Gastbeitrag:Öko oder konventionell

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Das ist nicht die richtige Frage, denn beides gehört zusammen. Es braucht einen New Deal zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft.

Von Daniel Dettling

Die deutschen Bauern standen 2019 im Fokus der öffentlichen Kritik. Klimawandel, Tierwohl und Artenvielfalt waren und sind die Aufregerthemen. Anfang Dezember erlebte das Land die bis dahin größte Bauerndemonstration in der Hauptstadt. Sie stieß auf eine breite Zustimmung in der Bevölkerung weit über Berlin hinaus. Die Nachfrage nach einer neuen Landwirtschaft in Zeiten des Klimawandels war noch nie so stark wie heute. Klimaschutz braucht beide: Bauern und Verbraucher. Beide müssen sich ändern. Für einen erfolgreichen Klimaschutz wird es nicht reichen, die Landwirtschaft zum Sündenbock zu machen oder sich über die Konsumgewohnheiten der Verbraucher zu beschweren. Es braucht einen New Deal zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft.

Der Megatrend "Neo-Ökologie" steht für eine neue Konsumkultur. Die steigende Erwärmung der Erde gefährdet die weltweite Versorgung mit Nahrungsmitteln. Der Weltklimarat fordert eine radikale Umstellung der Essgewohnheiten. Die Weltbevölkerung müsse sich stärker von pflanzlichen und nachhaltig produzierten tierischen Lebensmitteln ernähren. Bauern und Verbraucher sitzen im selben Boot. Treiber des Wandels ist der Megatrend "Neo-Ökologie". Sein Thema ist eine neue Konsumkultur. Die Frage, wie wir wohnen, essen, einkaufen, für das Alter vorsorgen und unsere Freizeit verbringen - alles steht heute und in Zukunft ganz unter dem Zeichen der Nachhaltigkeit, des Umwelt- und Klimaschutzes und eines verantwortungsvollen Konsums. Der Megatrend wird die 2020er-Jahre prägen wie kein anderer. Nachhaltigkeit wird vom individuellen Lifestyle zur gesellschaftlichen Bewegung.

Die Mehrheit der Deutschen verzichtet heute an mindestens drei Tagen die Woche auf Fleisch

"Neo-Ökologie" setzt auf Verbindungen und Beziehungen von Ökonomie und Ökologie, Landwirtschaft und Gesellschaft. Statt um die Frage "öko" (gut) oder "Industrie" (böse) geht es um das Beste aus beiden Welten. Statt um Verbote, Verzicht, Schuld und Technologiefeindlichkeit geht es um Anreize, Spaß, Innovationen und Engagement. Gesunde Ernährung ist nicht mehr nur ein Thema für die Reichen und für urbane Eliten. Dank neuer Technologien ist Nachhaltigkeit kein Luxus mehr. Längst stellen Discounter und Konzerne ihr Sortiment um und verkaufen fleischlose Produkte. Pflanzenproteine werden als Lebensmittelbausteine zur wichtigen Alternative gegenüber tierischen Eiweißquellen. Erbsen, Pilze, Nüsse und Algen wachsen auch in Deutschland. Viele Start-ups haben das Potenzial eines veränderten Fleischkonsums erkannt. Vegane Fleischersatzprodukte sind im Trend. An der Börse waren sie der Hype in 2019. Der Umsatz von nachhaltigen Produkten steigt. Die Anzahl der Personen, die beim Kauf darauf achten, dass Produkte aus fairem Handel stammen, hat sich seit 2012 von 11 auf 16 Millionen erhöht (Allensbach 2019).

Weniger Fleisch führt zur Klimasanierung des Agrarsektors: Nach einem UN-Bericht würde die Reduktion des Fleischkonsums in den Industrienationen um etwa 40 Prozent schon ausreichen, um den Agrarsektor klimatechnisch weitgehend zu sanieren. Wie wäre es mit folgendem Deal: "40 Prozent weniger Fleisch, dafür besseres (und nicht billiges)"? Bei immer mehr Bauern und Verbrauchern setzt sich die Erkenntnis durch, dass der Trend zum Billigfleisch so nicht weitergehen kann. Auch, weil der Fleischkonsum immer weiter zurückgeht.

Der Bewusstseinswandel ist längst im Gang. Der mächtigste Ernährungstrend sind die "Flexitarier". Immer mehr essen weniger und besseres Fleisch. Die Mehrheit der Deutschen (42 Millionen) verzichtet heute an mindestens drei Tagen die Woche auf Fleisch. Zwei Drittel von ihnen sind Frauen. Damit werden Teller, Gabel und Messer zu den schärfsten Waffen gegen den Klimawandel. In den USA hat der Fleischkonsum seinen Gipfel (Peak) inzwischen erreicht. China will seinen Fleischverbrauch bis 2030 um 50 Prozent reduzieren.

Der Klimawandel und die Lebensmittelverschwendung: Die Landwirtschaft muss zum Treiber der Ernährungswende werden. Es geht um einen Mix aus großindustriellen Techniken zur Verarbeitung von Lebensmitteln und kleinen, flexiblen und regionalen Produktionseinheiten. Eine Studie des Karlsruher Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) hat Zukunftstrends untersucht, die den größten Einfluss auf das Food-System der kommenden 20 Jahre haben werden. Ziel sind Innovationen bei Verbrauchern, Produzenten und Technologien.

Auf Verbraucherseite setzen die Forscher auf die zunehmende Organisation von regionalen Lebensmittelnetzwerken ("Local food circles"), zivilgesellschaftliche Ernährungsräte und auf "food sharing".

Auf Produzentenseite setzen die Forscher auf den Trend zum Fleischersatz durch "alternative Proteine" und neue Produktionsformen wie Aquafarming, "vertical and urban farming" in den Megastädten. Technologisch geht es in Zukunft um das Thema Präzisionslandwirtschaft (precision farming) mit Feldrobotern und Drohnen zur Schädlingsbekämpfung sowie um gentechnisch veränderte Lebensmittel ("nutrigenomics") und Blockchain-Technologien und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Eine moderne, hitzeresistente Pflanzenzüchtung führt zu mehr Erträgen und weniger Pflanzenschutzmitteln. Verfahren wie CRISPR/CAS ermöglichen Pflanzen, die weniger Ressourcen benötigen und zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft beitragen.

Ein Drittel aller produzierten Lebensmittel werden nicht konsumiert. KI kann die Verschwendung von Lebensmitteln verringern, wenn die Nachfrage bereits im Vorfeld bekannt ist. Supermärkte können die richtige Menge der benötigten Lebensmittel zum genauen Zeitpunkt bereitstellen.

Die Intelligenz der Maschinen und der Menschen: Die beiden zentralen Food-Trends, der Klimawandel und die Lebensmittelverschwendung, lassen sich nur mit einer neuen Landwirtschaft bekämpfen, die auf die Intelligenz von Maschinen und Menschen setzt. Statt auf irrationale Ängste und eine übersteigerte Moral zu setzen, geht es um eine Balance aus Ökologie und Ökonomie.

Die postfossile Sanierung unseres Planeten braucht eine progressive Landwirtschaft und eine gesellschaftliche Mehrheit, die sie unterstützt. Klimaschutz, Ernährung und Artenvielfalt gehören zusammen und müssen zum Alltagsprojekt aller Akteure werden. Moderne Landwirtschaft kann Dinge zusammenfügen, die tatsächlich zusammengehören. Ökologie und Ökonomie. Natur und Technik. Land und Stadt. Deal?

© SZ vom 30.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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