Geldwerkstatt:Alt, aber nicht schwach

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Niedrige Zinsen, hohe Unsicherheit - wie soll man da noch sein Geld investieren? In der "Geldwerkstatt" erklären wir aktuelle Fragen zur Geldanlage. (Foto: SZ-Grafik)

Der Aktienboom dauert nun schon neun Jahre, und noch immer sind die Experten optimistisch, dass die Kurse weiter nach oben gehen könnten. Warum ein Crash unwahrscheinlich ist, begründen die Ökonomen anhand von fünf Faktoren.

Von Harald Freiberger, München

Es ist jetzt auch schon wieder einige Jahre her, dass die ersten Anleger fragten, wie lange das noch gut gehen kann. Vor genau zehn Jahren brach mit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers die weltweite Finanzkrise aus. Danach rauschten die Aktienkurse sechs Monate lang nach unten. Doch schon im März 2009 fanden sie ihren Boden. Seitdem geht es, von einigen kurzen Unterbrechungen abgesehen, nur noch nach oben. Inzwischen ist es die längste Boomphase für Aktien seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Deutsche Aktienindex (Dax) hat sich seitdem mehr als verdreifacht, der US-Index S&P 500 sogar mehr als vervierfacht.

Viele Anleger betrachten den Boom seit langer Zeit mit Skepsis. Sie fragen sich, wie es sein kann, dass Aktien nach einer so schweren Krise über eine so lange Zeit so hoch steigen können. Und sie sorgen sich, dass es wieder zu einem Crash kommen könnte, so wie man ihn seit dem Jahr 2000 zweimal erlebt hat. Gerade Anleger in Deutschland haben aus dieser Sorge heraus den längsten Aktienboom der Geschichte verpasst.

Die zentrale Frage aber stellt sich heute noch genauso wie schon vor einigen Jahren: Wie lange kann das noch gut gehen? Wer sich bei Experten umhört, bekommt seltsamerweise immer noch dieselbe Antwort: Vieles spricht für Aktien, wenig dagegen. Es sind fünf Faktoren, an denen Ökonomen diesen Optimismus festmachen.

Die Bewertung

Es gibt für Börsianer eine zentrale Messgröße, die signalisiert, ob Aktien teuer oder billig sind: das Kurs-Gewinn-Verhältnis, kurz KGV genannt. Es setzt den aktuellen Aktienkurs ins Verhältnis zu dem Gewinn, den Analysten im nächsten Jahr pro Aktie erwarten. Die Kennziffer ist deshalb ein besserer Maßstab für die Bewertung einer Aktie als der Kurs allein, weil es am Ende für ein Unternehmen immer auf den Gewinn ankommt. Ein hohes KGV signalisiert, dass der Kurs stärker gestiegen ist, als es die Gewinnsituation des Unternehmens hergibt. Anders gesagt: Die Aktie ist teuer. Umgekehrt ist ein niedriges KGV ein gutes Zeichen.

Das KGV für die 30 Dax-Aktien liegt derzeit etwa bei 12. Das ist immer noch unter dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Trotz des deutlichen Kursanstiegs seitdem sind Aktien heute billiger, weil die Gewinne der Unternehmen noch stärker gestiegen sind. Beim amerikanischen S&P 500 sieht es nicht ganz so gut aus, sein KGV liegt bei 21 und damit über dem langjährigen Durchschnitt. Der Dax hat seit Jahresanfang etwa sieben Prozent verloren, der S&P 500 dagegen etwa genauso viel gewonnen. Hauptgrund dafür ist, dass US-Konzerne stark von den Steuererleichterungen profitieren, die Präsident Trump durchgesetzt hat.

Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, hält europäische Aktien für fair bewertet, US-Aktien für "etwas überbewertet". Es gebe jedenfalls keinen Grund, übermäßig skeptisch zu sein. "Europäische Aktien sind nach wie vor attraktiv", sagt auch Georg von Wallwitz von der Münchner Vermögensverwaltung Eyb & Wallwitz. US-Aktien hält er aber inzwischen für zu teuer, er baut sie tendenziell ab. Burkhard Varnholt, Chefökonom der Schweizer Großbank Credit Suisse, glaubt dagegen, dass beide Märkte langfristig in dieselbe Richtung laufen - und beide schätzt er positiv ein. "Es liegt in der gegenwärtigen Situation nahe, den Rat zu geben, in Aktien übergewichtet zu bleiben", sagt er.

Die Konjunktur

Anfang des Jahres schwächte sich das Wirtschaftswachstum im Euro-Raum ab, besonders auch in Deutschland. Deshalb schwächelten auch die Aktienmärkte. Inzwischen sieht die Lage aber wieder besser aus: Die Frühindikatoren zeigen nach oben. "Wir rechnen für Europa in diesem Jahr mit einem guten Wachstum von zwei Prozent, im nächsten Jahr mit 1,8 Prozent", sagt Ökonom Krämer. Solange die Wirtschaft läuft, entwickeln sich auch die Gewinne der Unternehmen gut - und das ist der wichtigste Faktor für die Bewertung einer Aktie. "Die Weltwirtschaft ist die Summe vieler Unternehmenszahlen, und sie wächst immer noch", sagt Credit-Suisse-Mann Varnholt. Umgekehrt ist es eine der großen Gefahren für den Aktienmarkt, wenn die Konjunktur einbricht. Doch das ist nicht erkennbar. Varnholt: "Wir können aus den aktuellen Daten keine Gefahr für eine Rezession in den nächsten 18 oder sogar 24 Monaten ableiten."

Die Zinsen

Die niedrigen Zinsen, mit der die Notenbanken die Finanzkrise bekämpften, haben den Boden für den Aktienboom der vergangenen Jahre bereitet. Umgekehrt sind Zinserhöhungen Gift für die Aktienkurse, weil in der Folge Anleihen für Anleger attraktiver werden; Investoren schichten ihr Geld dann um. In den USA ist die Zinswende bereits vollzogen, in Europa ist sie frühestens ab Mitte 2019 zu erwarten, wie EZB-Chef Mario Draghi am Donnerstag wieder betonte. Vermögensverwalter Wallwitz rechnet damit, dass die Negativzinsen auf Einlagen sogar bis 2020 bestehen bleiben. Das heißt: Die Liquidität, die den Aktienboom in der Vergangenheit befeuert hat, bleibt hoch.

Die Inflation

Sie ist eine wichtige Stellgröße auch für Aktien. Denn wenn die Preise stark anziehen, reagieren die Zentralbanken mit höheren Zinsen, um die Inflation zu bremsen. Das wiederum drückt auf die Aktienkurse. Wallwitz sieht derzeit eine gewisse Gefahr, dass die Inflation in den USA steigt und die US-Notenbank die Zinsen stärker anhebt, als der Markt es erwartet. Deshalb ist er auch skeptisch für den amerikanischen Aktienmarkt. In Europa ist diese Gefahr dagegen gering. "Wir sehen keine systematischen Steigerungen der Inflation", sagt Varnholt. Die Unternehmen könnten anziehende Preise kaum an die Konsumenten weitergeben, da der Wettbewerb im Zeitalter von Internet und Globalisierung zu stark sei.

Die Risiken

"Das größte Risiko ist derzeit, dass sich der Protektionismus verschärft", sagt Chefvolkswirt Krämer. US-Präsident Trump konzentrierte sich mit seinen Attacken zuletzt auf China, im Verhältnis zu Europa und Mexiko ist Ruhe eingekehrt. Das heißt aber nicht, dass die Konflikte nicht wieder aufflammen können. Sollte Trump neue Zollbarrieren einführen und sollten die anderen Seiten mit Gegenzöllen reagieren, wären die Unternehmen stark betroffen. Deshalb reagieren die Aktienkurse auf jeden Trump-Tweet zum Welthandel hochsensibel. In Europa liegen die größten Risiken in der populistischen Regierung Italiens, die sich vom Euro entfernen könnte, und in den Gefahren eines harten Brexits. Doch selbst diese Risiken stimmen Börsianer nicht ausschließlich skeptisch. "Wenn schlechte Stimmung herrscht, ist es immer Zeit zu kaufen", sagt Wallwitz.

Auch zehn Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise und neuneinhalb Jahre nach Beginn des Aktienbooms bleiben die Experten deshalb optimistisch. "Es gibt kein ehernes Gesetz, dass nach neun guten Jahren neun schlechte folgen müssen", sagt Varnholt. Er nennt das Beispiel Australien, der Kontinent befinde sich mittlerweile seit 27 Jahren in der Expansion. Wallwitz sieht es auch so: "Ein Aktienboom stirbt nicht an Altersschwäche", sagt er. Es müsse immer einen Grund dafür geben. Das könne eine hohe Bewertung sein, eine Rezession, ein starker Anstieg der Preise oder ein andersgearteter Schock von außen. Doch nichts von alldem ist derzeit in Sicht.

© SZ vom 17.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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