Auf dem Wohnungsgipfel hat die Bundesregierung das Angebot an bezahlbarem Wohnraum zur sozialen Frage unserer Zeit erklärt. Gleichzeitig wissen wir aber erschreckend wenig über die Lage an den deutschen Immobilienmärkten. Wie schlecht funktioniert die Mietpreisbremse wirklich? Steckt hinter der vielfach beklagten Gentrifizierung mehr als ein Schlagwort? Kurz gesagt: Vieles wissen wir nicht. Statt uns weiter anhand von Anekdoten und Einzelfällen herumzustreiten, sollten wir deshalb endlich mehr Transparenz in den Wohnungsmarkt bringen.
Ein altes Unternehmer-Sprichwort besagt: "What gets measured, gets managed." Sobald man ein Problem misst, kann man es auch lösen. Gemessen wird in Deutschland seit jeher gern und viel. Das Statistische Bundesamt etwa führt Statistiken von A wie Abfallentsorgung bis Z wie Zigarilloverkäufe. Auch eine Wohnungsstatistik mit detaillierten Angaben zu lokalen Mietkosten gibt es, zuletzt aktualisiert - das ist kein Scherz - in den Jahren 1987 und 1993. Wer aktuellere Daten sucht, muss auf kommerzielle Auswertungen von Online-Wohnungsanzeigen zurückgreifen. Die aber geben nur einen verzerrten Eindruck vom Mietmarkt, schließlich zeigen sie nur, welche Wohnungen dort gerade angeboten werden. Die große Masse der seit Jahren laufenden Mietverträge bleibt außen vor. Auch die von manchen Städten veröffentlichten Mietspiegel helfen kaum weiter, da sie wenig vergleichbar sind und zudem zahlreiche methodische Schwächen haben.
Die Süddeutsche Zeitung startete eigens eine Umfrage unter ihren Lesern, um einen Überblick über die Mietsituation in Deutschland zu erhalten. Angesichts dieser wackligen Datenbasis sollte es niemanden überraschen, dass sich die Mietpreisbremse vielerorts nicht effektiv kontrollieren lässt. Das Gleiche gilt auch für die sogenannte Gentrifizierung von Stadtvierteln. Niemand weiß, wie groß das Problem von Aufwertung und Verdrängung tatsächlich ist, weil es schlicht keine Zahlen dazu gibt.
Der Ausweg aus dieser unbefriedigenden Situation ist denkbar einfach: Städte und Gemeinden sollten Mieter und Vermieter nach der Miete fragen. Das könnte regelmäßig und online geschehen und so unkompliziert ein zeitnahes Abbild der Lage an den Mietmärkten liefern. Auf die Wohnung genau ließe sich untersuchen, ob etwa die Mietpreisbremse eingehalten wird, welche Effekte die von Union und SPD geplante Absenkung der Modernisierungsumlage hat und wie das Baukindergeld wirkt. In Großbritannien konnten Forscher mit so detaillierten Daten haarklein die Auswirkungen höherer Grunderwerbsteuern nachweisen. Auch den Einfluss staatlicher Bauvorschriften auf die Wohnkosten konnten Wissenschaftler in verschiedenen Ländern mithilfe solcher Daten bestimmen. Positiver Nebeneffekt einer amtlichen Mietstatistik: Durch die getrennte Befragung von Mietern und Vermietern ließen sich gleichzeitig Steuerhinterziehung und Geldwäsche eindämmen.
Befragt man Mieter und Vermieter getrennt, könnte dies auch Steuerhinterziehung eindämmen
Was aufwendig und illusorisch klingt, findet bereits in ähnlicher Form statt. Schon heute muss man nach einem Umzug beim Meldeamt angeben, in welche und in wessen Wohnung man einzieht. Der Vermieter muss das bestätigen. Und schon heute müssen Vermieter dem Finanzamt jährlich ihre Mieteinnahmen mitteilen. Nur bleiben diese Daten bislang strikt getrennt, weil sie bei unterschiedlichen Behörden für verschiedene Zwecke anfallen. Den politischen Willen vorausgesetzt, könnten Bundestag und Bundesrat aber schon heute die Möglichkeit schaffen, diese Daten zu einer umfassenden Mietstatistik zusammenzuführen und unter Wahrung des Datenschutzes auszuwerten - ganz ohne neue Befragungen.
Eine amtliche Mietstatistik wäre auch ein zentraler Baustein für ein Immobilienregister, das Angaben zu Gebäude, Mieten, Bewohnern und Eigentümern vereint. In anderen europäischen Ländern sind solche Register längst gang und gäbe. Wer sich mit Kollegen aus diesen Ländern unterhält, erntet immer wieder Kopfschütteln über das deutsche Zuständigkeitswirrwarr. Nur ein paar Beispiele: Umzüge registrieren die kommunalen Meldeämter, Mieteinnahmen die Finanzämter der Länder. Eigentumsverhältnisse stehen im Grundbuch. Eckdaten zu Grundstücken und Aufbauten finden sich bei den lokalen Katasterämtern. Die Grundsteuer erheben die Kämmereien vor Ort, die Bewertung übernehmen die Landesfinanzämter. Grundstückskäufe werden vom Land besteuert, gesammelt werden die Kaufdaten von kommunalen Gutachterausschüssen, die damit so das Bauland bewerten. Informationen über Preise, Besitzverhältnisse oder Umbauten bleiben bei den jeweiligen Behörden, ohne Chance, einen Überblick über das Marktgeschehen zu bekommen. Selbst wenn all diese Daten zugänglich wären, was längst nicht der Fall ist, müsste man mehrere Tausend Ämter abklappern, um sie zu erhalten. Ein bundesweites Immobilienregister würde Abhilfe schaffen und endlich Licht ins Dunkel deutscher Miet- und Wohnungswelten bringen.
Die bisherige Struktur hat natürlich ihren Grund. Es sollten immer nur die Informationen gesammelt werden, die für die unmittelbare Verwendung notwendig sind. Der Aufbau einer Mietstatistik und die Verknüpfung bestehender Statistiken einzig zu Forschungszwecken wären damit aber gut vereinbar, zumal personenbezogene Informationen wie Namen, Alter oder Geschlecht gar nicht benötigt würden. Ein solches Forschungsprivileg im Statistikgesetz müsste nicht einmal den Datenschutz schwächen, weil Forschungsergebnisse nicht auf Einzelfällen beruhen würden. Die Statistischen Ämter haben außerdem schon heute massig Erfahrung damit, sensible Daten zu schützen.
Mietstatistik und Immobilienregister würden Politik und Wissenschaft in die Lage versetzen, beschlossene Maßnahmen gründlich zu evaluieren. Sie könnten auch zu einem Umdenken in der Bau- und Wohnungspolitik beitragen. Statt anhand anekdotischer Einzelfälle über den Sinn und Unsinn von Baukindergeld, Mietpreisbremse und höheren Steuern zu spekulieren, ließen sich kausal ihre Auswirkungen studieren. Die Gentrifizierung könnte vom Buzzword zum klar umrissenen und bezifferten Prozess werden. Erst dann ließe sich ernsthaft über wirksame Gegenmaßnahmen diskutieren. Die Datenbasis würde auch viel darüber erzählen, wann, wo, wie und warum gebaut wird - und was der Staat beitragen kann, um effizient mehr Wohnraum zu schaffen.
Was es dazu braucht? Den politischen Willen zu mehr Transparenz am deutschen Wohnungsmarkt. Daran sollte es nicht scheitern.