Geldpolitik:Die Schleusen bleiben offen

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Die EZB will weniger Staatsanleihen kaufen. Ein richtiger Ausstieg ist das noch nicht.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Der EZB-Rat entscheidet zwar erst am Donnerstag über die künftige Geldpolitik, eines aber zeichnet sich schon ab: Mario Draghi lässt den Geldhahn noch eine ganze Weile offen. Der EZB-Präsident und die 24 Ratskollegen dürften sich zwar auf ein Abschmelzen des Anleihenkaufprogramms einigen. Das ist aber kein Schlussstrich unter die lockere Notenbankpolitik. Der Leitzins bleibt bis auf Weiteres bei null Prozent, sehr wahrscheinlich sogar bis Ende 2019, wenn Draghis Amtszeit endet.

Folgende Beschlüsse sind am Donnerstag zu erwarten: Das Anleihenkaufprogramm wird wohl bis September 2018 verlängert. Die Notenbank wird dazu ab Januar 2018 monatlich Staats- und Unternehmensschuldscheine im Wert von 30 Milliarden Euro kaufen. Damit kämen noch einmal 270 Milliarden Euro oben drauf. Das bisherige Programm, das im Dezember ausläuft, sieht Ankäufe in Höhe von 60 Milliarden Euro pro Monat vor und erreicht bis zum Jahresende eine Gesamtvolumen von 2,2 Billionen Euro.

Draghi möchte diesen Billionen-Betrag länger im Markt lassen. Dazu wird er auslaufende Anleihen ersetzen. Denn jeder Schuldschein wird zu einem bestimmten Zeitpunkt einmal fällig. Dann erhält die EZB das Geld vom Schuldner zurück. Die Notenbank wird den Betrag aber sofort wieder in eine neue Anleihe investieren. So fließt das Geld zurück in das Finanzsystem. Die Finanzwelt spricht von einem "Rollover".

Die EZB bleibt damit auf Jahre hinaus einer der wichtigsten Akteure am Finanzmarkt. Ihre Bilanzsumme ist mit 4,4 Billionen Euro so hoch wie nie zuvor in ihrer Geschichte. Diese Zahl drückt aus, wie stark die EZB an den Börsen involviert ist. Zum Vergleich: Im Jahr 2007 lag die Bilanzsumme noch bei 1,5 Billionen Euro.

Draghi befürchtet Turbulenzen an den Börsen, sollte er die Geldpolitik zu früh und zu schnell straffen. Außerdem hemmt die EZB durch eine Fortsetzung der lockeren Geldpolitik eine weitere Aufwertung des Euro, die unerwünscht ist, weil das den Exportsektor belasten könnte.

Allerdings steigt der politische Druck, die ungewöhnlichen Maßnahmen schnell zu beenden. Europas Wirtschaft wächst, doch die EZB pumpt mehr Geld ins System als zu schlimmsten Krisenzeiten - das passt nicht zusammen. Die Nullzinspolitik zehrt an den Renditen der Pensionskassen. Einige Menschen befürchten, dass ihre Renten nicht ausreichen werden. Banken klagen, dass ihre Erträge gefährlich schrumpfen, wenn die Zinsen weiterhin so niedrig blieben.

Die EZB kennt diese Sorgen, doch offiziell kümmert sie sich nicht darum. Ihr Mandat ist es, für stabile Preise zu sorgen, und darunter versteht sie, dass die Inflation in der Euro-Zone mittelfristig nahe, aber unter zwei Prozent liegen muss. Doch dieses Ziel ist schwer zu erreichen. Im September lag die Teuerungsrate bei 1,5 Prozent, und sie wird den Prognosen zufolge in den kommenden zwei Jahren auch kaum höher steigen. Das überrascht die Expertenwelt. Bei einer so lockeren Geldpolitik und einer wachsenden Wirtschaft müssten die Preise eigentlich flink steigen. Doch das tun sie nicht in dem erwarteten Maße, nicht in Europa, nicht in Japan, nicht in den USA.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich goss in ihrem jüngsten Quartalsbericht diese Ratlosigkeit in entwaffnend offene Worte. Man wisse nicht, warum die Inflation trotz Vollbeschäftigung in der Wirtschaft und lockerer Geldpolitik durch die Zentralbanken gedämpft bleibe. Das sei die "Millionenfrage", auf die niemand eine Antwort habe.

Deshalb gibt es in Notenbankkreisen bereits Debatten, ob das Zwei-Prozent-Ziel noch angemessen ist. Österreichs Notenbankgouverneur Ewald Nowotny unterstrich mit Blick auf die angestrebten zwei Prozent, das verbesserte Wachstum in Europa führe nicht zu einer stärkeren Teuerung. "Aus meiner Sicht wird sich die Frage stellen, ob das noch ein realistisches Ziel ist", so das EZB-Ratsmitglied.

Manche Ökonomen halten als Inflationsziel ein Prozent für angemessen, weil mit der Internationalisierung der Arbeitsmärkte die Löhne wenig stiegen, was den Teuerungsdruck senke. Darüber hinaus drücke der technologische Fortschritt die Preise. Schwedens Zentralbank möchte ihr Inflationsziel deshalb modifizieren. Es soll keine Teuerungsrate von zwei Prozent avisiert werden, stattdessen werde es einen Zielkorridor zwischen einem und drei Prozent geben. In Schweden sind die Preise ebenfalls nicht so stark gestiegen, wie eigentlich erwartet wurde.

Auch die EZB könnte ihr Inflationsziel ändern. Doch das wird sie jetzt, da sie das Ziel verfehlt, kaum machen. Das sähe einfach nicht gut aus.

© SZ vom 24.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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