Gamescom:"Da müssen wir reagieren"

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Wahre Liebe: Gamescom-Besucher haben sich als Figuren aus Computerspielen verkleidet - sogar mit Pfeilen im Köcher. (Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)

Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet erstmals die Computerspiele-Messe Gamescom und hebt die enorme wirtschaftliche Bedeutung der Branche hervor. Merkels Welt ist es nicht wirklich.

Von Caspar von Au, Köln

Angela Merkel fährt Traktor. Es ist das einzige Mal, dass die Bundeskanzlerin an diesem Dienstag einen Controller in die Hand nimmt. Konzentriert blickt sie auf den Monitor vor sich. "Der Finger muss hierhin und der dahin. Hiermit bewegen Sie den Traktor", erklärt ihr der PR-Manager die Steuerung des "Landwirtschafts-Simulators". Nach 30 Sekunden legt sie das Steuergerät wieder weg, formt mit ihren Händen lieber die Raute. Controller, Simulatoren: Es ist nicht wirklich Merkels Welt. Sie möchte lieber zuschauen und Fragen stellen. Zum ersten Mal hat die Bundeskanzlerin die Gamescom in Köln eröffnet. etwa 350 000 Fach- und Privatbesucher werden erwartet, die Messe ist die größte Video- und Computerspielmesse der Welt. Gerald Böse, Chef der Koelnmesse sprach im Vorfeld von Merkels Premiere als "Ritterschlag für die Gamescom".

Vor den Ständen beliebter Spiele bilden sich lange Schlangen

Am Dienstagmorgen um 9 Uhr öffnen sich die Türen der Messe für Fachbesucher aus aller Welt. Schnell bilden sich Schlangen vor den Ständen begehrter Spiele. Sie stehenlange an, um ein Video des neuesten Titels der Ego-Shooter-Reihe "Call of Duty" - Leitthema Zweiter Weltkrieg - zu sehen; um wenige Minuten in dem Science-Ficton-Rollenspiel "Destiny 2" zu verbringen. Für Merkels Auftritt dagegen interessieren sich die Gamer weniger.

Dass die Bundeskanzlerin keine von ihnen ist, war von vorneherein klar. Trotzdem betonen alle offiziell Beteiligten, es gehe nicht nur um Wahlkampf. Merkel habe erkannt, wie wichtig die Gaming-Branche ist, so soll ihre Botschaft wohl lauten. In ihrer Eröffnungsrede bezeichnet sie Computerspiele als "Wirtschaftsmotor von allergrößter Bedeutung" und "Innovationstreiber", als "starken Pfeiler der deutschen Wirtschaft". Mehr als eine Milliarde Euro hat die Gaming-Industrie im ersten Halbjahr 2017 in Deutschland bereits umgesetzt, bis zum Ende des Jahres sollen es knapp drei werden.

Mit einem Gesamtumsatz von weltweit 800 Millionen Euro ist das Mittelalter-Strategiespiel Goodgame Empire das kommerziell erfolgreichste deutsche Computerspiel bisher.

Die diesjährige Gamescom steht unter dem Motto "Einfach zusammen spielen". Dazu passen zwei Trends, die die Branche dieses Jahr besonders beschäftigen: Virtual Reality (VR) ist zwar noch nicht im Massenmarkt angekommen und der ganz große Hype etwas abgeflacht, aber die Technologie wird in den kommenden Jahren insbesondere das soziale Erlebnis in Videospielen maßgeblich verändern. Auch die Industrie könne von Technologien wie VR profitieren, betont Merkel in ihrer Rede.

E-Sport, der andere große Trend, ist bereits ein Massenphänomen - das zeigen die Ergebnisse zahlreicher Studien zum Thema. 2017 sollen knapp 700 Millionen US-Dollar mit Wettkämpfen zwischen professionellen Computerspielern, sogenannten Pro-Gamern, weltweit umgesetzt werden. Auf der inoffiziellen Dota-2-WM "The International" gewann das Siegerteam stolze 10,8 Millionen Dollar. Einer Erhebung des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) zufolge wissen immerhin drei von zehn Deutschen etwas mit dem Begriff E-Sport anzufangen.

Der BIU, einer der Träger der Gamescom, hat aber auch Forderungen an die Politik: In Ländern wie Frankreich, England, Italien und Kanada wird die Entwicklung von Spielen staatlich gut gefördert, in Deutschland dagegen nicht ausreichend, kritisiert der Geschäftsführer des Branchenverbands, Felix Falk. "Von 100 Euro, die für Spiele ausgegeben werden, landen nur sieben Euro bei Spieleentwicklern in Deutschland". Man wünsche sich, dass Spieleentwickler und Menschen, die Entwickler-Studios gründen, gezielt gefördert werden. Merkels Antwort fällt klar aus: Man verstehe den Wunsch der Branche und werde sich in der nächsten Legislaturperiode "zusammensetzen".

Sichtlich spannend findet Merkel ihre letzte Station: Am Stand von Microsoft demonstriert Chemielehrer Mirek Hancl, wie seine Schüler mit Hilfe des Spiels "Minecraft" das Periodensystem lernen. Eine Spielfigur, die offenbar Merkel darstellen soll, baut in dem Spiel ein Helium-Atom zusammen. Microsoft bietet eine Education-Version des Spiels an, mit der Lehrer Unterrichtsprogramme für Mathematik, Kunst, Wirtschaft und zum Sprachenlernen entwickeln können. "Wir müssen versuchen, das systematisch in die Schulen zu bringen", sagt Merkel. Der Bund könne da keine Vorgaben machen, weil Bildung Ländersache bleiben solle, aber er könne Infrastruktur und Software zur Verfügung stellen. "Wenn man sieht, wie viele junge Leute hier rumspringen, da müssen wir reagieren", sagt Merkel.

Von Mittwoch an werden noch viel mehr junge Leute auf der Gaming-Messe herumspringen: Von Mittwoch bis Samstag ist die Gamescom für alle geöffnet, die Tickets sind ausverkauft.

© SZ vom 23.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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