Gastbeitrag:Für Klima und Wirtschaft

Lesezeit: 3 min

Damit die EU unter höheren CO₂-Preisen nicht leidet, braucht es einen Grenzausgleich. Sonst könnte der Welt-CO₂-Ausstoß steigen.

Von Gabriel Felbermayr

Die aktuelle Debatte um den Klimaschutz klammert eine wichtige Frage aus: Wie wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft bei steigenden CO₂-Preisen sichergestellt? Nur ein Grenzausgleich kann dieses Problem lösen und gleichzeitig den Klimaschutz befördern.

Mit seinem Anteil von 2,2 Prozent an den globalen Treibhausgasemissionen kann Deutschland alleine das Klima nicht retten. Auch die EU ist mit zehn Prozent zu klein. Wenn der CO₂-Preis in Europa deutlich über das Niveau in anderen Ländern steigt, droht die Gefahr, dass die industrielle Produktion durch Importe aus dem Ausland ersetzt wird. Dann sinken die heimischen Emissionen, aber die globalen Treibhausgasemissionen könnten dennoch steigen, wenn CO₂-arme heimische Produktion durch CO₂-reichere ausländische Produktion ersetzt wird oder ein langer Transportweg hinzukommt. Dann vernichtet die Klimapolitik Jobs und Wertschöpfung in der EU ohne einen Beitrag zur Klimarettung zu leisten. Ein Grenzausgleichssystem wirkt diesem Carbon Leakage entgegen.

Noch ist Carbon Leakage kein wirklich großes Problem, weil die CO₂-Preise im Industriesektor bei circa 25 Euro pro Tonne liegen. Die Preise werden in Zukunft aber erheblich steigen müssen - viele Forscher gehen von einer Verfünffachung aus - um die ambitionierten Emissionsziele zu erreichen. Dann wird Leakage zu einem schwerwiegenden Problem. Damit wir nicht Verlierer unserer eigenen Klimapolitik werden und die dahinterstehenden Ziele auch noch verfehlen, müssen die geplanten Maßnahmen für einen CO₂-Preis auf den heimischen Märkten durch einen Grenzausgleich komplementiert werden. Auf Importe wird in Abhängigkeit ihres CO₂-Gehalts die Zahlung eines CO₂-Preises fällig; Exporte werden hingegen entsprechend entlastet. Letzteres ist notwendig, damit es nicht zu einer Doppelbelastung kommt, falls das Ausland eine eigene, vielleicht niedrigere, CO₂-Bepreisung vornimmt.

Im Ergebnis ist sichergestellt, dass alle Wettbewerber, ob im Inland oder Ausland, exakt dieselben Bedingungen haben. Ein Grenzausgleichssystem diskriminiert also nicht zwischen Gütern unterschiedlicher Herkunft, ganz im Gegensatz zu einem Zoll. Der gern verwendete Begriff des Klimazolls ist deshalb irreführend.

Im Übrigen funktioniert das System unabhängig davon, ob es eine CO₂-Steuer gibt oder einen Emissionshandel. In letzterem müssen Importeure Zertifikate kaufen, während Exporteure welche erhalten.

Ein europäisches Grenzausgleichssystem würde für Produzenten im Ausland Anreize schaffen, CO₂-Emissionen einzusparen, wenn sie in die EU exportieren. Das wäre ein wirksames Instrument, denn die EU ist der zweitgrößte Güterimporteur der Welt. Zwar würden Produzenten in der EU für Exporte vom CO₂-Preis befreit; solange sie aber auch in der EU verkaufen, haben sie dennoch ein starkes Interesse, Emissionen einzusparen. Ausländische Regierungen sollten es attraktiver finden, ebenfalls in die CO₂-Bepreisung einzusteigen und ein Grenzausgleichssystem anzuwenden. Denn so könnten sie die Emissionen europäischer Unternehmen bepreisen.

Die EU muss sich für das Vorhaben internationale Verbündete suchen

Oft wird behauptet, ein Grenzausgleichsregime wäre mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) nicht kompatibel. Das ist falsch. Seit vielen Jahrzehnten gibt es bereits ein gut funktionierendes, rechtssicheres Grenzausgleichssystem: die Mehrwertsteuer. Auch hier werden Importe mit dem heimischen Steuersatz nachbelastet und Exporte freigestellt.

Allerdings ist der Informationsbedarf für ein Grenzausgleichssystem sehr viel größer als bei der Mehrwertsteuer. Denn Grundlage der Steuerbemessung ist der CO₂-Gehalt der gehandelten Güter, und dieser ist nicht so leicht festzustellen. Bei Produkten wie Stahl funktioniert es relativ gut, bei komplexen Gütern, die aus vielen Bestandteilen bestehen, ist es sehr schwierig. Die Unternehmen müssten ihre Lieferketten sehr genau kennen, und sie müssten bereit sein, bei Ein- und Ausfuhr wahrheitsgemäße Angaben zu machen.

Hierfür müsste man sich einen klugen Mechanismus überlegen, der bei den Produzenten Anreize setzt, richtig Auskunft zu geben. Man könnte für den CO₂-Gehalt eines importierten Gutes einen Referenzwert für Importe zugrunde legen, der sich zunächst am heimischen Mittelwert orientiert. Alle ausländischen Produzenten, die nachweisen, dass der CO₂-Gehalt ihrer Ware geringer als dieser Durchschnitt ist, können diesen geltend machen. Weil sie damit die Bemessungsgrundlage der CO₂-Bepreisung reduzieren, haben sie Anreize, ihre Daten offen zu legen. Mit dieser Information könnte man den Referenzwert neu berechnen, indem man die Importe der berichtenden Unternehmen aus der Mittelwertbildung herausnimmt. Der Referenzwert steigt und neue ausländische Firmen haben Anreize, ihre CO₂-Werte offenzulegen. Natürlich bräuchte es einen Art Klima-TÜV, der die Angaben überprüft und Zeugnisse ausstellt. Auch dafür gibt es eine Analogie im existierenden internationalen Regelwerk: Will ein Unternehmen aus einem Land, mit dem die EU ein Freihandelsabkommen hat, zollfrei in die EU exportieren, muss es nachweisen, dass es sogenannte Ursprungsregeln erfüllt.

Zugegeben, der Aufbau eines Grenzausgleichssystems ist komplex. Zwei Trends helfen hier aber: Erstens steigt der Druck auf Unternehmen, den CO₂-Fußabdruck ihrer Waren zu kennen und offenzulegen, auch ohne Grenzausgleich. Konsumenten und Anleger wollen wissen, wie klimafreundlich Produkte sind. Zweitens erleichtern Technologien Blockchain dezentrales, anonymes Erfassen von Informationen und ihre fälschungssichere Weitergabe. Noch mag das Leakage-Problem beherrschbar sein. Wenn die CO₂-Preise in der EU aber deutlich steigen, und die industrielle Wertschöpfung dann beginnt in substantiellem Ausmaß abzuwandern, könnte der Druck mit schnellen, aber ungenauen Klimazöllen Abhilfe zu schaffen, stark steigen. Dann ist die Gefahr hoch, in teure Handelskriege hineinzugeraten. Die EU sollte sich darum schon jetzt um den Aufbau eines WTO-rechtskonformen Grenzausgleichssystems bemühen.

Ganz zentral dabei ist die Suche nach internationalen Verbündeten. Nicht nur Europa hat das Thema auf der Agenda. Beispielsweise wurde im Januar 2019 im US Kongress von Vertretern beider Parteien ein Gesetz zur Einführung eines CO₂-Preise eingebracht, das - wie bisher in allen ähnlichen Versuchen - einen Grenzausgleichsmechanismus enthält. Solange Donald Trump Präsident der USA ist, werden solche Initiativen scheitern. Für die Zeit danach sollte die EU gerüstet sein.

© SZ vom 14.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: