Geldpolitik:Zweifel an der Zwei

Lesezeit: 3 min

Für die Wirtschaft ist es am besten, wenn die Preise um knapp zwei Prozent steigen - denken Notenbanker. Doch dieses Ziel wird nicht erreicht. Nun wird heftig diskutiert.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Es gibt auch im Jahr zehn nach Beginn der globalen Finanzkrise ein untrügliches Indiz dafür, dass die Malaise bis zum heutigen Tag nicht auskuriert ist. Vielmehr hat der Börsenkollaps die Koordinaten der Geldpolitik neu gesetzt. Früher bestand die Hauptsorge der Zentralbanker darin, dass die Preise zu stark ansteigen könnten. Doch mit der Finanzkrise kamen niedrige Inflationsraten - zeitweise fielen die Preise sogar. Das machte den Notenbankern Angst. Deshalb tun sie jetzt alles, um die Inflation anzuheizen.

Die Währungshüter als Preistreiber. Das gab es in der modernen Zentralbankwelt auch noch nicht. Doch die Verzweiflung ist groß. Die Europäische Zentralbank (EZB), die amerikanische Notenbank Federal Reserve und die Bank of Japan versuchen seit Jahren, die jährliche Teuerungsrate auf zwei Prozent zu treiben. Dazu haben sie ihren Leitzins auf oder nahe null Prozent gesenkt und durch Anleihekäufe den Finanzmarkt mit Geld geflutet. Glaubt man den Lehrbüchern, müssten die Wirtschaften in den Industriestaaten nun brummen und die Preise stark steigen.

Doch die Wirtschaft wächst nur gemächlich, und die Preise bleiben deutlich unter dem Richtwert. In der Euro-Zone tun sie das schon seit 2013. Im Juli lag dort die Teuerung bei 1,3 Prozent. Die angestrebten zwei Prozent sind in weiter Ferne. Ähnlich sieht es in den anderen Industriestaaten aus. Das wirft Fragen auf: Verfolgen die Zentralbanken Ziele, die nicht mehr zu erfüllen sind? Muss man ein geldpolitisches Paradigma überdenken, mit dem man in den vergangenen knapp 30 Jahren gut gefahren ist?

Die EZB könnte ihre Strategie ändern, aber sie tut es nicht. Sie will nicht als Versager dastehen

Das neue Denken nahm seinen Ursprung am anderen Ende der Welt. Es war im Jahr 1989, da versprach der neuseeländische Notenbankchef Don Brash, man werde alles tun, um die Preise auf der Insel jährlich nicht mehr als zwei Prozent ansteigen zu lassen - aber auch nicht viel darunter. Damit hatte erstmals eine Notenbank ein konkretes Inflationsziel ausgerufen. Das war eine Revolution in der damals klandestinen Zentralbankwelt. Die Außenwelt wusste zu der Zeit nie so recht, warum die Geldpolitiker taten, was sie taten. Neuseeland hatte das Zwei-Prozent-Inflationsziel erfunden, das später in führenden Zentralbanken zum Standard werden sollte. Doch dieser Grundsatz steht nun infrage.

"Ökonomien verändern sich. Vor zehn Jahren war das Inflationsziel von zwei Prozent noch angemessen, doch jetzt müsste der Satz höher sein", schrieb der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz mit anderen Kollegen Anfang Juni in einem offenen Brief an die US-Notenbankchefin Janet Yellen. Die reagierte überraschend prompt und kündigte in ihrer Rede eine Woche später an, man sei sich des Problems gewahr und werde zukünftig dieses Inflationsziel "überdenken". Bis dato hatte es Yellen stets abgelehnt, das Inflationsziel infrage zu stellen.

Auch aus der EZB gibt es erste Rauchzeichen, nachdem Österreichs Notenbankgouverneur und EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny im Mai Zweifel am Inflationsziel geäußert hat. Das verbesserte Wachstum in Europa führe nicht zu einer stärkeren Teuerung, sagte er mit Blick auf die angestrebten zwei Prozent. "Aus meiner Sicht wird sich die Frage stellen, ob das noch ein realistisches Ziel ist."

Schwedens Zentralbank hat sich bereits entschieden. Sie möchte ihr Inflationsziel künftig weiter fassen. Es soll keine Teuerung von zwei Prozent avisiert werden, vielmehr solle der Zielkorridor künftig zwischen einem und drei Prozent liegen. Der Grund: Das Ziel von zwei Prozent sei seit sechs Jahren nicht mehr erreicht worden, ohne dass die geringe Preissteigerung in diesem Zeitraum die Wirtschaft des Landes gefährdet hätte.

Auch die EZB könnte ihre Politik ändern. Ihre Mandatsbeschreibung im EU-Vertrag sieht nur ganz allgemein vor, dass die Notenbank für stabile Preise sorgen soll. Wie sie das tut, bleibt ihr überlassen. Der EZB-Rat könnte seine Entscheidung, die Inflation im Euro-Raum bei "unter, aber nahe zwei Prozent" zu fixieren, also jederzeit revidieren. Doch das will man nicht - aus Furcht. Die Reputation und Glaubwürdigkeit der EZB an den Finanzmärkten könne Schaden nehmen, sollte man das Inflationsziel just in dem Moment verändern, da man es nicht erreicht. Die EZB möchte nicht als Versager dastehen.

Die Wirtschaftswissenschaft streitet seit Jahren darüber, ob das Inflationsziel von zwei Prozent noch zeitgemäß ist. Der Nobelpreisträger Paul Krugman hat gefordert, das Ziel auf vier Prozent hinaufzusetzen. Er hält hohe Inflationsraten für die Lösung der globalen Schulden- und Wachstumskrise. Krugman's Gegner erwidern: Wenn die Notenbanken nicht einmal zwei Prozent Inflation erreichen, wie sollen sie die vier Prozent schaffen? Andere Ökonomen halten als Inflationsziel ein Prozent für angemessen, weil mit der Internationalisierung der Arbeitsmärkte die Löhne wenig stiegen, was den Teuerungsdruck senke. Darüber hinaus drücke der technologische Fortschritt die Preise.

Doch warum setzen Notenbanker die Preisstabilität überhaupt mit einer bestimmten Teuerungsrate in Verbindung? Viel nachvollziehbarer scheint es zu sein, stabile Preise mit null Prozent Inflation gleichzusetzen. Das Problem ist allerdings, dass sich Inflation im Nachkommabereich nicht exakt messen lässt. Es wäre also der Fall denkbar, dass die EU-Statistiker für die Euro-Zone null Prozent Inflation ausweisen, die Preise in Wirklichkeit aber schon leicht sinken. Die EZB möchte dauerhaft sinkende Preise, eine Deflation, verhindern, weil so eine Wirtschaftskrise entstehen kann. Daher bestehen Notenbanker auf einem Puffer zur Nulllinie. Doch wie groß der sein soll - darüber wird man noch diskutieren. Der österreichische Notenbankchef Ewald Nowotny sagt: "Es ist nicht notwendigerweise schlecht, niedrige Inflationsraten zu haben, solange es gleichzeitig Wachstum gibt."

© SZ vom 11.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: