Forum:Mehr Investitionen, bitte

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Deutschland muss außenwirtschaftliche Ungleichgewichte vermeiden. Das geht am besten mit einer Stärkung der Binnennachfrage durch öffentliche Aufträge. Das würde auch den anderen Staaten in der Europäischen Union helfen.

Von Gustav A. Horn

Schwaben sind ihrem Ruf nach vorsichtige Menschen. Auch Erkenntnisse reifen bei ihnen manchmal nur langsam. Das gilt besonders für die Wirtschaftspolitik und erst recht im Bundesfinanzministerium (BMF). Bis auf den heutigen Tag investiert das Ministerium viel Zeit und Mühe darauf nachzuweisen, dass die hohen Außenhandelsüberschüsse Deutschlands, die eine fortgesetzte Verletzung europäischer Regeln darstellen, harmlos seien und jede Maßnahme dagegen unwirksam oder gar kontraproduktiv.

Diese Verharmlosung dient vor allem dem Zweck, die eigene Untätigkeit zu rechtfertigen. Oberstes wirtschaftspolitisches Ziel des BMF ist schließlich die "Schwarze Null".

Aus ökonomischer Sicht ist das unhaltbar und gefährlich. Die Krise des Euroraums hat überdeutlich gezeigt, dass hohe Überschüsse, die zwangsläufig mit hohen Defiziten bei Handelspartnern verbunden sind, irgendwann in einer Krise münden. Treten die Ungleichgewichte innerhalb des Euroraums auf, ist mit einer erneuten Schuldenkrise in Euro-Ländern zu rechnen. Entstehen sie, was derzeit der Fall ist, primär im Handel mit außereuropäischen Ländern, dürfte der Euro über kurz oder lang spürbar aufwerten und die Exportfähigkeit des Euroraums schädigen. Dies könnte in den sich gerade etwas erholenden Krisenländern neue Verwerfungen hervorrufen.

In solchen Krisen wird das durch die Überschüsse angehäufte deutsche Auslandsvermögen entwertet, weil zum Beispiel ausländische Wertpapiere an Wert verlieren. Deutschland hat dann umsonst gearbeitet und gespart. Insofern liegt es im deutschen Interesse, außenwirtschaftliche Ungleichgewichte zu vermeiden. Die Forderung, allein die Defizitländer hätten sich durch eine gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit anzupassen, hilft nur teilweise weiter. Die Anpassung muss von beiden Seiten kommen, ansonsten ist sie nicht nachhaltig, dann entsteht das Ungleichgewicht bei nächster Gelegenheit von Neuem.

Der Schlüssel zur Überwindung einer außenwirtschaftlichen Überschusslage liegt bei der Binnennachfrage. Ein Leistungsbilanzüberschuss ist ein klares Indiz für eine Binnennachfrage, die zu schwach ist, um außenwirtschaftliche Stabilität zu gewährleisten. Vielfach werden sogar vom BMF und der Bundesbank höhere Lohnsteigerungen als Gegenmaßnahme gefordert. Das ist leicht gefordert, aber schwerer durchgesetzt, wenn die Tarifabdeckung schrumpft und der Arbeitsmarkt stark dereguliert ist, was im übrigen sowohl vom Finanzministerium als auch von der Bundesbank positiv gesehen wird. Aber trotzdem gilt: Höhere Lohnsteigerungen würden helfen. Aber es würde nicht reichen.

Die Schwächen der Infrastruktur sind unübersehbar

Insofern sind nicht nur die Tarifparteien gefordert, sondern vor allem die Wirtschaftspolitik. Deren naheliegende Aufgabe ist nun, Maßnahmen zu ergreifen, welche die Binnennachfrage fördern. In erster Linie wären die öffentlichen Investitionen zu nennen. Dass es hierfür einen erheblichen Bedarf gibt, hat sich mittlerweile herumgesprochen: Die Schwächen der Infrastruktur sind unübersehbar. Hinzu kommen die effizientere Gestaltung der Energiewende und ein verbessertes Bildungssystem als weitere notwendige Hotspots vermehrter öffentlicher Ausgaben.

Eine sehr erwünschte Folge dieser gesteigerten Aktivität ist, dass auch die privaten Investitionen stimuliert werden. Jeder öffentlich investierte Euro löst nach neueren Studien je nach Wirtschaftslage zusätzliche private Investitionen in Höhe von 50 Cent bis zu einem Euro aus. Mit anderen Worten, es wäre eine hilfreiche Stimulierung und eine dringend notwendige Modernisierung der deutschen Wirtschaft. Das hätte dann auch vermehrte Importe zur Folge und würde damit gleichfalls helfen, das Ungleichgewicht abzubauen.

Das Ministerium bestreitet dies gern mit dem Verweis auf eine Bundesbank-Studie, die ergeben habe, dass höhere öffentliche Investitionen nicht zu einer Verminderung der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte führen würden. Die Studie gibt es, aber sie arbeitet mit einem ökonomischen Modell, in dem sich außenwirtschaftliche Gleichgewichte, so sie denn einmal entstanden sind, wirtschaftspolitisch nicht mehr korrigieren lassen. Fast überflüssig zu erwähnen, dass dieses Modell keine Krisen kennt, die in Folge solcher Ungleichgewichte entstehen können. So modelliert man sich die Welt schön.

Ein ernster zu nehmender Einwand besagt, dass die Produktionskapazitäten nach mehreren Jahren moderaten Aufschwungs in Deutschland bereits ausgelastet seien. Jeder weitere Impuls werde nicht die Produktion erhöhen, sondern nur die Preise nach oben treiben. Abgesehen davon, dass höhere Preissteigerungen vor dem Hintergrund einer Inflationsrate, die immer noch zu nah an der Deflationsgrenze liegt, derzeit ausdrücklich erwünscht sind, ist der Einwand zu kurz gedacht. Das Produktionspotenzial ist keine Konstante. Insbesondere Investitionen können es erhöhen oder, wenn sie unterbleiben, auch verringern. Letzteres ist derzeit die Gefahr. Die öffentlichen Investitionen waren viele Jahre so niedrig, dass sie nicht die Abschreibungen, also den Verschleiß, auszugleichen vermochten. Soll sich das Produktionspotenzial nicht vermindern, ist schon aus diesem Grund eine Kehrtwende dringend geboten.

Untersuchungen zeigen zudem, dass konjunkturelle Einbrüche, wie sie durch die Finanzkrise und die Krise des Euroraums entstanden sind, langfristig schädliche Wirkungen auf das Produktionspotenzial haben. Konjunktur und Wachstum sind letztlich nicht voneinander zu trennen. Insofern wäre eine Investitionsoffensive in mehrfacher Hinsicht sinnvoll. Sie würde das Wachstum des Produktionspotenzials steigern und damit einen signifikant verstärkten Wohlstandszuwachs in Deutschland ermöglichen. Im Zuge der so erweiterten Möglichkeiten würde die Beschäftigung zunehmen, die Löhne würden stärker steigen und die Binnennachfrage könnte noch kräftiger expandieren. Das alles würde die Importneigung erheblich verstärken und die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte spürbar reduzieren. Sieger wäre die Stabilität unserer Volkswirtschaft und des gesamten Euroraums.

Selbst die Verfechter einer "Schwarzen Null" können bei diesem Szenario ruhig schlafen. Auf Dauer hat eine Volkswirtschaft mit höherer Wachstumsdynamik und höherer Stabilität deutlich bessere Chancen, Schulden abzubauen als eine Wirtschaft, die aus Zaghaftigkeit ihre Investitionen vernachlässigt. Das wissen eigentlich auch die Schwaben, wie 200 Jahre erfolgreiche Wirtschaftsgeschichte zeigen.

© SZ vom 09.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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