Forum:Stoppt den Unfug!

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Professor Dr. Franz Ruland, Jurist, war von 1992 bis 2005 Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger sowie von 2009 bis 2013 Vorsitzender des Sozialbeirats. (Foto: oh)

Eine Lebensleistungsrente wäre ungerecht. Außerdem würde damit die Bereitschaft der Bürger, für die Rente vorzusorgen, untergraben.

Von Franz Ruland

Wer lange Jahre Vollzeit gearbeitet, für sich vorgesorgt hat und dennoch keine Rente bezieht, die die Sozialhilfe übersteigt, soll die Lebensleistungsrente erhalten. Sie soll mit rund 880 Euro im Monat knapp oberhalb der Grundsicherung liegen und den Betroffenen den Gang zum Sozialamt ersparen. Das sei - so Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles - eine Frage von "Respekt und Wertschätzung". Bereits ihre Vorgängerin Ursula von der Leyen ist mit dem Versuch, eine solche Rente einzuführen, gescheitert, und Nahles sollte es, auch wenn das Vorhaben im Koalitionsvertrag steht, nicht besser ergehen.

Schon der Name "Lebensleistungsrente" ist eine Irreführung. Für diejenigen, deren Lebensleistung nicht zu einer ausreichenden Rente gereicht hat, soll es eine "Sozialhilfe de luxe" geben, die die Rentenversicherung auszahlt. Die Leistung wäre keine Rente. Sie setzt die zu prüfende Bedürftigkeit voraus, notwendigerweise auch die des Ehegatten. Auch der Effekt der Beitragszahlung ist ganz anders. Bei der Rente steigern die Beiträge den Anspruch, bei der Lebensleistungsrente mindern sie ihn. Wer für diese Leistung den Begriff "Rente" verwendet, hat den grundlegenden Zusammenhang von Beitrag und Rente nicht verstanden oder - noch schlimmer - will ihn verwischen.

Die Begründung für die geplante Leistung ist ärgerlich. Der Gang zum Sozialamt sei diesen Personen unzumutbar. Wieso ist er es dann für die anderen, die auf Sozialhilfe angewiesen bleiben, etwa für eine Frau, die, weil sie Kinder erzieht und deswegen nicht arbeiten kann, auf Sozialhilfe angewiesen ist? Verdient nicht gerade sie "Respekt und Wertschätzung"? Wer mit einer Unzumutbarkeit der Sozialhilfe argumentiert, wertet mit der Sozialhilfe auch diejenigen ab, die von ihr Leistungen beziehen.

Die Politik sollte diesmal der Vernunft den Vorzug geben, nicht dem Koalitionsvertrag

Die Begründung für die Leistung ist unehrlich. Alle wissen, dass sie nur für relativ wenige Personen in Betracht käme. 2014 wären es laut Bundesregierung 66 000 Personen gewesen, die nach 35 Beitragsjahren weniger als 880 Euro Rente erhalten. Ab 2023 sollen 40 Beitragsjahre vorausgesetzt werden, die Zahl der Berechtigten würde auf 40 000 absinken, danach aber ansteigen. Doch müssen diese Personen auch noch hinreichend lange privat vorgesorgt haben. Die meisten Rentner mit niedrigen Renten bekämen sie also nicht.

Niedrige Renten sind meist Folge einer zu kurzen Versicherungsdauer. Wer nicht auf die 35 beziehungsweise 40 Jahre mit Pflichtbeiträgen kommt, bleibt bei der Sozialhilfe. Das betrifft insbesondere Langzeitarbeitslose, Personen, die abwechselnd selbständig tätig und abhängig beschäftigt waren, Frauen, die viele Kinder erzogen haben, oder Geringverdiener, die nicht zusätzlich privat vorgesorgt haben. Allerdings darf man nicht den Fehler machen, niedrige Renten mit Armut gleichzusetzen. Beamte und Anwälte, die nur wenige Jahre rentenversicherungspflichtig waren, sind anderweitig abgesichert. Übersehen wird meist auch, dass niedrige Einkommen und Renten sehr häufig Zusatzeinkommen eines Haushalts sind.

Die Begründung für die Leistung stimmt auch deshalb nicht, weil - auch darin sind sich nahezu alle einig - die meisten derjenigen, die sie beziehen würden, dennoch ergänzend auf Sozialhilfe angewiesen blieben. Das ist der Fall, wenn ihnen wegen besonderer Umstände ein Mehrbedarf zusteht, etwa weil sie behindert, krank oder alt sind, weil einmalige Erfordernisse (Bekleidung, Reparaturen oder anderes) abzudecken sind, weil sie in Regionen mit hohen Wohnungskosten leben oder weil in ihrem Haushalt Personen leben, die trotz ihrer Bedürftigkeit keinen Anspruch auf die Lebensleistungsrente haben, etwa die Ehefrau. Dies würde dazu führen, dass bei diesen Personen zweimal die Bedürftigkeit geprüft werden muss, bei der Rentenversicherung und beim Sozialamt. Es müssen zudem in der Verwaltung neue und teure Doppelstrukturen aufgebaut werden.

Begründet wird die Lebensleistungsrente damit, dass denen geholfen werden soll, die lange in Vollzeit erwerbstätig waren. Unbestritten ist aber, dass der Umstand, ob Versicherte vollzeit- oder teilzeitbeschäftigt waren, nirgendwo gespeichert ist. Auch der, der nur etwas mehr als geringfügig beschäftigt war, hätte Anspruch auf die Lebensleistungsrente. Dass man diese Leistung ohnehin bekäme, ist ein Anreiz, nur das Minimum an Arbeit legal zu erbringen und den Rest schwarz zu arbeiten. Auch muss, um Missbrauch zu verhindern, stets auch die Bedürftigkeit des Ehegatten geprüft werden, sonst könnte die Zahnarztgattin ihre Rente billig aufstocken.

Mit der Lebensleistungsrente wird die Bereitschaft, vorzusorgen, untergraben. Wer mit Beiträgen eine Rente in Höhe von 880 Euro erworben hat, erhielte genauso viel wie jemand, dessen Vorsorge nur zu einer Rente von 380 Euro gereicht hat, der aber ergänzend in Höhe von 500 Euro ohne entsprechende Vorleistung die Lebensleistungsrente bekäme. Der mit der Rente von 880 Euro würde sich zu Recht fragen, warum er die mit über 116 000 Euro höhere Beitragsleistung erbracht hat, wenn er die gleich hohe Leistung für viel weniger Geld hätte bekommen können.

Die Lebensleistungsrente soll durch Steuern finanziert werden. Das aber konnte schon damals von der Leyen nicht durchsetzen. Sie hatte für 2030 mit Kosten von über 3,4 Milliarden Euro gerechnet. Bei Andrea Nahles wird es noch teurer, weil sie unter anderem auf fünf Jahre begrenzt auch Zeiten der Arbeitslosigkeit berücksichtigen will. Würden auch nur mit einem Teil der Kosten die Beitragszahler belastet, wären sie wieder einmal gegenüber Beamten, Selbständigen und Einkommen über 74 400 Euro (Beitragsbemessungsgrenze 2016) benachteiligt, die keine Beiträge zahlen müssen. Außerdem würden die Kosten dramatisch ansteigen, weil dann auf jeden Fall auch Versicherungszeiten im EU-Ausland angerechnet und die Leistung dorthin auch exportiert werden müsste. Wie und durch wen dann die Bedürftigkeit dieser Personen und der Ehegatten im Ausland geprüft werden soll, ist eine kaum lösbare Frage.

Daher: Stoppt die Lebensleistungsrente! Die große Koalition hat mit der Rente ab 63 und der Ausweitung der Mütterrente schon sehr teure rentenpolitische Unvernunft bewiesen. Alle Sachargumente und alle Sachverständigen, zum Beispiel der Sozialbeirat, raten wieder ab. Die Politik sollte diesmal der Vernunft und nicht - erneut beratungsresistent - dem Koalitionsvertrag den Vorzug geben, zumal es weniger problematische Alternativen gäbe, etwa Vorsorgefreibeträge bei der Grundsicherung. Wer glaubt, dass er mit einem solchen Unfug Stimmen gewinnen kann, wird sich schwer täuschen.

© SZ vom 02.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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