Forum:Streikaktionen schaden nur

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Deutschland lebt in einer Wettbewerbsfähigkeits-Illusion. Die Tarifabschlüsse haben die Arbeitskosten in den vergangenen Jahren hoch getrieben. Ein "Weiter so" wäre gefährlich. Ein Gastbeitrag.

Von Arndt G. Kirchhoff

Die deutsche Metall- und Elektroindustrie steht in den nächsten Wochen vor einer ganz wichtigen Tarifrunde. Ihr Ergebnis muss zwingend dazu beitragen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen wieder zu verbessern. Lohnstückkosten und Arbeitskosten sind in den vergangenen Jahren zu stark gestiegen, die Produktivität indes nur marginal. Deshalb müssen wir jetzt vorsichtig sein.

Oberflächlich gesehen scheint die wirtschaftliche Lage zwar stabil. Doch im Verbund mit politischen Weichenstellungen wie der Rente mit 63 und den Einschränkungen bei der Flexibilität des Arbeitsmarktes haben vor allem die Tarifabschlüsse der vergangenen Jahre die Arbeitskosten merklich in die Höhe getrieben.

Ein "Weiter so" wäre für den Metall- und Elektronik-Standort Deutschland hochgradig gefährlich. Denn eine realitätsferne Tarifpolitik würde einen Trend verstärken, den wir in unserer Metall- und Elektroindustrie schon länger beunruhigt zur Kenntnis nehmen: die Zurückhaltung unserer Unternehmen bei Erweiterungsinvestitionen an den deutschen Standorten. Wenn Unternehmen hierzulande Geld in die Hand nehmen, dann sind es in erster Linie Ersatz- oder Rationalisierungsinvestitionen. Sorge macht mir schon seit einiger Zeit der Umstand, dass die Abschreibungen die Bruttoanlageinvestitionen übersteigen und wir folglich von unserer Substanz leben. Auch das zeigt: Wir leben in einer Wettbewerbsfähigkeits-Illusion.

Wenn dieser Tage vor allem der private Konsum als Stütze einer insgesamt noch robusten Konjunktur gelobt wird, dann ist dies auch Ausdruck einer guten Beschäftigungssituation. Doch der private und der durch Transferzahlungen ohnedies aufgeblähte staatliche Konsum kann kein Ersatz für zukunftsweisende Investitionen in neue Maschinen und Anlagen sein. Abgesehen davon verschleiern drei Sondereffekte den Blick auf die Wirklichkeit - niedrige Zinsen, niedrige Ölpreise und günstige Wechselkurse. Anders ausgedrückt: Wir erleben gegenwärtig allenfalls eine konsumgetragene Scheinkonjunktur.

Ende Januar wird die IG Metall ihre Forderungsempfehlung bekannt geben. Ich kann die Gewerkschaft dann vor überzogenen Erwartungen nur warnen. Tarifpolitik in der Metall- und Elektroindustrie darf nicht zu einem gefährlichen Dauerexperiment zur Überprüfung der Belastbarkeit unserer Unternehmen werden. Der Glaube, wonach der Flächentarif in unserer Branche - angesichts eines Stundenlohns von 14,50 Euro in der niedrigsten Entgeltgruppe - für die Verabredung von Mindestbedingungen steht, fällt immer mehr Unternehmen schwer. Stattdessen sind viele Betriebe durch Lohnkosten-Steigerungen von zuletzt mehr als 13 Prozent binnen drei Jahren schlicht überfordert worden.

Der Arbeitskampf darf in der Verhandlungsphase nicht leichtfertig eingesetzt werden

Ohnedies ist ein Lohnzuwachs von 3,4 Prozent wie im vergangenen Jahr bei einer Nullinflation völlig anders zu bewerten als bei einer Teuerungsrate von zwei Prozent. Bei uns in Nordrhein-Westfalen verdienen unsere Mitarbeiter im Durchschnitt fast 53 000 Euro im Jahr. Vor dem Hintergrund dieser Weltklasse-Vergütungen und einem sich verschärfenden Wettbewerb werden immer weniger Unternehmer Verständnis für eine Fortsetzung dieser ambitionierten Tarifpolitik der IG Metall aufbringen.

Wenn die Gewerkschaft in diesen Tagen in ihren Gremien über die Höhe der Forderung für 2016 diskutiert, muss sie auf die Signale achten, die ihr viele Betriebsräte aus ihrer unmittelbaren Erfahrung geben. Sie wird dann die durchaus heterogene wirtschaftliche Lage erkennen. In einigen Teilbranchen und Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie ist Kurzarbeit schon wieder an der Tagesordnung. Vor diesem Hintergrund ist zurzeit nur ein Tarifabschluss denkbar, der allein am allgemeinen Produktivitätsfortschritt anknüpft. Er muss auch angesichts der teilweise extrem divergierenden Firmenkonjunkturen differenzierbar, das heißt flexibel anwendbar sein. Oder um es mit einem maritimen Bild auszudrücken: In dem Konvoi der M+E-Hochlohnflotte dürfen die kleineren oder langsameren Schiffe nicht abgehängt werden. Sonst fällt der Geleitzug auseinander. Die IG Metall verlöre dann auf Dauer den starken und damit auch verlässlichen Verhandlungspartner.

Arndt G. Kirchhoff. (Foto: oh)

So gesehen ist auch das neue "Warnstreikkonzept" gefährlich, das die IG Metall auf ihrem letzten Gewerkschaftstag beschlossen hat. Schon in der letzten Tarif-runde haben die Warnstreiks während der andauernden Verhandlungen überhandgenommen. Falls nun die allgemeinen Warnstreiks auch noch durch fokussierte Streikaktionen über mehrere Tage in einzelnen Betrieben erweitert werden sollen, würde das dem System Tarifautonomie schwer schaden.

Wenn die Grenzen zwischen Verhandlungsphase und Arbeitskampfphase fließend werden, sind die Vorteile des Systems für unseren Wirtschaftsstandort nicht mehr zu vermitteln. Der Arbeitskampf muss das "letzte Mittel" der Auseinandersetzung sein. Es darf gerade in der Verhandlungsphase nicht leichtfertig eingesetzt werden.

Viele Unternehmen haben uns nach der Tarifrunde 2015 gesagt: "Eine Chance habt ihr noch." Auch deshalb ist es in dieser Tarifrunde wichtig, verloren gegangenes Vertrauen unserer tarifgebundenen Mitglieder in die wirklichkeitsabbildende Gestaltungsfähigkeit eines modernen Flächentarifs zurückzugewinnen, der die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen stützt und nicht gefährdet.

Gelingt dies nicht, werden viele Betriebe dem Flächentarif den Rücken kehren. Geschieht dies in der Kernbranche der deutschen Wirtschaft, der Metall- und Elektroindustrie, so wird die Tarifautonomie, die durch die Eingriffe der Politik ohnehin schon angeschlagen ist, in ihren Fundamenten erschüttert.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass der IG Metall diese ordnungspolitische Konsequenz egal ist. Gerade wir in Nordrhein-Westfalen haben mit der Landesregierung und auch gemeinsam mit der IG-Metall-Bezirksleitung eine Vielzahl von Initiativen zur Stärkung unseres Wirtschaftsstandortes ergriffen.

Wenn aber die bundesweit geltenden Tarifabschlüsse die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen und deren Investitionsbereitschaft nicht mehr berücksichtigen, würden diese Erfolg versprechenden Bemühungen wieder zunichtegemacht.

Deshalb kann ich der IG Metall nur zurufen: "Es ist nicht die Zeit für tarifpolitische Höhenflüge. Es geht um unseren Wirtschaftsstandort und um sehr viele Arbeitsplätze."

© SZ vom 18.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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