Gastbeitrag:Prämie für Umzugsverweigerer

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Unabhängig von Robert Habecks Patzer: Die Pendlerpauschale ist ökologisch schädlich. Denn sie ist eine der Ursachen für die starken Zuwächse des Verkehrs und dessen unverminderte CO₂-Emissionen.

Von Friedrich Heinemann

Grünen-Chef Robert Habeck hat sich mit seinem Interview zur Pendlerpauschale viel Spott eingehandelt. Offenbar war ihm nicht bekannt, dass die Pauschale unabhängig vom Verkehrsmittel ist und das Auto nicht gegenüber Bus, Fahrrad oder Turnschuh privilegiert wird. Nicht wenige der Reaktionen auf Habecks Lapsus waren allerdings selber analytisch fehlerhaft. Vorschnell haben Kommentatoren von der Neutralität bei den Verkehrsmitteln auf die ökologische Unbedenklichkeit geschlossen. Dieser Schluss ist falsch, denn die Entfernungspauschale verzerrt sehr wohl eine Entscheidung in eine ökologisch schädliche Richtung, nämlich die Entscheidung zwischen Pendeln und Umzug.

Zuerst die seit wenigen Tagen auch allen Spitzenpolitikern bestens bekannten Fakten: Die Entfernungspauschale wird in Höhe von 30 Cent pro Kilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (einfache Strecke) für jeden an der Arbeitsstätte verbrachten Arbeitstag gewährt. Der Pauschalbetrag mindert die zu versteuernden Einkünfte. Der Steuervorteil bemisst sich entsprechend dem individuellen Grenzsteuersatz der Einkommensteuer (plus Solidaritätszuschlag). Bereits seit dem Veranlagungsjahr 2001 ist die Pauschale unabhängig vom genutzten Verkehrsmittel mit der Ausnahme von Flugkilometern, die nicht anerkannt werden.

Auch seitdem ist über Höhe und Ausgestaltung der Pauschale immer wieder heftig gestritten worden. 2007 hat der Gesetzgeber versucht, die Entfernungspauschale unter Verweis auf das "Werkstorprinzip" weitgehend abzuschaffen. Dieses Prinzip besagt, dass steuerrechtlich die Arbeit erst am Werkstor beginnt und Zeit und Kosten davor "Privatvergnügen" seien. So sollten nur noch Entfernungen ab dem 21. Kilometer absetzbar sein - diese Regelung aber kassierte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2008. Die Richter zwangen unter Verweis auf das Leistungsfähigkeitsprinzip den Gesetzgeber, die Pauschale wieder ab dem ersten Kilometer zu gewähren.

Obwohl die Regelung keinen Unterschied zwischen den Verkehrsmitteln macht, hat sie Anreizwirkungen. Die durch die Pauschale bewirkte Steuerersparnis kompensiert Pendler für einen nennenswerten Teil ihrer monetären Pendelkosten. Dies verändert die Entscheidungssituation ganz erheblich, wenn ein Arbeitnehmer eine Stelle annimmt, die entfernt von seinem (bisherigen) Wohnort liegt. In einer solchen Situation steht über kurz oder lang die Entscheidung an, entweder in die Nähe des neuen Arbeitsplatzes umzuziehen oder aber auf Dauer die Pendeldistanz in Kauf zu nehmen. Wenn das Finanzamt in vielen Fällen gut die Hälfte der Tankfüllung oder einen nennenswerten Teil der Bahncard 100 übernimmt, dann ist dies ein sehr starker finanzieller Anreiz, jeden Tag die lange Strecke in Kauf zu nehmen.

Die Kritik an der Erhöhung der Entfernungspauschale im Klimapaket ist gerechtfertigt

Die Alternative zum Pendeln ist der Umzug. Unter den heutigen Bedingungen des angespannten Wohnungsmarktes bedeutet die Kündigung des noch relativ günstigen alten Mietvertrags zumeist einen starken Anstieg der Mietbelastung. Diese dauerhaften Zusatzkosten bei berufsbedingtem Umzug sind eigentlich nicht weniger durch den neuen Arbeitsplatz bedingt als die höheren Kosten des Pendelns. Die Krux ist, dass das deutsche Steuerrecht beide Kostenarten ungleich behandelt. Das Finanzamt interessiert sich nicht für den Mietanstieg, gewährt aber eine großzügige Kompensation für die höheren Pendelkosten.

Abgesehen davon, dass dieser Fehlanreiz gegen den Umzug zur ineffizienten Vergeudung wertvoller Lebenszeit in Zügen und auf Autobahnen führt, ist er mit hohen ökologischen Kosten verbunden. Die Fehlanreize der Pendlerpauschale sind mit für die heute häufigen hohen Pendeldistanzen verantwortlich. Die Pauschale ist damit eine Ursache für die starken Zuwächse des Verkehrs und dessen unverminderte CO₂-Emissionen. Die Tatsache, dass die Pauschale bei diesem Wachstum nicht noch zusätzlich das Auto in besonderer Weise begünstigt, kann allenfalls als Schadensbegrenzung gewertet werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass Pendler insbesondere bei hohen Distanzen ab 25 Kilometern in etwa vier von fünf Fällen das Auto benutzen. Der durch die Pendelpauschale ausgelöste zusätzliche Verkehr spielt sich also zum größten Teil auf den Straßen ab.

Um den Verkehr und seine Emissionen zu senken, wäre im Klimapaket daher eine Verringerung und nicht eine Erhöhung der Pauschale angebracht. Das erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2008 ist für solche Weichenstellung keinesfalls ein Hindernis. Ausdrücklich nannte das Gericht damals eine verkehrs-, siedlungs- oder umweltpolitische Lenkungsabsicht als mögliche künftige Legitimation einer Begrenzung der Pauschale.

Auch die zugunsten der temporären Erhöhung im Klimapaket vorgebrachten Argumente können nicht überzeugen. Auch eine nur vorübergehende Verschärfung der Verzerrung verursacht zusätzliche Emissionen, weil sie temporär noch höhere Pendelanreize setzt und die weitere Zunahme des Verkehrs begünstigt. Hinzu kommt ein bemerkenswerter innerer Widerspruch im Paket. Es ist schwer zu verstehen, warum die große Koalition einen Fernpendler durch eine höhere Pauschale ab dem 21. Kilometer kompensieren will, obwohl sie ihm mit dem stark subventionierten Elektroauto nach eigener Sicht einen attraktiven Weg zur gänzlichen Vermeidung des neuen CO₂-Preises eröffnet.

Die Kritik an der Erhöhung der Pendlerpauschale im Klimapaket ist daher gerechtfertigt, wenn auch die Präzision der vorgebrachten Argumente der Gegner noch steigerungsfähig ist.

Auch sollten die Kritiker sich verstärkt mit dem Wohnungsmarkt und seiner Regulierung befassen. Es passt nicht zusammen, gegen die Entfernungspauschale zu Felde zu ziehen, aber gleichzeitig eine immer stärkere Regulierung zu Gunsten der Altmieter zu fordern. Mietpreisbremsen für Altverträge sind ein immenser Anreiz für das Pendeln, weil sie wie die Pendlerpauschale zu einer hohen Prämie für Umzugsverweigerer führen. Und für Eigenheimbesitzer ist die in den meisten Bundesländern stark gestiegene Grunderwerbsteuer ein Umzugshindernis erster Ordnung. Auch wenn der Tausch der alten Immobilie gegen ein Haus näher am neuen Arbeitsplatz vernünftig und effizient wäre, bestraft der Fiskus diese Anpassung durch die bei Verkauf und Neukauf fällig werdende Steuer. Eine einzige Unterschrift beim Notar löst je nach Bundesland eine Steuerzahlung von bis zu 6,5 Prozent des Immobilienwerts aus. Dass dann Hausbesitzer lieber ein Arbeitsleben lang subventioniert auf die Autobahn rollen, sollte niemanden wundern.

© SZ vom 30.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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