Gastbeitrag:Was bei der Rente jetzt zu tun ist

Lesezeit: 4 Min.

Die Regierungskommission blieb vage. Dabei erfordert die Demografie große Reformen.

Von Axel Börsch-Supan, Franz Ruland und Martin Werding

Mitten in der Corona-Krise meldet sich die Rente wieder. Am Freitag hat die Kommission "Verlässlicher Generationenvertrag" Bundesminister Hubertus Heil ihren Bericht übergeben. Vor einer Woche hatte dieser erneut eine überdurchschnittlich hohe Rentensteigerung verkündet, in der Rentenversicherung selbst hieß es, das sei "in der aktuellen wirtschaftlichen Lage ein positives Signal". Das ist es und das wird wie in der Finanzkrise 2008 ein Stabilitätsanker der deutschen Gesellschaft sein. Allerdings reagiert die Rente auf Lohn- und Beschäftigungsentwicklungen mit ein- bis zweijähriger Verzögerung. Die Auswirkungen der Corona-Krise werden die Rente also erst 2022 voll erfassen, ähnlich wie die Rentengarantie nach der Finanzkrise erst 2010 eingreifen musste.

Die eigentliche Herausforderung der Rentenversicherung ist nicht der jetzt bevorstehende Konjunktureinbruch, sondern die demografische Entwicklung, denn Deutschland steht unmittelbar vor einem Alterungsprozess, der stärker als in anderen Ländern ist. Unsicherheiten über demografische Trends, also Geburten, Zuwanderung und Lebenserwartung, wirken sich bis 2040 kaum aus. Die künftige Entwicklung von Beschäftigung und Wirtschaftswachstum ist zwar weit weniger absehbar, wie aktuell wieder einmal deutlich wird. Aber selbst eine so günstige Arbeitsmarktentwicklung wie in den vergangenen Jahren würde die Effekte der demografischen Alterung nur etwas mildern, keinesfalls ausgleichen. Die Zahl der Rentner wird in den nächsten zehn bis 15 Jahren stark steigen, die Zahl der Beschäftigten dagegen zurückgehen. Die Belastung der Rentenfinanzen, die daraus resultiert, wird sich auch nach 2040 nicht wieder zurückbilden. An diese Perspektive muss das Rentensystem dringend angepasst werden.

Um Reformen vorzubereiten, hat die Bundesregierung im Mai 2018 die Rentenkommission eingesetzt. Sie hat sich, wie schon bekannt wurde, sehr schwer mit ihren Empfehlungen getan. Diese bleiben vage und geben bei den wirklich brennenden Problemen den Auftrag lediglich an zukünftige Gremien weiter. Dieses Ergebnis war vorauszusehen, da die Rentenkommission vor allem mit (ehemaligen) Politikern der Regierungsparteien und nur wenigen Wissenschaftlern besetzt wurde.

Was wäre wirklich zu tun?

Bei den notwendigen Reformen sind die Grundprinzipien zu beachten, die das Rentenrecht prägen. So ist der Eigentumsschutz von Rentenanrechten eine bindende Vorgabe. Die Äquivalenz von Beitrag und Leistung ist eine zwingende Folge des Gleichheitssatzes, sie schließt - entsprechend dem Auftrag einer Sozialversicherung - einen sozialen Ausgleich zwischen den Versicherten nicht aus, soweit dieser sachlich angemessen und den Beitragszahlern vom Ausmaß her zumutbar ist. Auch erlaubt das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes den Ausgleich demografiebedingter Defizite in der Rentenversicherung nur durch eine gleichmäßige Belastung aller beteiligten Generationen. Eine einseitige Belastung der Erwerbstätigengeneration durch steigende Beiträge und ein langfristig sinkendes Rentenniveau oder umgekehrt eine beträchtlich stärkere Belastung der Rentnergeneration durch Rentenkürzungen sind unzulässig.

Durch die Corona-Krise engt sich der Spielraum weiter ein

Um diese Grundsätze zu beachten und wegen der Dimension der demografischen Herausforderung kann man nicht nur mit einer einzigen Gegenmaßnahme reagieren. Man braucht ein Paket mehrerer Maßnahmen, die sich an den einzelnen Ursachen orientieren. Für fast jede dieser Maßnahmen gibt es alternative Gestaltungsmöglichkeiten. Nichts zu tun, ist keine Alternative.

Der 2005 eingeführte Nachhaltigkeitsfaktor sollte als "Generationengerechtigkeitsfaktor" so vereinfacht werden, dass, wenn die demografische Belastung der Rentenversicherung steigt, die Mehrbelastung der Aktiven durch höhere Beiträge zu einem anteilig gerechten Absinken des Sicherungsniveaus der Renten führt. Sie werden dadurch weniger stark steigen wie die Löhne; sie werden aber auch in Zukunft weiter steigen und Abstand halten zu den Leistungen der Grundsicherung. Ein solcher Faktor würde die finanzielle Last des demografischen Wandels gleichmäßig auf Alt und Jung aufteilen. Es gibt auch Alternativen. Man könnte - wie zum Beispiel in Österreich - das Rentenniveau bei dem Rentenzugang relativ hoch ansetzen, dann aber die Bestandsrenten deutlich langsamer als die Löhne steigen lassen.

Alternativlos ist es, die durch die wachsende Lebenserwartung gewonnenen Jahre zwischen Erwerbstätigkeit und Ruhestand aufzuteilen. Nur so lässt sich der Druck auf Beitragssatz und Rentenniveau zugleich verringern. Es wäre unvernünftig, hier in Extremen zu denken, also etwa die zusätzlichen Lebensjahre komplett in einer längeren Rentenlaufzeit oder vollständig in einer längeren Erwerbsphase zu verbringen. Gegenwärtig besteht ein Durchschnittsleben aus etwa 40 Jahren Arbeit und 20 Jahren Rentenbezug. Diese Proportionen gilt es auch nach dem Jahr 2030 zu wahren. Dies ist nicht die gefürchtete "Rente mit 70". Gemäß dieser Regel müsste erst 2043 das Rentenalter auf 68 Jahre angehoben werden. Den Rentnern wird dadurch nichts weggenommen, die längere Lebenserwartung geht nicht ausschließlich zu Lasten der Beitragszahler.

Unbezahlbar wäre es, die 2018 beschlossene doppelte Haltelinie für Beitragssatz und Sicherungsniveau über 2025 hinaus beizubehalten. Der Bund müsste die Mehrausgaben und die Mindereinnahmen mit hohen zweistelligen Milliardenbeträgen finanzieren. Dies begrenzt den Spielraum für seine anderen Ausgaben, etwa Bildung, Klimaschutz oder Armutsvermeidung. Auch wird der Bund sich mit erheblichem Aufwand an den Mehrbelastungen von Kranken- und Pflegeversicherung durch das Altern der Bevölkerung beteiligen müssen. Die Steuern müssten noch mehr steigen, was bei der Umsatzsteuer auch Rentner belasten würde.

Erwartet werden von einer Rentenreform auch Maßnahmen zur Eindämmung von Altersarmut, mit deren Anstieg gerechnet werden muss. Neuere Untersuchungen zeigen, dass der Anstieg der Altersarmut nicht so stark sein wird, wie vielfach befürchtet. Die verbreitete Sorge, dass ein sinkendes Rentenniveau zwangsläufig zu mehr Altersarmut führe, ist unzutreffend. Von Altersarmut betroffen sind Langzeitarbeitslose, für die wieder Rentenbeiträge gezahlt werden sollten. Die Lage zukünftiger Erwerbsminderungsrentner hat sich durch Reformen der vergangenen Jahre deutlich verbessert.

Personen, die abwechselnd abhängig beschäftigt und selbständig tätig waren, sind besonders armutsgefährdet. Ihnen würde geholfen, wenn zumindest Solo-Selbständige in die Rentenversicherung einbezogen würden, was bisher an der Frage, wer die Beiträge zahlen soll, gescheitert ist. Die Situation von Alleinerziehenden mit mehreren Kindern ist nach wie vor unbefriedigend, auch wenn Kindererziehungs- und berücksichtigungszeiten eine deutliche Verbesserung gebracht haben. Da die geplante, sehr umstrittene Grundrente nahezu keinen Beitrag zur Bekämpfung der Altersarmut leistet, sollte man das viele Geld zielgenauer einsetzen.

Gefordert wird immer wieder, Beamte in die Rentenversicherung einzubeziehen. Ihre Sonderstellung wird als ungerecht empfunden. Doch hat die Politik bislang gezögert; notwendig wäre eine Grundgesetzänderung. Zudem wäre ihre Einbeziehung für die Rentenversicherung ein schlechtes Geschäft, da Beamte durchschnittlich eine höhere Lebenserwartung haben.

Die grundlegenden Reformen der Jahre 2001 bis 2007 haben das deutsche Rentenversicherungssystem auf einen stabilen Pfad gebracht. Doch wurden mit der Rente mit 63 und der doppelten Haltelinie Erwartungen geweckt, die im sich verschärfenden demografischen Wandel nicht erfüllt werden können. Durch die Corona-Krise engt sich der Handlungsspielraum weiter ein, obwohl gerade jetzt der demografische Druck steigt und langfristiges Handeln notwendig ist.

Daher ist zu hoffen, dass das Ergebnis der Rentenkommission, auch wenn es sehr mager ist, zumindest eine intensive rentenpolitische Diskussion auslöst. Auch muss man überlegen, wie man Reformprozesse losgelöst von der parteipolitischen Routine vorbereitet. Die Politik braucht Kontrolle und Alternativen, das gilt wegen ihrer Komplexität besonders bei der Rente.

© SZ vom 30.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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