Geldanlage:Eine lästige Pflicht

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Sind die meisten Finanzprodukte für den normalen Sparer nicht viel zu kompliziert? Doch! Aber die Industrie duldet es.

Markus Zydra

Nächtliche Träume sind ein guter Indikator für das, was Menschen wirklich bewegt. Viele Menschen träumen von der Liebe, und manche Männer auch vom nächsten Auto.

Mit der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers haben auch viele deutsche Sparer viel Geld verloren. (Foto: Foto: dpa)

Bei Finanzprodukten schwingt dagegen deutlich weniger Emotion mit. Wer wacht schon in der Nacht aus seinen Träumen auf, weil er unbedingt ein Zertifikat kaufen will? Für die meisten Deutschen ist Geldanlage eine lästige Pflicht, obwohl Wertpapiere aller Couleur Grundlage der Rente sind.

Finanzprodukte werden in erster Linie verkauft und nicht gekauft. Finanzberater rufen ihre Kunden an, um sie von einer Investition zu überzeugen - und um ein Produkt zu verkaufen.

Sofort einen Sündenbock

Im besten Fall sind die Empfehlungen der Berater angemessen, doch das erlebt man leider viel zu selten. Deshalb ist das Aufschwatzen der schon beim Hinhören schwer verständlichen Produkte "DivDax-Zertifikat" und "Geldmarktfonds Enhanced" problematisch. Wenn die Kurse fallen, hat der Kunde sofort einen Sündenbock. Motto: Er wollte ja eigentlich nichts kaufen, es war allein die Überredungskunst des Beraters.

Mit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers haben Tausende deutsche Sparer viel Geld verloren. Ihre Lehman-Zertifikate wurden über Nacht wertlos. Seither sind diese sogenannten Inhaberschuldverschreibungen geächtet. Kaum ein Berater wagt noch, sie am Schalter anzubieten. Die Zertifikatebranche macht folgerichtig derzeit nur geringe Umsätze.

Doch auch Investmentfonds sind Ladenhüter. Im Oktober zogen Anleger so viel Kapital ab wie noch nie in der bundesdeutschen Geschichte. Dabei sind Publikumsfonds als sogenanntes Sondervermögen verfasst - und damit vor jeglicher Bankenpleite geschützt. Dennoch steigen die Leute aus. Sie haben genug von den Kursverlusten.

Deutsche Sparer sind enttäuscht und verunsichert. Die Finanzmärkte sind gefährlicher als gedacht. Anleger schauen erst jetzt genau hin, was in ihren Wertpapierdepots liegt. Und sie entdecken Produkte, die sie nicht verstehen.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, ob Zertifikate für den normalen Anleger zu kompliziert sind.

Dabei mangelt es vordergründig nicht an Aufklärung. Die Derivate- und Fondsbranche informiert in Broschüren, im Internet und in Büchern. Wer will, kann sich jederzeit schlaumachen - doch die wenigsten Anleger wollen. Hier liegt das Hauptproblem, und das weiß die Branche auch, denn sie kritisiert die mangelhafte Finanzbildung der Deutschen schon lange.

Dennoch überschwemmen Banken und Fondsgesellschaften den Markt mit hochkomplizierten Papieren. Tausende Fonds und Hunderttausende Zertifikate liegen im Regal.

Der Vertrieb bringt die Produkte gegen Provision unter die Leute. Kaum jemand fühlt sich dafür verantwortlich, dass der Kunde wirklich versteht, was er da kauft. Sicher haben Anleger eine Holschuld. Sie sollten sich informieren. Doch die Realität zeigt, dass die meisten Sparer lernfaul sind. Autofahrer zwingt man zum Führerschein. Es geht um Leben und Tod. Finanzanleger lässt man einfach machen - es geht um Armutsrisiken im Alter.

Große Wissenslücken

Man wird das Gefühl nicht los, dass die Finanzindustrie von diesen Fragen unberührt ist. Sind zu viele Produkte auf dem Markt? Nein, heißt es, die Menschen wollten ein solch breites Angebot.

Sind Zertifikate nicht zu kompliziert? Nein, schreibt der Deutsche Derivate Verband in seiner aktuellen Broschüre, dieser Vorwurf werde zu Unrecht gemacht. Dabei hat die Interessengruppe nun eine Checkliste mit 18 Fragen veröffentlicht, die das genaue Gegenteil belegt. Nur wer alle Antworten kennt, solle ein Zertifikat kaufen, fordert der Verband vom Kunden, und das zu Recht.

Wer die Checkliste liest, merkt sofort, wie groß die Wissenslücken sind. Der Fragenkatalog ist in Teilen auch für Investmentfonds anwendbar. Die Lektüre schärft den kritischen Geist der Sparer und bringt ihn auf Augenhöhe mit dem Berater.

Vielleicht schafft mehr Wissen dann auch mehr Begeisterung für Finanzprodukte. Einige Anleger wachen derzeit tatsächlich auf und denken an Zertifikate - das sind jedoch Albträume.

© SZ vom 03.12.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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