Die Corona-Krise ist in vielen Bereichen unserer Gesellschaft zu einem Beschleuniger der digitalen Transformation in Deutschland geworden. So ist es deutschen Schulen bewusst geworden, wie gut es wäre, digitale Technologien nutzen zu können - allein die Nutzung der HPI-Schul-Cloud hat sich in den ersten Wochen des Shutdowns verzehnfacht. Der Fortschritt der Digitalisierung ist der vielleicht einzig positive Effekt dieser Krise.
Um diese positive Entwicklung zu unterstützen, brauchen Haushalte und Unternehmen einen leistungsfähigen Breitbandanschluss. Moderne digitale Lösungen brauchen aber schon jetzt mehr als einen herkömmlichen Anschluss mit einer Geschwindigkeit von 16 Mbit/s. Dabei steigt die Datenmenge durch Technologien wie Virtual Reality, Big-Data-Echtzeitanalysen, autonomes Fahren oder KI gerade erst richtig an.
Im Jahr 2014 hatte ein Breitbandanschluss durchschnittlich einen monatlichen Datendurchsatz von 27 GB, im Jahr 2016 waren es schon 73 GB, im Jahr 2019 ganze 137 GB. In ein oder zwei Jahren ist die Netzkapazität auf Kupferleitungsbasis vermutlich vollkommen ausgelastet.
Diese sind jedoch aktuell noch immer die Norm in Deutschland, obwohl Glasfasernetze der leistungsfähigere Standard sind. So werden innerhalb der OECD-Staaten durchschnittlich 26,8 Prozent der Breitbandanschlüsse über Glasfaser bereitgestellt, in Südkorea sind es gar 81,7 Prozent. Im Juni 2019 hatte Deutschland gerade einmal einen Glasfaseranteil von 3,6 Prozent. Das Netz ist lückenhaft, und der langsamste Teil des Netzes gibt das Gesamttempo der Datennutzung vor. Mit anderen Worten: Deutschland ist ein digitales Entwicklungsland, was die digitale Infrastruktur angeht.
Deutschland braucht daher schnell ein flächendeckend einheitliches Glasfasernetz, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das ist leicht gefordert, aber bisher schwer umzusetzen. Man benötigt für die Verlegung der Kabel geradezu unzählige Genehmigungen: Eine von jedem einzelnen betroffenen Grundstückseigentümer! Wie in so vielen anderen Bereichen leider auch, kommen wir dadurch beim Aufbau eines deutschlandweiten Netzes nicht voran.
Die Alternative finden wir beispielsweise in Schweden. Schweden baut seine Glasfasernetze einfach pragmatisch entlang der Eisenbahngleise. Man hat es meist nur mit einem Eigentümer zu tun, dem Staat oder dem Schienennetzbetreiber.
In Deutschland gehören rund 88 Prozent des Schienennetzes der DB Netz AG, einer 100-Prozent-Tochter der Deutschen Bahn, die wiederum zu 100 Prozent dem Bund gehört. Eine Verlegung entlang der Gleise wäre deshalb besonders vorteilhaft, weil entlang der Gleise bereits oft Kabelkanäle liegen, in denen es noch Platz für weitere Stränge gibt. Insbesondere würde das auch den ländlichen Regionen helfen. Auch stillgelegte alte Bahnstrecken können als Kabeltrasse dienen.
Gerade jetzt, wo Deutsche Telekom, Vodafone, O2 und 1&1 mit dem Aufbau von 5G-Funknetzen beginnen, ließe sich auch die sogenannte "letzte Meile" (vom Gleis bis zum Haushalt oder Unternehmen) leicht überbrücken. Vielen ist noch heute nicht klar, dass ohne flächendeckendes Glasfasernetz keine flächendeckende 5G-Nutzung zu haben ist. Auch das von der Bundesregierung vorangetriebene Projekt einer europäischen Cloud, "GAIA-X", ist darauf angewiesen, dass die einzelnen "Server-Farmen" sicher und leistungsfähig miteinander verbunden sind.
Sowohl bei einer europäischen Cloud-Lösung als auch für ein 5G-Netz müssen Sicherheitsaspekte ins Feld geführt werden. In beiden Fällen soll ja die Einhaltung europäischer Datenschutzstandards gewährleistet sein. Es muss also sichergestellt werden, dass es zu keinem ungewollten Datenabfluss in Drittstaaten kommt. Genau das ist ja der Kern der Diskussion über den Einsatz chinesischer Technologien beim Bau der deutschen 5G-Netze. Besteht deren Rückgrat aber aus Glasfaserkabeln, ist zumindest der Kern des Funknetzes deutlich schwerer angreifbar. Das Kabel müsste vor Ort physisch angezapft werden, und das kann bei Glasfaserkabeln durch in den Netzen verbaute Sensorik erkannt werden.
Auch hat ein physisches homogenes Glasfasernetz den Vorteil, dass es klar definierte und überwachbare Übergänge zu anderen Netzen und damit letztlich zum weltweiten Internet gibt. Im Falle eines großen internationalen Cyberangriffes ließen sich diese Knotenpunkte auch unterbrechen; und es stünde immerhin noch ein deutschlandweites Intranet zur Verfügung, mit dessen Hilfe kritische Infrastrukturen und Kommunikationskanäle weiter betrieben werden können. Das erhöht im Krisenfall die Resilienz Deutschlands gegenüber Cyberangriffen aus dem Ausland und ist damit ein wichtiger Beitrag für eine technologische und politische Souveränität.
Noch hinkt Deutschland im internationalen Vergleich beim Glasfaserausbau hoffnungslos hinterher. Der Rückstand könnte aber schnell aufgeholt werden. Es gibt sowohl staatseigene als auch private Unternehmen, die bereitstehen, mit Steuermitteln oder privatem Kapital diesen Ausbau entlang der Bahngleise zu vollziehen, innerhalb von zwei Jahren die wichtigsten Wirtschaftszentren zu verbinden und in fünf Jahren flächendeckend den Aufbau "an jeder Milchkanne" zu vollenden.
Die Regierung kann die Bahn, der die Gleise gehören, anweisen, die Bahnschächte für die schnelle Verlegung von Glasfaser durch eine eigenständige Betreibergesellschaft freizugeben. Entsprechende Anträge von möglichen Betreibergesellschaften sind von der Bundesnetzagentur bereits bewilligt worden. Dasjenige Unternehmen sollte mit dem Ausbau beauftragt werden, welches die Kabel am schnellsten und wirtschaftlichsten verlegen kann.
In ihrem Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD vorgenommen, die Digitalisierung unter anderem mithilfe eines Netzinfrastrukturwechsels zu Glasfaser voranzutreiben. Die vergangenen Monate haben gezeigt, wie wichtig und richtig dieses Ziel ist. Gleichwohl, der Erfolg bleibt bislang aus.
Wenn jetzt endlich die politischen Weichen in Richtung einer deutschlandweiten Glasfaserverkabelung zum Beispiel entlang der Bahngleise gestellt würden, wären noch bis zum Ende der Legislaturperiode erste Erfolge sichtbar.