Gericht hält sich an Absprache:Ende eines kurzen Prozesses

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Peter Hartz entkommt dem Gefängnis, weil alle Beteiligten am Landgericht Braunschweig einem Deal zustimmen.

Hans Leyendecker

Die Verhandlung läuft präzise, wie nach einem Drehbuch. Und als die Vorsitzende Richterin der 6. Großen Strafkammer des Landgerichts Braunschweig, Gerstin Dreyer, am Donnerstag um 15.30 Uhr das Urteil verkündet, ist niemand im Saal überrascht.

Verlässt als Verurteilter das Langericht Braunschweig: Der frühere VW-Vorstand Peter Harzt in seiner Limousine. (Foto: Foto: AP)

Der frühere VW-Personalvorstand Peter Hartz wird wegen Untreue und wegen Begünstigung des früheren VW-Betriebsratschefs Klaus Volkert in elf Fällen zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und zu einer Geldstrafe in Höhe von 576.000 Euro verurteilt.

Den Schaden für VW bemisst das Gericht mit rund 2,6 Millionen Euro. Hartz habe sich das ,,Wohlwollen des mächtigsten VW-Betriebsrats'' sichern wollen, der heimliche Sonderboni von rund 1,9 Millionen Euro erhielt.

Umfassendes Geständnis gegen zügiges Verfahren

Zwei Tage waren angesetzt - keine Zeugen, die aufgehalten hätten, keine Sachverständigen, die in die Quere hätten kommen können. Die Beteiligten hatten sich abgesprochen: Umfassendes Geständnis gegen kurzen Prozess.

So geht es inzwischen häufig in Verfahren zu, die ansonsten umfangreich und schwierig zu werden drohen. In Braunschweig wird die Urteilsabsprache, deren Regeln der Bundesgerichtshof aufgestellt hat, perfekt umgesetzt.

Der Saal 141 des Landgerichts erinnert an eine Turnhalle, aber finden heutzutage in Turnhallen auch Konferenzen statt? Punkt zehn Uhr eröffnete die Richterin Dreyer den zweiten Verhandlungstag im Untreue-Prozess gegen Hartz und es herrscht beste Konferenzatmosphäre.

Die Richter, die Strafverfolgerinnen, der Verteidiger gehen sehr artig miteinander um und erweisen einander außerordentlichen Respekt.

Die Atmosphäre wirkt versöhnlich und der Angeklagte ist nur noch daran zu erkennen, dass er als einziger keine Robe trägt.

Spalten voller Leserbriefe

Leserbriefschreiber haben sich in den vergangenen Tagen in der Lokalzeitung spaltenlang über das "abgekartete Spiel", ausgelassen und einer meinte sogar, den "faden Beigeschmack des Deals" schmecken zu können.

Im Wesentlichen geht es bei den fraglichen Zahlungen um Sonderboni für den ehemaligen Betriebsratschef Klaus Volkert in Höhe von knapp zwei Millionen und Zahlungen in Höhe von knapp 400.000 Euro für dessen brasilianische Ex-Geliebte.

Atemberaubende Zahlen

Mancher im Publikum holt angesichts der atemraubenden Zahlen tief Luft durch die Nase. Aber in der Öffentlichkeit werden mehr die Rotlichtpartys von VW-Betriebsräten, das Viagra auf Betriebskosten und die Lust- und Liebesreisen der Vertreter der Arbeiterklasse kolportiert.

Doch über all das wird nicht verhandelt. Natürlich weiß auch jeder im Saal, dass sich Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht längst auf eine Strafobergrenze im Gegenzug für ein Geständnis verständigt haben: zwei Jahre Haft auf Bewährung und eine Geldstrafe von circa 567.000 Euro.

Eine eher milde Sanktion wäre das, aber der Angeklagte, der tief in die VW-Affäre verstrickt ist, wird nach Abschluss seines Verfahrens sich fragen müssen, welchen Rest an Selbstachtung er in die Zukunft retten kann.

Klare Regeln

Die Hauptverhandlung zu Braunschweig findet, wie Frau Dreyer betont, nach Regeln statt, die im März 2005 der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs für den Fall solcher Urteilsabsprachen empfohlen hat: Das Ergebnis der Absprache ist offen zu legen, alle Verfahrensbeteiligten sind einzubeziehen, das Geständnis ist auf seine Glaubhaftigkeit zu prüfen. Ein perfekter Handel mit der Gerechtigkeit.

Lateinisch gebildete Verteidiger sprechen gern von einem Strafverfahren als einem Prozeß, weil es voranschreiten soll.

Für die Beteiligten kann daraus ein Lernprozess werden, auch für die Zuhörer, von denen die meisten noch nie eine solche perfekte Inszenierung vor Gericht erlebt haben. Einige Formalien sind an diesem Donnerstagmorgen noch zu erledigen.

Ein paar Fragen hatten die Richterinnen und der Richter sowie Oberstaatsanwältin Hildegard Wolff kurz vor Schluss der ersten Sitzung am 18. Januar dem Angeklagten Hartz als Hausaufgaben mitgegeben.

Die wichtigsten: Wer hatte die Idee für die Sonderboni für Hartz? Sollte eine konkrete Gegenleistung erfolgen und warum fiel die Kontrolle aus?

Die Antworten liefert der Verteidiger

Die Antworten liefert wieder dessen Verteidiger Egon Müller, der auch das Geständnis formuliert hatte.

Der 68-jährige Müller ist einer der erfahrensten deutschen Strafverteidiger und kaum einer ist so sprachmächtig wie er. "Es ging um gegenseitigen Kauf, um eine Position, in der man den anderen einkauft" beschreibt er zunächst das Verhältnis von Volkert und Hartz.

Ist die Bezeichnung Feigenblatt oder Scheinvertrag richtig?" fragt die Richterin. Die "deutsche Sprache", sagt er, bietet "viele Varianten".

An weiteren Anklagen wird noch gebastelt

Die Oberstaatsanwältin Wolff sähe schon gern, dass er Volkert als Anstifter für die Zahlung des Sonderbonus entlarvt, denn sie bastelt noch an der Anklage gegen den Ex-Betriebsratschef. Müller lässt sich nicht verlocken.

"Das war nicht Volkerts Idee", sagt er. Die Oberstaatsanwältin wippt mit dem Stuhl, als sie das hört. Müller setzt nach: "Nein, das war die Idee von Herrn Hartz." Auch der Vorstandschef Ferdinand Piech sei nicht eingeweiht gewesen.

Die Sonderzahlung habe nur der Stabilität des Verhältnisses der Herren gedient: "Klimapflege, Wohlwollen, nehmen Sie einen der Begriffe".

Das Charisma des Herrn Volkert

Hartz habe eine Freiheit erfahren, die ihn in die Lage versetzte, sich hinterher so zu verhalten, wie er es getan hat." Die Sonderboni für Volkert seien dann der Weg gewesen. Volkert habe "Charisma" gehabt, die Mannschaft geführt.

Und die Zahlungen für die Volkert-Geliebte? Müller führt die Zuhörer in die große VW-Welt ein. 279 Stellen gebe es für den Betriebsrat allein in Deutschland. 851 weltweit. "Auf eine Stelle für Frau Barros auf eine Figur mehr komme es da nicht mehr an" - bei der Figur jedenfalls nicht. Frau Barros habe keine qualitative Rolle gespielt, sagt er etwas rätselhaft.

Kannte Hartz das Intimverhältnis? "Wer weiß überhaupt wer mit wem warum was haben soll" sagt Müller. Hartz habe kein System übernommen, sondern ein System kreirt.

"Wenn er es übernommen hätte, wäre das ja auch entlastend, aber so war es eben nicht." Ist das ein glaubhaftes Geständnis, wie es der Bundesgerichtshof bei solchen Absprachen verlangt?

Rechtsfrieden

Von glaubwürdigen Antworten in diesem Prozeß hänge nach "Ansicht maßgeblicher Experten auch ein Stück Rechtsfrieden in Deutschland" ab, hatte die Braunschweiger Zeitung noch am Montag ihren Lesern erklärt.

Frau Dreyer lässt noch einmal Urkunden verlesen, dann erklärt sie um 10:45 Uhr, das Gericht wolle prüfen, ob das Geständnis ausreiche. Hartz hat bis dahin noch kein Wort gesagt.

Bevor plädiert wird, gibt Richterin Dreyer noch einen kleinen Einblick in die Einkommensverhältnisse des Pensionärs Hartz.

Aus der Zeit, da er noch Arbeitsdirektor in den Stahlküchen an der Saar war, bekommt er von der Dillinger Hütte monatlich eine Rente in Höhe von 7649,05 Euro, von VW erhält er 16.207 Euro im Monat und von der Deutschen Rentenversicherung Bund 1861,49 Euro. Damit lässt sich auskommen. Außerdem hat er ein Aktiendepot im Wert von rund 2,7 Millionen Euro.

Vernehmliches Seufzen

Einer der Zuhörer seufzt vernehmlich , als er von der Rente des Mannes erfährt, der doch der Hartz von Hartz IV ist.

In ihrem Plädoyer, das dann folgt, weist Oberstaatsanwältin Wolff darauf hin, Hartz sei nicht zu bestrafen, weil die Arbeitsmarktreform seinen Namen trägt.

Es gehe auch nicht um moralische Verfehlungen. Sie redet sich in Eifer und wendet sich dem Publikum zu. "Wer hätte es für möglich gehalten", sagt sie, dass die Ermittlungen in der Vorstandsetage von VW enden würden und mit einigem Stolz verweist sie darauf, dass nicht die Geldfüchse der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG die versteckten Sonderboni für Volkert entdeckt hätten, sondern die Staatsanwaltschaft.

Ob Müller die Geschichte des Sonderbonus richtig erzählt habe, könne sie nicht beurteilen. Ob das "lebensnah" sei, wisse sie nicht. Für die "heutige Hauptverhandlung" habe das keine Rolle gespielt.

"Rundum-Sorglos-Paket"

Das war eine Anspielung auf den anstehenden Volkert Prozess. Sie spricht vom "Rundum-Sorglos-Paket", das Hartz für Volkert entwickelt habe und verweist darauf, dass dem gelernten Schmied Volkert als Mitglied des Betriebsrats solche Managerboni nicht zustünden.

Der sei doch Betriebsrat ereifert sie sich ein bisschen. Hartz, der ansonsten sehr still der Verhandlung folgt, schüttelt an dieser Stelle den Kopf und spricht mit seinem Anwalt.

Er ist doch der Guru des Co-Managements von Betriebsrat und Vorstand. Bei seiner Vernehmung vor ein paar Monaten hatte er der Staatsanwaltschaft eine Ausarbeitung über "Die Mitbestimmung bei Volkswagen unter besonderer Berücksichtigung der Rolle des Gesamtbetriebsratsausschusses" übergeben.

Betriebsinterne "Lobbyarbeit"

Die Strafverfolgerin definiert die Gaben für Volkert und dessen Geliebte schlicht als betriebsinterne "Lobbyarbeit": "Man behält das Wohlverhalten der anderen Seite". Die Geliebte von Volkert habe keine Gegenleistung vollbracht, "jedenfalls nicht fürs Unternehmen."

Spannung vibriert in ihrem Unterton, als sie sagt, dass Volkert "permanent" betreut werden sollte, damit er bei guter Laune blieb. Sie hält ihn, das hat sie bei anderer Gelegenheit bedeutet, für den großen Übeltäter in der VW-Affäre.

Deutliche Sprache

Sie soll vom "schlimmsten Finger in dem Stück" gesprochen haben. Die Dame kann deutlich werden."Keinen Furz" sagt sie, hätte sich am Strafmaß geändert, wenn auch über die Dienste der Prositituierten geredet worden wäre, die auf Firmenkosten für Hartz im Einsatz waren.

Dann kommt Stille auf. Müller redet. Er wendet sich nicht, wie die Oberstaatsanwältin ans Publikum, sondern ans Gericht, spricht über die Verständigung im allgemeinen und rühmt den Ablauf des Verfahrens.

Ein bisschen Stolz

Die Urteilsabsprache sei "keine Missgeburt, sondern ein Fortschritt". Transparenz im Verfahren sei wichtig. Als er sagt, dass er der Oberstaatsanwältin "fast andächtig zugehört" habe, blickt die Strafverfolgerin ein bisschen stolz drein.

"Ich kann Ihnen in keinem Wort, keinem Satz, keiner Bewertung widersprechen", sagt Müller. Er schließt sich dem Antrag der Strafverfolgerin an, die zwei Jahre auf Bewährung plus 360 Tagessätze gefordert hatte.

"Viele Verständigungen leben davon, dass der Verteidiger ebenso wie das Gericht die artifiziellen Einräumungen des Mandanten wunschgemäß behandeln, als wären sie wahr" hat Müllers Kollege Franz Salditt auf einem Symposium für Egon Müller in Saarbrücken anlässlich dessen 60. Geburtstag im Jahr 2000 gesagt.

Verzicht auf Schlusswort

So sieht es Müller wohl auch. Sein Mandant verzichte auf das Schlusswort. Richterin Dreyer fragt den Angeklagten, ob er doch noch was sagen wolle: "Vielen Dank, Frau Vorsitzende, Nein antwortet er. Um 15.30 Uhr soll das Urteil verkündet werden.

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