Gastbeitrag:Kleines Finnland, großes Vorbild

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Die neue Fünfparteien-Regierung des skandinavischen Landes tut etwas für die Umwelt und gleichzeitig für sich selbst. Zu schön, um wahr zu sein? Nein, das könnte klappen - und Deutschland davon lernen.

Von Janez Potočnik und Martin Stuchtey

Während Deutschland zwischen Schülerdemos und Pro-Diesel-Protesten hin- und herschwankt, handelt Finnland: Das kleine nordische Land will bis 2035 klimaneutral und zunehmend ressourcenunabhängig werden. Dieser ökologische Umbau hin zu einer "low carbon, circular economy" ist seit geraumer Zeit das vornehmliche Ziel der nationalen Innovationsagentur Sitra. Diese hat in den vergangenen Jahren detaillierte volkswirtschaftliche Analysen erstellt, um Sektor für Sektor die Effekte eines solchen Umbaus auf Wachstum, Arbeitsplätze und Emissionen zu bemessen. Diese Planungen wurden nun von der neuen finnischen Fünfparteien-Regierung übernommen. Sie will zwei Ziele auf einen Schlag erreichen: Sie will einerseits ihren Beitrag im Kampf gegen Umweltverschmutzung, Ressourcenabbau und Klimawandel leisten und gleichzeitig den bisher erreichten Wohlstand zukunftssicher machen.

Zu schön um wahr zu sein? Überhaupt: Was sollen wir uns um das kleine Finnland scheren? Bei dem finnischen Projekt geht es um die Kernaufgabe einer jeden hoch entwickelten Industriegesellschaft. Das Land ist eben nur das erste, das dies in den Mittelpunkt der Regierungstätigkeit gestellt hat.

Gerade die Deutschen sollten sich daran ein Beispiel nehmen, zumal die traditionellen Industrien an Dynamik verlieren. Ein neuerliches Mauern, wie es bei der Automobilindustrie in den vergangenen zehn Jahren zu beobachten war, können wir uns nicht leisten. Insofern hat die deutsche Industrie einen besonderen Grund, die zentrale Herausforderung unserer Ära, die Sicherung der Nachhaltigkeit, anzunehmen. Der damit verbundene Innovationsschub würde die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands langfristig sichern.

Hier an die Spitze der industriellen Entwicklung zu gelangen ist auch eine Frage der internationalen Verantwortung. Denn wie sollen die weltweiten Klima- und Umweltherausforderungen, die sich ja vor allem in den Entwicklungsländern auswirken, gemeistert werden, wenn ein Land wie Deutschland nicht technologisch den Weg weist? Ein international beachtetes Made in Germany könnte so seine Renaissance erleben.

Gegenwärtig beruht die deutsche Industrie noch immer auf einem Modell, das zu materiallastig angelegt ist. Ein zu hoher Anteil unserer Wirtschaftsleistung korreliert eng mit dem Ressourceneinsatz, die Unternehmen sind hochgradig den Schwankungen der Rohstoffmärkte ausgeliefert. Das ist unter den neuen Realitäten des 21. Jahrhunderts eine Hypothek. Dabei sollten wir mit Zuversicht agieren, denn nur sehr wenige Länder sind für den Wandlungsprozess so gut ausgerüstet wie Deutschland. Wegen seiner industriellen Fertigkeiten und wirtschaftlichen Bedeutung hat Deutschland das Potenzial, ganz Europa als Katalysator und Vorbild zu dienen und so dem gesamten Kontinent sowohl technologie- als auch umweltpolitisch einen positiven Innovationsimpuls zu geben.

Martin Stuchtey ist Geologe, Ökonom und Autor ("A Good Disruption: Redefining Growth in the Twenty-First Century") sowie Professor für Nachhaltiges Ressourcenmanagement an der Uni Innsbruck. (Foto: oh)

Deutsche Unternehmen sollten sich viel rigoroser darauf verlegen, komplexe Dienstleistungsprodukte zu verkaufen. Um anhand der chemischen Industrie ein Beispiel zu geben: Statt Pestizide und Düngemittel zu verkaufen (wobei sich der Gewinn an der verkauften Menge bemisst), sollte sie sich zum Ertragsversicherer für Bauern entwickeln. Die Unternehmen haben dann ein Interesse daran, Schädlingsbekämpfung mit möglichst wenig Materialeinsatz zu erreichen, was zu zielgenauerer Schädlingsbekämpfung und besserer Bodenqualität führt.

In jedem Fall lohnt es sich, die in Finnland beschlossenen Maßnahmen genau in Augenschein zu nehmen. Die Finnen machen ja nicht nur endlich Ernst mit der Maxime, "das zu besteuern, was wir nicht wollen - und das mit steuerlichen Anreizen zu versehen, was wir erreichen wollen." Um den Transformationsprozess ergebnisorientiert steuern zu können, werden nationaler Kenngrößen (KPIs) zur Messung der Circular Economyeingeführt, es wird also nicht mehr nur auf Kennziffern des Bruttoinlandsprodukts Bezug genommen. Und da Steuern nun einmal das effektivste Instrument zur Verhaltenssteuerung sind, wollen die Finnen ab 2021 folgende spezifische Maßnahmen ergreifen:

Im Energiesektor soll die günstigere Besteuerung von Strom für Industrieunternehmen abgeschafft werden. Weiter soll es eine dynamische Steuer auf Strom geben, um Flexibilität im Strombedarf zu fördern und die Stromnachfrage zu "Peak"-Zeiten über den Preismechanismus zu reduzieren.

Im Transportsektor wird es erhöhte Steuern auf Treibstoffe geben, während die Steuern auf emissionsfreie oder -arme Fahrzeuge und Fortbewegungsmittel reduziert werden. Flugreisen und Luftfracht werden stärker besteuert, die Beladung von Elektroautos wird steuerlich freigestellt.

Janez Potocnik ist Co-Vorsitzender des International Resource Panel der Vereinten Nationen (IRP) und ehemaliger EU-Umweltkommissar. (Foto: oh)

Hinzukommen Maßnahmen wie die steuerliche Begünstigung von Alternativen zum Dienstwagen, also von Arbeitgeberangeboten für nicht-motorisierte Fortbewegung, öffentlichen Verkehr und Mobilitätsdienste (wie car sharing). Auch an der Einführung einer City-Maut zur Entlastung des Straßenverkehrs (wie in London) wird gearbeitet.

Von einer Steuer auf Verpackungsmaterialien werden nur solche befreit, die aus Rezyklat hergestellt wurden. Strom aus Müllverbrennungsanlagen wird besteuert, genauso wie die Nutzung von Wasser, Bodenschätzen oder der Pestizideinsatz.

Ferner setzen die Finnen auf die Leitfunktion und Investitionskraft des öffentlichen Sektors. Während es etwa erst zum Beginn der 2030er-Jahre zu einem landesweiten Verzicht auf Erdölheizungen kommen soll, gilt diese Maßgabe für Regierungsgebäude bereits ab 2024. Außerdem werden ökologische Faktoren bei der öffentlichen Auftragsvergabe in Zukunft entscheidungsrelevant.

Die beherzte und gesellschaftlich breit getragene finnische Strategie bringt manchen Wirtschaftspolitiker in Deutschland in die Defensive. Doch statt des Schürens des Angstbildes einer durch Umweltgesetze gegängelten Wirtschaft sollte uns der Blick in Europas Norden, nach Finnland, der deutschen Politik und Wirtschaft Mut machen. Denn aus der Warte der industriellen Kompetenzen betrachtet ,bringt kein Land mehr mit für diese dematerialisierte Wirtschaftsweise als Deutschland.

© SZ vom 09.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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