Geldpolitik:Zeitenwende

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Hüterin des Geldes: die Europäische Zentralbank in Frankfurt. (Foto: Ralph Orlowski/Bloomberg)

Von der lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) profitieren auch die ETF-Märkte.

Von Markus Zydra

Die europäische Wirtschaft wächst, doch die Europäische Zentralbank (EZB) setzt ihre Nullzinspolitik fort. Dieses sture Festhalten an der lockeren Geldpolitik ist Konsequenz der Finanz- und Euro-Staatsschuldenkrise. Die jahrelange Krisenbekämpfung hat die Notenbanker sensibilisiert. Die EZB ist übervorsichtig und interveniert lieber zu lange am Finanzmarkt als zu kurz. So kommt es, dass EZB-Präsident Mario Draghi den Leitzins frühestens im Herbst 2019 anheben möchte. Frühestens. Aufgrund der Unruhe in Italien und den Risiken für die Stabilität der Eurozone gehen einige Beobachter sogar davon aus, dass die EZB erst 2020 aktiv wird.

Draghi wäre dann schon nicht mehr im Amt - sein Vertrag endet im November 2019. Der Italiener ginge dann als erster EZB-Präsident in die Geschichte ein, unter dessen Ägide der Leitzins nur gesenkt wurde. Die letzte Erhöhung beschloss 2011 sein Vorgänger Jean-Claude Trichet.

Doch selbst wenn es mit dem ersten Zinsschritt im Herbst 2019 klappen sollte, geht kaum jemand davon aus, dass sich der Leitzins in Europa in absehbarer Zeit bei einem Normalwert von drei oder vier Prozent einpendeln würde. Die Zinswende dürfte behutsam ablaufen, denn in der Finanzwirtschaft hat man sich in den letzten Jahren an das billige Geld gewöhnt. Der Entzugsprozess bedarf einer aufmerksamen Betreuung.

Auch die ETF-Märkte haben von der lockeren Geldpolitik profitiert. Die Anbieter der börsengehandelten Fonds gewannen im Zuge der Nullzinspolitik viele neue Kunden. Seitdem Sparkonten kaum noch etwas abwarfen, gingen immer mehr Anleger an die Börse. Rückblickend kann man sagen: Es hat sich gelohnt. Aktien und Anleihen haben in den letzten Jahre ordentliche Kursgewinne gebracht.

Doch inzwischen mehren sich Zweifel daran, ob die nun neun Jahre lang andauernde Börsen-Hausse noch lange weitergehen kann. Es lauern Gefahren. In China sind es die Schulden der Gesamtwirtschaft, in den Schwellenländern die Fremdwährungsdarlehen in Dollar, in den USA die ökonomische Überhitzung und in Europa die Fragilität der Euro-Zone sowie die Staatsschulden. Die Aktienmärkte in den USA gelten schon jetzt im historischen Vergleich als überbewertet. Auch in Europa begann im Oktober das große Zittern. Die Kurse fielen auf breiter Front. Der Leitindex Dax könnte erstmals seit 2011 mit einem Jahresverlust aus dem Handel gehen. Wachsende Unruhe gibt es auch an den Anleihemärkten. Riskante Hochzinsanleihen verzeichnen Kursverluste. Investoren ziehen die Reißleine. Sie fordern jetzt höhere Renditen für ihre Kredite.

Viele Bürger konnten sich ETF-Investments nicht leisten, weil sie kein Geld übrig hatten

Die Zeitenwende an der Börse lässt sich inzwischen statistisch messen. Die Rendite der Vermögen der deutschen Privathaushalte ist zuletzt erstmals seit sechs Jahren geschrumpft. Fallende Aktienkurse in den ersten drei Monaten des Jahres und Inflationsraten von mehr als 1,5 Prozent haben diesen Schwund maßgeblich verursacht, meldete die Bundesbank kürzlich in ihrem Monatsbericht. Das Geldvermögen der deutschen Privathaushalte beträgt knapp sechs Billionen Euro. Mutige Anleger konnten in der Phase der rekordtiefen Leitzinsen an der Börse hohe Profite machen. Im Jahr 2015 lag die reale Rendite des durchschnittlichen Vermögensportfolios der Deutschen über drei Prozent, was auch der niedrigen Inflationsrate geschuldet war. Inzwischen ist die Teuerungsrate in Deutschland auf über zwei Prozent gestiegen, was den realen Ertrag immer stärker mindert.

Die Geldpolitik einer Zentralbank steuert die Finanzströme. Niedrige Zinsen erhöhen grundsätzlich den Druck auf Investoren, ihr Geld in Aktien zu stecken - dorthin, wo es noch Renditen gibt. So ist es ab 2010 geschehen, nachdem die wichtigsten Notenbanken der Welt den Leitzins gesenkt hatten. Die Börsenrally der letzten Jahre war geldpolitisch gewollt. Anleger sollten Gewinne machen und das Geld als Investition oder Konsum zurück in die Wirtschaft pumpen, um den Aufschwung zu stärken. Die Kursgewinne sind jedoch ungleich verteilt. Viele Bürger konnten sich beispielsweise ETF-Investments nicht leisten, weil sie kein Geld übrig hatten. Die Debatte um die wachsende gesellschaftliche Kluft zwischen Arm und Reich hat ihre Ursache auch in der Nullzinspolitik der Notenbanken. Andererseits hat die lockere Geldpolitik dazu geführt, dass es mehr Jobs gibt und in Teilen auch höhere Löhne. Davon profitierten Arbeitnehmer.

Seit sich die Währungshüter nach Ausbruch der globalen Finanzkrise 2008 zum Stabilisator der Weltwirtschaft aufgeschwungen haben, sind auch die Leitzinsen der EZB ein großes Thema. Der wichtigste Leitzins ist der Hauptrefinanzierungssatz mit null Prozent. Dafür erhalten Banken Geld, das sie weiterverleihen. Dazu kommt der Einlagenzins. Banken brauchen für ihre Überschüsse ein Girokonto bei der Notenbank, worauf die EZB einen Strafzins von 0,4 Prozent erhebt. Zu guter Letzt der Spitzenrefinanzierungssatz: Dieser Leitzins setzt den Preis für Übernachtkredite an Banken.

© SZ vom 08.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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