Forum:Keine Industriepolitik

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Rupprecht Podszun lehrt Bürgerliches Recht und Wettbewerbsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und ist Research Fellow am Münchner Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb. (Foto: oh)

Ein striktes Kartellrecht macht die Unternehmen wettbewerbsfähig. Dennoch könnten die Methoden überdacht werden.

Von  Rupprecht Podszun

Bundespressekonferenz. Armin Laschet gibt seine Kandidatur für den CDU-Vorsitz bekannt. Einige, nein, wenige Minuten geht es auch um Wirtschaftspolitik. Die Frage, die Laschet zu beantworten hat, ist heikel: Braucht Deutschland "nationale Champions", und muss dafür das Wettbewerbsrecht gelockert werden? Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sorgte mit seiner "Nationalen Industriestrategie" 2019 für einen Aufschrei, weil er Siemens, den Autoherstellern, Thyssenkrupp und der Deutschen Bank Bestandsschutz gewähren wollte. Die gezielte Förderung von Champions durch eine Lockerung des Kartellrechts würde bedeuten, sich vom wirtschaftspolitischen Säulenheiligen der CDU, ja, der Bundesrepublik zu verabschieden - Ludwig Erhard hatte mit der Einführung des Kartellrechts 1958 der deutschen Wirtschaft Wettbewerb verordnet, übrigens gegen den erbitterten Widerstand des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Wo steht Laschet? Der NRW-Ministerpräsident meint, "dass wir ein paar globale Player brauchen", und das scheitere auch am engstirnigen europäischen Wettbewerbsrecht: "In Europa wird in jedem einzelnen Mitgliedsland ein eigenes Wettbewerbsverfahren gemacht", klagt Laschet.

Er irrt. Für die großen Fälle gibt es ja gerade die Europäische Kommission mit einem einheitlichen Prüfverfahren. Doch Laschet meinte im Stress seines Vorstellungsgesprächs vermutlich etwas anderes, und das in schönster Kontinuität zur Regierung Angela Merkel: Die Bundeskanzlerin und ihr Wirtschaftsminister rügen seit einiger Zeit, dass die Europäische Kommission Fusionen zu Unrecht blockiert, weil die Wettbewerbskräfte nicht global betrachtet würden. Die Untersagung des Zusammenschlusses der Zugsparten von Siemens/Alstom gilt als Beweis.

Gerade im Fall dieser gescheiterten deutsch-französischen Fusion wurde die China-Karte gespielt: Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager habe die Chance verstreichen lassen, einem europäischen Champion grünes Licht zu geben, der gegen den chinesischen Zug-Konzern CRRC andonnern kann. Wer prüfen will, ob der Vorwurf zutrifft, hat mit der Entscheidung in der Sache M.8677 rund 400 Seiten Lesestoff mit vielen Schwärzungen vor sich. Die Wettbewerbshüter aus Brüssel dokumentieren ihre Recherche: Ist CRRC ein echter Konkurrent für Siemens und Alstom? Falls ja, hätte die Fusion eher freigegeben werden können. Für diese Marktabgrenzung arbeiten sich die Beamten tief in die Branche ein, prüfen die Angaben der Unternehmen, werten interne Memos aus. Sie kennen die Produkte besser als mancher Unternehmensvorstand, analysieren Kundenbeziehungen, befragen Abnehmer, Konkurrenten, Lieferanten, Experten. Selbstverständlich werden dabei die globalen Marktkräfte betrachtet.

Stutzt man die Kartellbehörden, steigt die Konzentration der Wirtschaft wie in den USA

Das Ergebnis der Detektivarbeit ist eine Tatsachenfeststellung: CRRC ist derzeit kein ernst zu nehmender Wettbewerber von Siemens und Alstom bei Hochgeschwindigkeitszügen, und es gibt keine Anhaltspunkte, dass sich dies in den nächsten drei bis fünf Jahren ändert. Wer die Marktabgrenzung anpassen will, um Industriepolitik durch die Hintertür zu betreiben, verkennt die Rolle dieses entscheidenden Schritts in Kartellverfahren: Hier werden Fakten ermittelt. Wollen Armin Laschet & Co. also die Fakten verdrehen?

Nein, die Kritik an der Marktabgrenzung ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Wirtschaft ist so komplex, dass die Faktensammlung sehr unterschiedlich ausfallen kann. Die Kartellbehörden neigen zur kleinteiligen Sicht der Dinge. So werden beispielsweise die Wettbewerbsverhältnisse bei Autos in neun verschiedenen Produktmärkten mit unterschiedli-chen Sub-Segmenten erfasst. Wer so fokussiert, übersieht zuweilen neue Entwicklungen, die die Wettbewerbsverhältnisse erschüttern.

Manchmal halten die Behörden an ihrer Sicht zu lange fest, gerade wenn Gerichte diese bestätigt haben. Auch die rasante Vernetzung von Produkten durch die Digitalisierung wird kaum abgebildet. Autohersteller zittern vor Google, aber auf keinem der neun Auto-Märkte wird Google als relevante Kraft sichtbar. Die Macht finanzstarker Konzerne, die ganze Branchen im Handumdrehen aufrollen können, bleibt unterbelichtet.

Margrethe Vestager hat angekündigt, neue Leitlinien für die Marktabgrenzung zu erlassen; die aktuelle Fassung stammt von 1997. Die Instrumente für die Marktanalyse sollen überarbeitet werden. Das ist Jura für Feinschmecker: Wie lässt sich eine empirische Methodik normativ absichern - auf Deutsch: Mit welchen Regeln kann die Ermittlung von Tatsachen verbessert werden, ohne dass das Ergebnis schon durch die Regeln geprägt wird?

Vestager bewegt sich mit der Reform auf einem schmalen Grat. Die feinziselierte Unterscheidung sichert den Behörden ihre Interventionsmacht: Je weniger Unternehmen als Wettbewerber anerkannt werden, desto größer sind die Marktanteile der verbliebenen Akteure. An den Marktanteilen hängen die Eingriffsmöglichkeiten der Behörden. Wenn aufgrund einer veränderten Marktabgrenzung die Möglichkeiten von Bundeskartellamt und Kommission beschnitten würden, wäre das fatal. Die Konzentration der Wirtschaft würde wie in den USA besorgniserregend steigen.

In Sachen China kann sich Europa auf andere Weise wappnen. Hier liegt das Problem darin, dass geschützte und gesponserte Staatsunternehmen quasi gedopt im globalen Wettbewerb antreten. Gegen diese Wettbewerbsverzerrung hilft Reziprozität: Wer andere nicht auf faire Weise in sein Land lässt, soll mit seinen Staatskonzernen auch nicht an Ausschreibungen in der EU teilnehmen dürfen. Die Fusionskontrolle für Staatsunternehmen kann verschärft werden. Der Abbau von Handels- und Wettbewerbsschranken, am besten im Rahmen der WTO, muss wiederbelebt werden.

Die schlechten Angewohnheiten protektionistischer Staaten sollten hingegen nicht kopiert werden. Bislang gilt die Vermutung, dass Ludwig Erhard, der es übrigens nur 14 Monate an der Spitze der CDU aushielt, recht hatte: Ein strenges kartellrechtliches Regime daheim fördert die globale Wettbewerbsfähigkeit eher als dass es sie behindert. Wer europäische Champions will, sollte wenigstens ehrlich sein und erklären, dass Kunden in der EU dann dafür zahlen: Sie haben weniger Auswahl, weniger Wettbewerb und höhere Preise, damit das so gestärkte Unternehmen international gegen einen chinesischen oder amerikanischen Konkurrenten bestehen kann. Das ist Industriepolitik als Umverteilung von unten nach oben.

© SZ vom 02.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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