des Nachhilfeanbieters erheblich belastet haben: Dass Nachhilfe zu einem solchen Preis nicht kostendeckend durchgeführt werden kann, gab man auch bei Studienkreis freimütig zu.

Fixer Posten im Familienbudget

Normalerweise verursacht der Zusatzunterricht in einem professionellen Institut weit höhere Kosten: Eine 45 minütige Einheit kostet von zehn Euro aufwärts, in manchen Instituten fallen dazu Vermittlungsgebühren und andere Zuschläge an.

Dazu kommt, dass bei den professionellen Anbietern meist langfristige Verträge abgeschlossen werden müssen. Die durchschnittlich 130 Euro, die für einen Monat Nachhilfe bezahlt werden müssen, bleiben also zumindest ein halbes Jahr fixer Posten im Familienbudget.

Ein finanzieller Aufwand, den sich Familien mit geringerem Einkommen nicht leisten können. Laut Statistik nehmen Kinder von Einwanderern trotz sprachlicher Nachteile seltener Nachhilfe als Kinder aus einheimischen Familien. Zudem ist die Nachhilfedichte im Westen deutlich höher als im Osten.

ABI-Chef Kinzinger: "Nachhilfe wird somit ein zusätzliches Mittel sozialer Selektion. Wer reiche Eltern hat, hat damit die Chance, einen höheren Bildungsabschluss zu erreichen. Kinder aus benachteiligten sozialen Schichten dagegen haben einen weiteren Nachteil im Bildungswettbewerb."

© SZ vom 10.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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