Frankreich:Umsturz per Abhebung

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„Wir holen uns unsere Kohle zurück“, sagt der Mann, der sich in den sozialen Netzwerken Fly Rider nennt. (Foto: Aurelien Morissard/imago)

Ein Gelbwesten-Anführer ruft dazu auf, Girokonten leerzuräumen. Das soll die Regierung unter Druck setzen.

Von Leo Klimm, Paris

Fly Rider nennt er sich in den sozialen Netzwerken. Dort hat sich der Mann mit der umgedrehten Baseballkappe, der bürgerlich Maxime Nicolle heißt, zu einem der Anführer des Gelbwesten-Aufstands in Frankreich empor-empört. Nun hat er wieder eines seiner hunderttausendfach geteilten Onlinevideos veröffentlicht - und ruft darin zur Revolution am Geldautomaten auf: Der Aktivist will einen sogenannten Bank Run auf Frankreichs Geldhäuser organisieren, um die Institute ins Wanken zu bringen. Oder sie am besten gleich in die Pleite treiben. So, sagt Fly Rider, werde die Regierung von Präsident Macron "ziemliche Sorgen bekommen".

Die Gelbwesten - die sich ursprünglich nur gegen eine Ökosteuer-Erhöhung richteten, inzwischen aber eine Bewegung gegen jegliche Eliten sind - suchen neue Aktionsformen. Die samstäglichen Demos arten zunehmend zu Krawallen einer gewalttätigen Minderheit aus; die Blockaden an Kreisverkehren überall im Land werden weniger. Da kommt Fly Rider mit seinem Bank Run: Da eine Mehrheit der Franzosen Umfragen zufolge hinter den Gelbwesten stehe, werde "das System" erschüttert, wenn alle Unterstützer am gleichen Tag ihre Konten leerräumten, so sein Kalkül. "Eure Macht, das ist das Geld, das auf Euren Konten liegt. Wir werden versuchen, einen bestimmten Tag festzulegen, an dem alle das Maximum abheben", sagt er. "Wir holen uns unsere Kohle zurück. Sie gehört uns, das ist legal und gewaltfrei." Doch so entschlossen Fly Rider auch zum Sturm auf die Geldhäuser aufruft - er überschätzt die Macht der Bankeinleger wohl.

Sein Aufruf erinnert an eine Aktion des französischen Ex-Fußballspielers Éric Cantona. Der frühere Star von Manchester United, der auf dem Platz mal als Ballgenie, mal mit Kung-Fu-artigen Attacken auf Fans auffiel, ist für seine klassenkämpferische Gesinnung bekannt. Ende 2010 rief er seine Landsleute auf, all ihr Geld von der Bank zu holen. Doch die Idee floppte, die Geldinstitute registrierten am Tag X keine höheren Geldbewegungen als sonst.

Zwar wurden schon Bankenkrisen wegen panikartiger Abhebungen verschärft, wie im Fall der britischen Northern Rock 2007. Doch Frankreichs Institute sind, wie EU-Tests ergaben, recht solide. Derzeit beherbergen sie nach Angaben der Bankenaufsicht etwa 390 Milliarden Euro auf Konten, von denen Privatkunden kurzfristig Geld holen können. Rechnerisch müsste jeder Franzose demnach fast 6000 Euro auf einmal abheben, um allein diese Einlagen trockenzulegen und tatsächlich das gesamte Banksystem des Landes anzugreifen. Die meisten Kundenkarten erlauben aber nur Barabhebungen in Höhe von 500 Euro pro Woche. Und wer am Schalter mehr will, muss meist mehrere Tage im Voraus Bescheid geben. Außerdem könnte die Aufsicht, wie vor einigen Jahren in Griechenland geschehen, die erlaubten Beträge deckeln, um zu verhindern, dass Fly Rider und seine Mitstreiter ihr Ziel erreichen. Anders als nach Cantonas Aufruf zeigen sich Frankreichs Banken diesmal jedenfalls gelassen. Sie treffen keine Vorkehrungen.

Allerdings: Auch ohne Bank Run fügen die Gelbwesten der Wirtschaft schweren Schaden zu. Nach Berechnungen der Notenbank haben ihre Blockaden das französische Wirtschaftswachstum im vierten Quartal 2018 halbiert. Das Verbrauchervertrauen ist auf dem niedrigsten Stand seit 2014; das Statistikamt Insee erklärt das mit der Verunsicherung durch die Gelbwesten. Die Regierung stellt sich darauf ein, bald Kurzarbeitergeld für etwa 100000 Arbeitnehmer auszuzahlen. Die sind größtenteils in Kleinbetrieben beschäftigt, die besonders unter den Sperren der Gelbwesten leiden. Dabei war es eines der erklärten Ziele der Protestbewegung, genau solche Unternehmen zu unterstützen.

© SZ vom 11.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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