Frankreich und sein absurdes Rentensystem:Privilegiert unter Palmen

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Das französische Rentensystem ist voller Sonderfälle. Ein Besuch in Neukaledonien bei einem Pensionär aus Montpellier, der dank seines Umzugs auf die Pazifikinsel einen hohen Bonus erhält. Allein ist er damit nicht.

Michael Kläsgen

Michel Marier war zuvor nie in Neukaledonien gewesen. Die Inselgruppe liegt ja auch am anderen Ende der Erde, gut 20 000 Kilometer von Montpellier entfernt. Trotzdem zog er vor acht Jahren mit seiner Frau dorthin. Nicht nur, weil es dort stets warm ist und Palmen wachsen. Vom Umzug auf die zu den sieben französischen Überseegebieten gehörende Inselgruppe nordöstlich von Australien profitiert Marier auch finanziell.

Für das französische Fernsehen kramte der gutmütige Ex-Militär jüngst Belege heraus, die das schwarz auf weiß beweisen. Normalerweise würde seine Pension nur 1845 Euro betragen. Dank des "Busch-Zuschlags" liegt sie aber bei 3228 Euro.

Die Regelung, von der Marier profitiert, stammt aus dem Jahr 1950, als die Reise ans andere Ende der Welt nur per Schiff möglich war und 45 Tage dauerte. Und sie steht stellvertretend für Sonderfälle und Absurditäten im französischen Rentensystem, von denen noch heute 30 000 Pensionäre profitieren. 300 Millionen Euro soll das den französischen Beitragszahler jedes Jahr kosten.

So gehen die Bediensteten der Pariser Metro, der französischen Bahngesellschaft SNCF und der Energiekonzerne EDF und GDF durchschnittlich im Alter von 54 Jahren in Rente, sechs Jahre früher als ihre Kollegen in der Privatwirtschaft. Dafür erhalten sie aber 75 Prozent und nicht wie die anderen nur 60 Prozent ihrer letzten Einkünfte. Das gilt auch für die Frau am Schalter, die im Metroschacht von 9 bis 17 Uhr Tickets verkauft. Da die Staatsbeamten mit 81 Jahren zudem noch eine überdurchschnittliche Lebenserwartung haben, kostet die Beitragszahler das Privilegiensystem pro Jahr vier Milliarden Euro.

Camembert ist teuer

Im französischen Präsidentschaftswahlkampf spielt das Thema dennoch keine Rolle; auch der Wahl-Neukaledonier Marier wurde, obwohl in den Medien präsent, bisher keineswegs zum französischen "Florida-Rolf": Die Deutschen hatten 2003 ihre Gesetze geändert, nachdem aufgeflogen war, dass der Sozialhilfe-Empfänger Rolf John sich ein Apartment in Miami Beach in unmittelbarer Strandnähe leistete. In Frankreich denkt dagegen kein Politiker ernsthaft daran, an den Pensionsprivilegien zu rütteln. Allen ist das Beispiel Alain Juppé präsent. Der Premierminister trat nach Massenprotesten zurück.

Zur Freude von Marier: Angeblich kontrolliert der Staat nicht einmal, wie lange die Übersee-Rentner auf der Insel verweilen. Um ein Anrecht auf den Zuschlag zu haben, muss Marier mindestens sechs Monate in Nouméa leben. Aber wer will das überprüfen? Ärger droht dem Rentner eher von den Alteingesessenen, die ihn und seinesgleichen abfällig "Glücksritter" nennen.

Marier fühlt sich da unverstanden. Er sieht eher die Nachteile des Lebens in der Ferne, weit weg von den Verwandten, in einer halb so großen Wohnung wie damals in Montpellier. Sogar die Lebensmittel seien teurer als in Paris; das gilt auch für Camembert und Rotwein. So schmelze der Zuschlag von 75 Prozent schnell dahin. "Wir werfen kein Geld zum Fenster heraus", versichert der Rentner und gleitet fürs Kamerateam in die türkisblauen Fluten.

© SZ vom 24.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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