Forum:Neue Dynamik für Deutschland

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Christoph M. Schmidt (links) ist Präsident des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung und Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Steffen Elstner arbeitet als Wissenschaftler am RWI. (Foto: Sven Lorenz, privat)

Die neu formierte Bundesregierung sollte sich jetzt zu einer ambitionierten Wirtschaftspolitik bekennen.

Von Steffen Elstner und Christoph M. Schmidt

Der Koalitionsvertrag verspricht "eine neue Dynamik für Deutschland". Sie wäre dringend nötig, denn um die hinter den aktuell so guten Wirtschaftsdaten stehende Wachstumsdynamik ist es wahrlich nicht gut bestellt. Die scheidende Bundesregierung hat dafür auch nicht allzu viel getan. Und es drohen weitere Rückschritte, etwa aufgrund des demografischen Wandels.

Um der künftigen Wachstumsdynamik im Sinne einer "Zukunftsagenda" eine echte Wende zu geben, müsste die neue Bundesregierung ein umfassendes Konzept zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft erarbeiten. Doch das "Weiter so" der vergangenen Jahre zieht sich leider auch durch den neuen Koalitionsvertrag. Trotz gut gemeinter Vorschläge, wie beispielsweise bei den Themen Digitalisierung oder Bildung, lässt sich keine wirtschaftspolitische Ausrichtung erkennen, die zum Ziel hätte, das Wirtschaftswachstum in Deutschland zu stärken. Bei der praktischen Regierungsarbeit ist es jedoch nach wie vor möglich, dem Titel des Koalitionsvertrages gerecht zu werden. Damit dies gelingt, müsste sich die Bundesregierung deutlich zu diesem Ziel bekennen und entsprechende Maßnahmen ergreifen.

Eine ambitionierte zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik würde gezielt die zentralen Wachstumshemmnisse in den Blick nehmen, etwa die immer dringender werdenden Fachkräfteengpässe, und sich auf einige wenige prioritäre Ziele konzentrieren. Ein erstrebenswertes Ziel mit hoher Priorität wäre beispielsweise die klimafreundliche Senkung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe unter der wichtigen Nebenbedingung, dass energieintensive Unternehmen es nach wie vor sinnvoll finden, in Deutschland zu investieren und zu wirtschaften.

Für jedes der ausgewählten Ziele müssten im Zusammenspiel mit der Wissenschaft die geeignetsten wirtschaftspolitischen Instrumente, etwa Steuern, Regulierung oder Forschungsförderung, herausgearbeitet werden. Dabei dürfen diese Instrumente nicht zu eigenen Zielen werden, wie es etwa bei der Diskussion um den Kohleausstieg oder der Förderung erneuerbarer Energien zu beobachten ist. Beide Instrumente wären an sich daran zu messen, ob es ihnen kosteneffizient gelingt, Treibhausgas-Emissionen zurückzuführen.

Werden sie jedoch als eigenständige Ziele betrachtet, können sie zu hohen volkswirtschaftlichen Kosten führen, ohne dem eigentlich sinnvollen übergreifenden Ziel wirksam zu dienen.

Die Politik sollte übermäßige Eingriffe in das wirtschaftliche Handeln vermeiden

In der Praxis politischen Handelns mag es schwierig sein, einem derart stringenten Prozess zu folgen. Doch darf ein situativ notwendiges Abweichen davon noch lange keine Ausrede dafür sein, ökonomische Grundsätze gänzlich über Bord zu werfen, wie es im neuen Koalitionsvertrag an vielen Stellen geschehen ist. So sollte die Politik erstens übermäßig tiefe Eingriffe in das individuelle wirtschaftliche Handeln vermeiden. Doch werden im Koalitionsvertrag beispielsweise steuerliche Anreize für die Finanzierung junger Unternehmen damit motiviert, dass "Ideen aus Deutschland auch mit Kapital aus Deutschland finanziert" werden sollten. Stattdessen wäre es sinnvoller, darüber zu reden, wie es durch eine Vervollständigung der europäischen Kapitalmarktunion gelingen könnte, mehr internationales Kapital anzuziehen. Anlageentscheidungen heimischer Sparer in eine bestimmte Richtung zu drängen, ist bestenfalls nutzlos und im schlechteren Falle sogar schädlich, wenn die staatliche Förderung Investitionen anregt, die ansonsten mit internationalem Kapital - und ohne die Förderung durch Steuergelder - zustande kämen.

Läge das Augenmerk der Politik tatsächlich darauf, eine Strategie für mehr Wachstumsdynamik zu erarbeiten, wäre zweitens die grundsätzliche Frage zu stellen, warum Unternehmen und Arbeitnehmer derzeit so wenig Anreiz haben, von sich aus in bessere Maschinen oder in die Weiterbildung zu investieren. Ein wichtiger Erklärungsansatz dürfte der unzureichend intensive Wettbewerb auf den Arbeits- und Produktmärkten sein. Eine wettbewerbsfähige Wirtschaft wird man letztlich nur mit hinreichendem Wettbewerbsdruck erhalten können.

Der Koalitionsvertrag legt jedoch ganz im Gegenteil großen Wert auf den Schutz bestimmter Wirtschaftsbereiche. So werden beispielsweise "öffentliche Unternehmen" pauschal zu wichtigen Säulen der sozialen Marktwirtschaft deklariert, ohne näher auf die mögliche Verdrängung privater Wirtschaftsaktivitäten einzugehen. Im Hinblick auf die Deutsche Bahn wird es weiterhin nicht zu Effizienzsteigerungen durch mehr Wettbewerb kommen, da die künftige Bundesregierung eine "Privatisierung der Bahn" ablehnt und damit Markteintrittsbarrieren für Konkurrenten bestehen bleiben. Darüber hinaus will sich die Koalition für ein Verbot des Versandhandels bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln einsetzen, um die "Apotheken vor Ort" zu schützen. Dabei müsste es prioritär um etwas anderes gehen: nämlich um die Qualität der Versorgung vor Ort.

Drittens sollte die Politik anerkennen, dass Preise ein wichtiges Instrument für die effektive und effiziente Koordination der Entscheidungen von Firmen und privaten Haushalte darstellen. Wie wenig Aufmerksamkeit diesem Instrument im Koalitionsvertrag geschenkt wird, zeigt sich besonders deutlich am Themenkomplex Klima- und Energiepolitik. Hier wird die teure und ineffiziente Politik der vergangenen Jahre weitgehend fortgeschrieben. Das lässt das Erreichen der für das Jahr 2030 gesetzten Klimaziele in weite Ferne rücken. In der Folge drohen künftig erneut ad hoc gestaltete Eingriffe. Das wird die Unsicherheit für Investitionsentscheidungen erhöhen und so die Wettbewerbsfähigkeit noch stärker gefährden.

Es führt am Ende kein Weg daran vorbei, dass Energie teurer werden muss, damit die nationalen Klimaziele erreicht werden können. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft kann nur dann gewahrt werden, wenn Energiepreise auch international steigen. Erst das kann zum übergreifenden Ziel führen, den globalen Klimawandel wirksam zu verlangsamen. Der Preis würde dabei den entscheidenden Anreiz liefern, in energieeffizientere Maschinen zu investieren, die Mobilität emissionsärmer zu gestalten oder die energetische Gebäudesanierung voranzutreiben.

Zugegebenermaßen ist es ein schwieriger Weg, übergeordnete Ziele zu identifizieren und zu priorisieren. Doch ist dies die Hauptaufgabe und das Primat der Politik. Bei der Auswahl der geeignetsten Maßnahmen zur Zielerreichung kann die Ökonomie dann ihren Beitrag leisten.

© SZ vom 26.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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