Geldpolitik:Machtkampf in Brüssel

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Die spanische Finanzministerin könnte die neue Leiterin der Euro-Gruppe werden. Doch sie hat sich Feinde gemacht.

Von Björn Finke und Sebastian Schoepp, München/Brüssel

Spaniens Finanzministerin Nadia Calviño, 51, hat gute Chancen, als erste Frau Präsidentin der Euro-Gruppe zu werden. (Foto: Javier Soriano/AFP)

Es gibt kein Amt im Euro-Raum, an dem sich der Nord-Südkonflikt so stark widerspiegelt wie am Vorsitz der Euro-Gruppe, dem Kreis der 19 Finanzminister aus den Staaten mit der Gemeinschaftswährung. Die Corona-Krise hat den stets schwelenden Streit ums Geld und seine Verwendung wieder hochgekocht, und mit dem Abschied von Mário Centeno aus Portugal von dem Posten müssen die Machtverhältnisse im einflussreichen Klub nun neu ausgekämpft werden. Spanien hat Ansprüche angemeldet, der sozialistische Ministerpräsident Pedro Sánchez will seine Finanzministerin Nadia Calviño an der Spitze der Euro-Gruppe sehen.

Ihre Chancen, dieses Amt als erste Frau zu übernehmen, stehen nicht schlecht. Als frühere Leiterin der Generaldirektion Haushalt der EU-Kommission kennt sich die Ökonomin mit dem Brüsseler Politikbetrieb gut aus, ist folglich qualifiziert. Außerdem führt mit dem Finnen Tuomas Saarenheimo ein Nordeuropäer die Euro-Arbeitsgruppe, also das Gremium, das die Sitzungen der Finanzminister vorbereitet. Das spräche dafür, dass der Vorsitz der Euro-Gruppe selbst wieder vom Süden besetzt wird. Bislang hat auch noch kein anderer Kandidat sein Interesse kundgetan; möglich ist das bis zum 25. Juni. Als potenzielle Anwärter gelten der Luxemburger Pierre Gramegna und der Ire Pascal Donohue.

Ein Argument gegen eine Spanierin an der Spitze wäre, dass das Land mit Josep Borrell bereits den obersten Außenpolitiker der Kommission stellt. Außerdem zog Calviño vor zwei Jahren den Zorn der sogenannten Hanse-Gruppe auf sich, einem losen Bündnis von EU-Staaten wie den Niederlanden, den baltischen und nordeuropäischen Ländern. Das seien bloß "kleine Länder mit kleinem Gewicht", sagte die Spanierin damals.

Der Leitung der Euro-Gruppe kommt hohe Symbolkraft zu, seit 2017 ihr damaliger Präsident, der Niederländer Jeroen Dijsselbloem, in einem Interview sagte: "Ich kann nicht mein ganzes Geld für Schnaps und Frauen ausgeben und anschließend Sie um Ihre Unterstützung bitten. Dieses Prinzip gilt auf persönlicher, lokaler, nationaler und eben auch auf europäischer Ebene." Diesen Satz bezogen Medien und Politiker in südeuropäischen Ländern auf sich. Dijsselbloem entschuldigte sich zwar später für diese an Rassismus grenzende Flegelhaftigkeit, aber es war klar, dass der Süden Wiedergutmachung fordern würde. Ende 2017 bekam daher der Portugiese Mário Centeno den Job. Seine zweieinhalbjährige Amtszeit endet am 12. Juli, und da er kürzlich als Finanzminister Portugals ausgeschieden ist, fällt eine zweite Amtszeit an der Spitze der Euro-Gruppe flach.

Das Finanzminister-Gremium hat unter der Führung des Ökonomen an Bedeutung eingebüßt. Das ist nicht alleine seine Schuld: Zwar klagen Kritiker in Brüssel, Centeno lasse im Kreise der Minister Verhandlungsgeschick vermissen. Doch liegt der Abstieg der Euro-Gruppe auch an den Themen. Während der Staatsschulden-Krise traf das Gremium unter seinen Vorgängern enorm wichtige Entscheidungen, teilweise in dramatischen Sitzungen. Unter Centeno ging es dagegen um zähe Projekte wie die Bankenunion, also die Schaffung eines einheitlichen Bankenmarktes. Nationale Widerstände sind hier groß, die Fortschritte sehr bescheiden. Aus dem Umfeld Centenos war zu hören, er habe zuletzt über die Doppelbelastung durch seine Jobs in Lissabon und Brüssel geklagt.

Seine Bilanz in der Heimat ist dafür glänzend: Er schaffte es, das schwer angeschlagene Portugal aus der Krisenzone zu bringen. Niemand Geringerer als Wolfgang Schäuble nannte Centeno einst einen "Ronaldo der Euro-Gruppe". Sein Kunststück bestand laut Insidern unter anderem darin, in Portugal relativ hohe Posten im Haushalt für Soziales festzuschreiben und so Mehrheiten im links dominierten Parlament zu holen - um dann die Ausgaben einfach nicht anzuweisen, was ihm das Wohlwollen der sparsamen Nord- und Niederländer einbrachte.

Centeno wurde Opfer der Rivalität mit seinem Premierminister

Beliebtheit aber kann zum Bumerang werden - und das ist augenscheinlich Centeno passiert. Portugals sozialistischer Premierminister António Costa entließ ihn in der vergangenen Woche, und dahinter steckte offenkundig die notorische Rivalität der beiden Machtmänner.

Diese wurde Anfang Mai sichtbar, als Centeno eine 850-Millionen-Euro-Finanzspritze für die Krisenbank Novo Banco genehmigte, die Nachfolgerin der aufgespaltenen Skandalbank Espírito Santo. Costa hatte eine solche Zuwendung zuvor öffentlich abgelehnt, Centeno behauptete später, es habe sich nur um ein Kommunikationsproblem gehandelt, aber der Konflikt war da. Centeno soll nun mit dem Posten des Zentralbankchefs abgefunden werden, was die Opposition mit einem speziell auf ihn zugeschnittenen Gesetzentwurf verhindern will. Das wiederum brachte Costa dazu, den eben geschassten Minister nun doch zu verteidigen. Seien Centenos gute Ergebnisse als Finanzminister vielleicht ein Verbrechen?, fragte der Regierungschef am Rande der Zeremonie für die Einführung von Centenos Nachfolger, João Leão. Insgesamt wird Centeno allerdings ohnehin eine höhere Ambition nachgesagt als die, lange portugiesischer Chef-Kassenwart zu sein. Man werde ihn schon bald im internationalen Finanzgeschäft wiedersehen, vermuten Kenner.

© SZ vom 17.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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