Fruchtbarkeits-Apps:Per App zum Kind

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Mit allerlei Anwendungen und Gadgets suggerieren Unternehmen Frauen, sie auf dem Weg zu einer Schwangerschaft unterstützen zu können. Doch so teuer die Geräte sind, ihre Wirksamkeit ist fraglich.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Jedes Problem der Welt ist mit irgendeinem Gerät oder einer App zu lösen - mit Versprechen dieser Art heißt die CES ihre Besucher in Las Vegas willkommen, auf einer der größten und wichtigsten Messen der Technologiebranche. Hier werden den Besuchern Produkte gezeigt, die sie ganz dringend zur Steigerung des Lebensglücks brauchen. Und besonders deutlich zeigt sich dieser Anspruch bei der Fruchtbarkeit des Menschen.

Die Sehnsucht ist gewaltig bei Leuten, die gerne Eltern wären, Verzweiflung und Unsicherheit werden verständlicherweise bei jedem erfolglosen Versuch größer. Es gibt nun zahlreiche Unternehmen, die eine Schwangerschaft planbar machen wollen. Es ist ein Geschäft mit Sehnsucht, Unsicherheit und Verzweiflung, und es zeigt auch, wie nahe technische Geräte mittlerweile an den Menschen herangerückt sind. Ein Computer, das war mal eine Kiste im Keller, dann ein Gerät im Eck, danach eines auf dem Schoß. Mittlerweile hält man es andauernd in der Hand, es ist immer dabei, in der Hosentasche, am Handgelenk, und nun soll es sogar im Körper drin sein.

OvuSense heißt zum Beispiel dieses kleine Gerät, das aussieht wie eine weiße Maus mit langem Schwanz und das sich Frauen über Nacht wie einen Tampon in die Vagina einführen sollen. Es misst alle fünf Minuten die Temperatur und teilt der Nutzerin über eine App das Zeitfenster der Fruchtbarkeit mit. 99 Dollar kostet das laut Selbstvermarktung "fortschrittlichste System zur Überwachung des Zyklus, das man mit Geld kaufen kann", dazu braucht es ein Abo für 35 Dollar pro Monat. Das ist ein stolzer Preis für ein Gimmick, das zunächst einmal nur die Temperatur misst und deren Wirksamkeit zur Erhöhung der Chancen auf eine Schwangerschaft noch keiner unabhängigen klinischen Studie unterzogen worden ist.

"Klinisch nachgewiesen", heißt es bei OvuSense - doch unabhängige Studien gibt es nicht

Es gibt eine Rubrik auf der Homepage von OvuSense, die "Clinical Information" heißt und bei der als Überschrift steht: "Clinically Proven", klinisch nachgewiesen. Es ist allerdings eher eine Mischung aus Werbebroschüre und Verweis auf interne Analysen denn Ergebnis unabhängiger Untersuchungen. "Es gibt noch keine ausführlichen und unabhängigen Studien zu den Erfolgsaussichten dieser Geräte und Apps", sagt Kristin Bendikson von der University of Southern California (USC): "Es ist bekannt, dass nach dem Eisprung die Temperatur einer Frau ansteigt - wenn man also die Temperatur möglichst genau misst, dann kann es einem helfen, die fruchtbaren Tage zu identifizieren." Die Hersteller verwiesen aber bei der Erfolgsquote auf interne Daten, dabei sei es durchaus möglich, so Bendikson, dass solch ein möglicherweise teures Gerät bei einem regelmäßigen Zyklus gar nicht nötig sei.

Ava zum Beispiel, das über ein Armband Daten in neun verschiedenen Kategorien wie etwa Ruhepuls, Hauttemperatur und Schlafbewegungen sammelt und für die dazugehörende Handy-App auswertet, kostet 249 Dollar. Das Unternehmen hat über mehrere Finanzierungsrunden insgesamt 42,3 Millionen Dollar eingesammelt und ist über beliebte Foren in sozialen Medien zum bekanntesten Schwangerschaftshelfer geworden. Die bislang einzige, von Ava mitfinanzierte Studie zu den Erfolgsaussichten hat sich allerdings mit gerade mal 41 Frauen beschäftigt. Das Unternehmen hat nun bekannt gegeben, ausführlichere Studien in Auftrag gegeben zu haben.

Es gibt auf den Websites der Unternehmen zahlreiche Erfolgsgeschichten von Frauen, die nach unzähligen Versuchen mit exakt diesem einen Gerät endlich schwanger geworden sind - so wie es bei Werbefilmchen im Reklame-TV auch immer diese Leute gibt, die felsenfest behaupten, über dieses eine Produkt ihr Lebensglück gefunden zu haben. Es gibt einen Anhänger von Bellabeat (99 Dollar), den Unter-der-Achsel-Sensor von Duo Fertility (85 Dollar), das Oberarm-Bändchen von Tempdrop (ab 149 Dollar) und den Ohrstöpsel von Yono (149 Dollar). Es gibt spezielle Thermometer wie jene von Kindara (129 Dollar) oder Daisy (330 Dollar). Es gibt Gratis-Apps wie Clue und Glow und Flo, die allerdings mit allerhand Daten gefüttert werden wollen und sich rühmen, anhand dieser Nutzerdaten zu lernen und die Erfolgsaussichten zu verbessern.

Zig Unternehmen haben erkannt, dass sich mit der Hoffnung auf ein Kind sehr viel Geld verdienen lässt

Insgesamt sind es mittlerweile mehr als 100 Unternehmen, die eine Erhöhung der Chance auf Schwangerschaft mit einem Gerät oder einer App versprechen. "Es ist eine Branche, die rasant wächst, und sehr viele Unternehmen haben erkannt, dass sich damit sehr viel Geld verdienen lässt", sagt Victoria Jennings vom Institut für reproduktive Gesundheit an der Georgetown University. Eine Studie im Auftrag der New York Times zeigt, dass das Durchschnittsalter einer Amerikanerin beim ersten Kind in den vergangenen 45 Jahren von damals 21 auf mittlerweile 26,3 angestiegen ist. "Das Fenster zur Schwangerschaft ist grundsätzlich kleiner geworden, die Wahrscheinlichkeit sinkt mit zunehmendem Alter - und der Stress für Frauen, die schwanger werden wollen, steigt gerade nach ein paar erfolglosen Monaten immens an", so Jennings: "Wenn eine Frau unbedingt schwanger werden möchte, dann wird sie sich jede Form der Hilfe holen, die sie bekommen kann - auch wenn es möglicherweise keinen Beweis gibt, dass es tatsächlich helfen kann. Das nutzen die Unternehmen aus."

Zur Klarstellung: All die Geräte können Frauen (und ihren Partnern) helfen, ihren Körper besser zu verstehen und ihren Zyklus präziser einzuordnen. Der Versuch, schwanger zu werden, kann für immensen Stress sorgen, und ein zuverlässiges Gerät kann allein durch die Reduktion dieses Stresses positive Auswirkungen haben. Es wäre nur schön, würden die Unternehmen nicht daherkommen wie marktschreiende Wunderheiler, wenn ihre Geräte schon so nahe an den Menschen heranrücken wie kaum zuvor, bisweilen sogar im Körper sein sollen. Es ist wie bei vielen anderen Geräten auch, die auf der CES vorgestellt werden: Wer gewiss ist, dass seine Technologie funktioniert, der braucht keine Angst haben vor unabhängigen Studien.

© SZ vom 09.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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