Geldpolitik:"Geben Sie uns Zeit"

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Christine Lagarde, seit drei Wochen Chefin der Europäischen Zentralbank, erklärt Bankern in Frankfurt, wo es langgeht.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Christine Lagarde möchte Deutschland mit der Europäischen Zentralbank versöhnen. Eine gute Strategie ist es da bestimmt, guten Willen zu zeigen. So versprach die neue EZB-Chefin vor Kurzem, sie werde Deutsch lernen. Nun folgte die Umsetzung der ersten Lektionen. "Ich freue mich, heute hier zu sein", sagte die Nachfolgerin von Mario Draghi am Freitag beim Bankenkongress in Frankfurt. Auf Deutsch, mit charmantem Akzent. Doch das Publikum reagierte nicht. Da schob die ehemalige französische Finanzministerin ein kokett-fragendes "So?" ein, was man in diesem Zusammenhang mit einem "Wie war ich?" interpretieren darf. Die Banker im Saal der Alten Oper mochten das und klatschten endlich.

Es war ihr erster großer Auftritt in Frankfurt, wo sie einen Großteil ihres Arbeitslebens in den nächsten acht Jahren verbringen wird. Zunächst die schlechte Nachricht für viele Nullzins-Geplagte im Land: Bis auf Weiteres bleibe es bei dieser lockeren Geldpolitik. Dann die andere Nachricht: Die EZB werde ihre geldpolitische Strategie überdenken. "Geben Sie uns Zeit", bat Lagarde, die ihre Kollegen aus dem EZB-Rat vor Kurzem zu einem Sondierungstreffen bat, außerhalb Frankfurts, in entspannter Atmosphäre und herrschaftlichem Ambiente, wovon auch ein Bild zeugte, das die EZB in den sozialen Medien veröffentlichte.

Lagarde möchte das oberste Entscheidungsgremium der Notenbank wieder auf eine Linie bringen, nachdem ihr Vorgänger Draghi mit seiner letzten Entscheidung, die Geldpolitik erneut zu lockern, einen Keil in die Gruppe getrieben hat. Die EZB ist in einem Dilemma: Sie macht die lockerste Geldpolitik ihrer Geschichte, doch sie verfehlt ihr Ziel, das Preisniveau auf nahe zwei Prozent anzuheben. Diese Marke hat sich die Notenbank 2003 gesetzt, um Puffer nach unten zu haben. Nun will man diskutieren, ob das Inflationsziel modifiziert werden muss. Andere Notenbanken haben ähnliche Probleme: Weltweit gehen die Inflationsraten zurück.

Mit solchen Strategiefragen wird sich Lagarde intern in den nächsten Monaten beschäftigen. Zum aktuellen Zeitpunkt möchte die Französin Mut machen. Europa, "der zweitgrößte Wirtschaftsraum der Welt", müsse wieder "Zuversicht" haben in die eigene Stärke. Außerdem könne die EZB nicht alles allein machen, um die Euro-Zone zu stabilisieren. Politik und Wirtschaft müssten mitziehen. Lagarde, wie auch Draghi, fordert schon lange Investitionen seitens der wirtschaftsstarken Euro-Staaten, von Deutschland beispielsweise. Dieser Vorschlag ist bekanntermaßen umstritten in der Bundesregierung, aber Lagarde dürfte versuchen, das zu ändern, mit ökonomischen Argumenten und etwas Charme. Sie sprach am Freitag schon einmal von ihrem "Freund, Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD)".

Lagardes Auftritt unterstreicht, dass sie nach innen und außen einiges bei der Notenbank verändern möchte. Erst seit drei Wochen im Amt, nimmt die EZB-Präsidentin ihre Rolle in der Öffentlichkeit spürbar anders wahr als Draghi, der sich aus großen öffentlichen Runden meist schnell zurückzog. Ganz anders Lagarde. Die frühere Chefin des Internationalen Währungsfonds setzte sich nach ihrer Rede wieder auf ihren Platz, um einer Gesprächsrunde mit den Chefs europäischer Großbanken zu folgen. Es ging um die Frage, wie die Institute mit den Nullzinsen umgehen sollten. Lagarde machte sich mit interessiertem Gesichtsausdruck Notizen.

Zwischendurch schrieb sie Nachrichten auf ihrem Handy, das in einem roten Etui steckte. Auch das hat man bei Draghi nie gesehen: Lagarde gab Handzeichen an Kollegen im Saal, kleiner Finger und Daumen gespreizt, man möge doch mal telefonieren.

© SZ vom 23.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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