Fusionitis:Rückkehr der Unvernunft

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Die internationale Wirtschaft erlebt eine Übernahmewelle wie zuletzt vor fünf Jahren, kurz bevor die New Economy im Rausch zusammenbrach. Vieles spricht dafür, dass mit dieser neuen Übernahmewelle auch die Unvernunft aus jenen Tagen zurückkehrt.

Karl-Heinz Büschemann

In der deutschen Wirtschaft grassiert wieder das Übernahmefieber. Das Darmstädter Pharma-Unternehmen Merck will den Berliner Schering-Konzern übernehmen. Linde kauft einen britischen Gashersteller, die BASF aus Ludwigshafen greift nach einem Produzenten von Katalysatoren aus Amerika, Eon will einen spanischen Stromerzeuger erwerben.

Und im Ausland sieht es nicht viel anders aus. Die internationale Wirtschaft erlebt eine Übernahmewelle wie zuletzt vor fünf Jahren, kurz bevor die New Economy im Rausch zusammenbrach und die Weltwirtschaft in eine tiefe Krise stürzte. Vieles spricht dafür, dass mit dieser neuen Übernahmewelle auch die Unvernunft aus jenen Tagen zurückkehrt.

70 Prozent aller Zusammenschlüsse schlagen fehl

Längst ist bekannt, dass etwa 70 Prozent aller Firmenzusammenschlüsse fehlschlagen: Entweder bringen sie den Aktionären keinen Vorteil oder sie bescheren den Investoren sogar Verluste. Oft kosten sie Arbeitsplätze.

Gern wird der Zusammenschluss von Daimler und Chrysler im Jahr 1998 als Beispiel für eine besonders schlechte Bilanz genannt. Der Schritt war für die Aktionäre bisher eine einzige Enttäuschung.

Auch die Fusionsbilanz des Sportartikelherstellers Adidas ist mäßig. Im September 1997 übernahm er den französischen Hersteller Salomon. Die Sache ging schief und wird jetzt durch Verkauf beendet. Nun kommt ein neuer Versuch - diesmal soll es der amerikanische Konkurrent Reebok sein. Auch dieser Schritt war möglicherweise übereilt: Reebok ist ein Sanierungsfall.

Gesundgeschrumpft

Es gibt ein paar offensichtliche Gründe für die neue Fusionswelle: Die großen Unternehmen haben sich in der zurückliegenden Krise gesundgeschrumpft. Sie haben ihre Belegschaften verkleinert und die Schulden abgebaut; jetzt schwimmen einige von ihnen im Geld.

Zudem sind die Zinsen niedrig. So lässt sich Wachstum günstig finanzieren, außerdem dürfte in einigen Fällen, zum Beispiel bei den europäischen Energiekonzernen, der Wunsch eine Rolle spielen, den Wettbewerb zu beschränken.

Doch wie rational ist das alles? Oft steht hinter den Entscheidungen weniger betriebswirtschaftliche Vernunft als vielmehr allzu Menschliches: Das Ego der handelnden Konzernlenker spielt eine Rolle, ebenso häufig lassen sich Aufsichtsräte von der Begeisterung eines Strategen mitreißen, der sich selbst ein Denkmal setzen will.

Der frühere Daimler-Chef Jürgen Schrempp wollte mit dem Kauf von Chrysler eine Welt-AG gründen. "Wir wollen die größten werden", war sein Ziel. Auch Linde-Chef Wolfgang Reitzle konnte in der vergangenen Woche seine Genugtuung darüber nicht verbergen, dass er bald der Chef eines Weltmarktführers ist.

In den Top-Etagen der Wirtschaft spielen Eitelkeit und Irrationalität gerade bei Übernahmen eine größere Rolle, als die scheinbar kühlen Entscheider zugeben. Mancher Konzernchef lässt sich von der Kaufwut der Konkurrenten zu übereilten Schritten verleiten, weil er Angst hat, den Anschluss zu verpassen, wenn sich die Konkurrenz neu gruppiert.

Segensreich für Bankbilanzen

Auch die Banken tragen nach Kräften zur Dynamik auf den Übernahmemärkten bei. Denn sie verdienen immer, wenn Konzerne zerlegt und neu zusammengesetzt werden. Sie kassieren Provisionen für die Vermittlung der Milliardendeals und stehen mit Krediten für deren Finanzierung zur Verfügung. Zeiten wie diese wirken sich segensreich auf die Bankbilanzen aus.

Dem gegenüber steht gerade bei großen Konzernen ein erstaunlicher Mangel an Professionalität, wenn es um Firmenkäufe geht. Fachleute wissen, dass die Unterschiede in der Firmenkultur zweier Unternehmen viel mehr zum gemeinsamen Erfolg oder Misserfolg beitragen als die nackten Zahlen in den Bilanzen. Wenn die Menschen aus zwei verschiedenen Firmen nicht miteinander arbeiten wollen, weil sie sich über Jahrzehnte als erbitterte Feinde gesehen haben, ist das Management oft hilflos.

Kulturdifferenzen nicht messbar

Doch Kulturdifferenzen sind nicht messbar. Sie entziehen sich der genauen Bewertung von Bilanzexperten. Aber selbst die fachmännische Prüfung der Bilanzen hat ihre Grenzen im Übernahmekampf. Erst nach dem Kauf wird die wahre Lage der erworbenen Firma sichtbar.

Natürlich ist nicht jeder Firmenaufkauf ein Fehler. Niemand würde bezweifeln, dass der Zusammenschluss von Daimler und Benz in den zwanziger Jahren richtig war. Es gibt viele Beispiele dafür, dass Zusammenschlüsse möglich und sinnvoll sind.

Doch die Häufung von Fehlschlägen deutet darauf hin, dass im Management gerade dann die Kontroll-Sicherungen versagen, wenn es um viele Milliarden Euro geht, um Tausende Arbeitsplätze und die Zukunft ganzer Konzerne.

Das Beispiel Toyota

Das Beispiel des japanischen Autoherstellers Toyota sollte denjenigen zu denken geben, die in Übernahmen und Fusionen das Allheilmittel der internationalen Wirtschaft sehen. Dieses Unternehmen hat nie in seiner Geschichte ein anderes gekauft. Im nächsten Jahr hat Toyota beste Chancen, den amerikanischen Konzern General Motors als größten Autohersteller der Welt zu überholen. Der ist praktisch nur durch Firmenzukäufe gewachsen und steht heute am Rande der Pleite.

© SZ vom 14.03.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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