Gastronomie:"Der Döner ist krisensicher"

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Der Fleischkegel made in Germany ist eine echte Erfolgsgeschichte: Der türkische Familienbetrieb Karmez aus Frankfurt liefert täglich bis zu 1500 Döner-Spieße an Imbissbuden in ganz Europa.

Markus Zydra

(SZ vom 7.7.2003) — Bei der Karmez Dönerfabrik mit dem Chef sprechen? Das könnte schwierig werden, denn Bosse gibt es hier zuhauf. Acht Geschwister der Familie Tütüncübasi führen hier das Regiment; sieben Brüder und eine Schwester im Alter zwischen 33 und 51 Jahren.

"Jeder Einzelne handelt eigenverantwortlich für seinen Bereich", sagt die Nummer Sechs in der Altersfolge, Önder Tütüncübasi. Der 39-jährige Vater von drei Töchtern und studierter Volkswirt ist der offizielle Prokurist der Firma. Führungsaufgaben gibt es jedoch für alle Geschwister: Der eine steuert das Marketing, der andere das Personal, der übernächste die Technik.

Dies ruft gelegentlich lebhafte Diskussionsrunden hervor: Wer hat da das letzte Wort? Wer entscheidet? Die Mehrheit? Tütüncübasi schüttelt den Kopf: "Zwischen uns gibt es eine natürliche familiäre Hierarchie." Im Klartext bedeutet das, dass die Älteren das Sagen haben. Geschäftsführer ist allerdings offiziell Ömer, der viertälteste der Geschwister.

600 Kalorien für vier Euro

Das hierarchische Entscheidungsprinzip hat dem Unternehmen scheinbar nicht geschadet. Täglich verlassen 20 Tonnen Dönerfleisch den Industriebetrieb im Frankfurter Osten. Das sind, je nach Größe, 1000 bis 1500 Dönerkegel.

Seit 20 Jahren wächst das Unternehmen. Auch in diesen schlechten konjunkturellen Zeiten gehe es aufwärts. "Der Döner ist krisensicher", sagt Tütüncübasi und verweist auf die niedrigen Preise. Eine Brottasche mit geballten 600 Kalorien Dönerfleisch, Rohkost, Salat und Joghurtsauce kosten vier Euro — das scheine die Konsumenten auch in klammen Zeiten zu überzeugen.

Über Geschäftszahlen will der Unternehmer öffentlich nicht sprechen, aber die wachsende Zahl der Angestellten ist auch ein Indiz dafür, wie gut es Karmez geht. Im Jahr 1996 wurde die neue Fabrik in Frankfurt mit damals 40 Mitarbeitern eröffnet. Das Investitionsvolumen betrug rund fünf Millionen Euro. Heute bereiten 140 Angestellte das Dönerfleisch fachgerecht zu. Das Unternehmen sucht noch immer neue Mitarbeiter — Voraussetzung ist eine Fleischerausbildung.

Fertig mariniert und aufgesteckt liefert Karmez die Dönerkegel an deutsche und europäische Imbissbuden. 60 Prozent des Umsatzes macht Karmez bereits im Ausland. Rund 13.000 Dönerstände gibt es allein in Deutschland. Den Zulieferermarkt teilen sich Hunderte von Anbietern; Karmez gehört zu den größten.

Die Fleischtürme gibt es in verschiedenen Gewichtsgrößen: von fünf bis 80 Kilogramm. Die Besitzer der Dönerbuden ersparen sich durch den Einkauf der Fleischkegel die mühselige Arbeit, das Dönerfleisch zu zerlegen, in dünne Scheiben zu schneiden und auf den Spieß zu stecken. Die Aufsteckprozedur ist so kompliziert, dass sie in Fachkreisen gerne mit dem Bau von Häusern verglichen werde: "Der Fleischberg kann kollabieren, wenn man Fehler macht", warnt Tütüncübasi.

Eine Wachstumsstory

Döner made in Germany sei "eine Wachstumsstory" — die Zahlen geben dem Unternehmer recht: So aßen die Deutschen im Jahr 2000 etwa 83.000 Tonnen Dönerfleisch, schätzt das Zentrum für Türkeistudien in Essen. Der Gesamtumsatz belief sich auf knapp 1,7 MilliardenEuro. Keine Currywurst oder keine Bulette, könne in Deutschland solche Umsätze vorweisen.

Dies hätte sich Vater Tütüncübasis nicht träumen lassen. Als Gastarbeiter kam er 1970 nach Deutschland. Bis 1973 hatte er die gesamte Familie in die schwäbische Heimat nachgeholt. Dönerbuden gab es damals nicht. Önder, damals zehn Jahre alt, erinnert sich. "Immer wieder hieß es, dass wir in die Türkei zurückkehren. Doch immer wieder wurde es aufgeschoben". Dann kam die Rezession Anfang der 80er Jahre.

Önders Vater wurde arbeitslos. "Plötzlich sollten wir weg. Die Politik versprach Rückkehrprämien." Doch Önder und seine Geschwister blieben. Sie hatten deutsche Schulen besucht und fühlten sich wohl in der neuen Heimat. In Rüsselsheim machten sich die ältesten drei Brüder Tütüncübasi 1985 selbstständig. Sparguthaben und Abfindungen dienten als Startkapital.

Aus dem türkischen Lebensmittel- und Fleischergeschäft ging 1983 die Karmez Dönerfabrik hervor. "Wir haben Deutschland etwas zurückgegeben", sagt Önder Tütüncübasi — und er meint damit nicht nur seine Familie sondern alle Gastarbeiter. "In Deutschland ist mit der Dönerindustrie ein neuer Sektor mit 15.000 Existenzgründern und rund 60.000 Arbeitsplätzen entstanden."

Inzwischen findet der von türkischen Einwanderern erfundene Döner den Weg zurück in die alte Heimat. Lange war der hiesige Döner Kebab in der Türkei unbekannt. "Dönerfleisch wird dort ganz anders zubereitet. Der klassische Imbiss im Brot ist in Deutschland entstanden," sagt Tütüncübasi. Erst langsam schmecke er auch türkischen Konsumenten.

Künftig will Karmez neue Kunden ansprechen: "Dönerfleisch gehört auch in Tiefkühlfächer der Privathaushalte. Und auf die Speisekarten guter Restaurants."

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